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# taz.de -- Musikszene: Wie Indie-Rock den Soul verlor
> Die Independent-Szene in der Musik sucht nach einem neuem
> Selbstverständnis. In Großbritannien formiert sich nun eine Bewegung um
> die Rückeroberung des Genres.
Bild: Damals war der Soul noch nicht verloren: Die Britische Band The Clash.
Wenn es jetzt an die Bilanzen geht, spricht die Popbranche beim Jahrgang
2007 wieder, wie zuletzt anlässlich der Pleite des unabhängigen Vertriebs
Hausmusik, von einer wirtschaftlichen Katastrophe. Man hat sich längst an
die deutlichen Zeichen der Krise gewöhnt, und doch stellen sich der
Musikindustrie schon lange nicht nur ökonomische Zukunftsfragen, sondern
auch pädagogische. Wenn Musik zum Giveaway wird, wer vermittelt dann ihr
körperliches Wissen?
Vielleicht hilft ja ein Blick zurück, in eine Zeit, in der klarere
Unterschiede zwischen Mainstream und Untergrund herrschten, in der zwischen
dem Output der Majors und dem Kram, der auf kleinen, unabhängigen
Plattenfirmen erschien, ein hörbarer Unterschied war. Ende der Siebziger,
Anfang der Achtziger erregten die Gemüter auch schon Fragen ökonomischer
und pädagogischer Natur. Der Mainstream war nach Punk in der Krise. "Wem
gehört die Popmusik?", wurde damals heftig diskutiert und es ging dabei
darum, wer näher an den Künstlern ist, Indielabel oder Plattenmulti.
Ob selbst gestanzte Single vom unabhängigen Label Rough Trade oder
Aufklappcover im Hochglanzformat vom Plattenmulti EMI, egal, ob die
Künstler 500 Einheiten oder 50.000 verkauften, ihre Formate wurden von
teils naiven Marketing-Kampagnen begleitet. Das fiel gar nicht weiter auf,
weil es auf der anderen Seite noch so viele rezeptionstechnische
Missverständnisse zu überwinden galt. Über die Vermittlung
musikjournalistischer Diskurse hinaus konnte bei der Zielgruppe aber die
Pop-Urszene ins Bewusstsein sickern: Elvis, seine Hüften und die kinetische
Energie, die sie entfachen, oder Robert Johnsons Stimmbänder und was sie
von der Lynchjustiz der Dreißiger erzählen. Pop verhandelte die Geschichte
des Rassismus und arbeitete an ihrer langsamen Überwindung. Dass dies immer
neu verhandelt werden muss, zeigte schon die andere große Frage vom Ende
der Siebziger: "Was nützt die Kampagne Rock against Racism?", die damals
wegen marodierender Skinheads in pakistanischen Wohnvierteln in England ins
Leben gerufen wurde.
Heute heißt "Independent" etwas anderes als 1979: An die Stelle des
Presswerks, das alle benutzen, sind Telefongesellschaften und
Hardware-Hersteller gerückt. Während die einen deshalb vom Plattenhandel
entnervt zum T- Shirt-Verkauf übergehen, behaupten die anderen, auf dem
Feld des nonphysischen Tonträgergeschäfts seien noch nicht ansatzweise alle
Ideen ausprobiert. Bis heute etwa gibt es kein anständiges Mastering für
Sounddateien, weist Oke Göttlich vom Hamburger Online-Vertrieb und
Content-Provider Finetunes.Net hin. Die Märkte und Kunden auch für
abseitigste Musikrichtungen seien vorhanden, aber ihr Marketing hinke
hinterher, so Göttlich. Da ist es wieder, das Popwissen, das
weitervermittelt werden will. Und das bringt uns wieder zurück zur zweiten
Frage.
Am 17. Oktober ist eine Spezialausgabe des englischen Musikjournals NME
erschienen, mit einer CD-Beilage und 28 Songs und der unmissverständlichen
Botschaft, Rassismus sei in England wieder auf dem Vormarsch. Nicht
irgendjemand verkündet das, sondern die Hauspostille des Vereinigten
Pop-Königreichs. Wie Nazis in anderen Ländern auch, verbreitet die
rechtsradikale englische Partei BNP in letzter Zeit kostenlose Musik-CDs
mit rassistischen Inhalten auf englischen Schulhöfen. Gleichzeitig wissen
immer weniger junge Engländer über die Black-Music-Tradition des Pop
Bescheid. Um ein Zeichen dagegen zu setzen, gaben Babyshambles, MIA, Bloc
Party und viele andere Künstler ihre Songs her. "Love Music - Hate Racism",
so der Kampagnenname, initiierte der NME gemeinsam mit der englischen
Lehrergewerkschaft. Auf der gleichnamigen Homepage werden Konzerte
besprochen, aber auch Informationen über Zeitungsartikel geliefert und auf
Aktionen hingewiesen.
The Clash waren einst Zugpferde der englischen "Rock Against
Racism"-Bewegung. Ihre Mischung aus Agitproptexten, Punk und Reggae, später
auch Hiphop-Elementen, war Ende der Siebziger in den Hitparaden. Es mag
Zufall sein, wenn der New Yorker Musikkritiker und Musiker Sasha
Frere-Jones anlässlich eines Konzerts der kanadischen Indieband Arcade Fire
sehnsüchtig an New-York-Auftritte von The Clash zurückdenkt. Die Band hätte
den Geist der Black Music transportiert, so der US-amerikanische Autor, und
ganze Generationen weißer US-amerikanischer Pophörer der Black Music
nähergebracht. Davon abgesehen, dass dieser musikalische Umweg via England
viel über die gesellschaftliche Realität in den USA aussagt, hat
Frere-Jones damit einen wunden Punkt getroffen. In seiner Polemik über die
zunehmende Ghettoisierung von Indie-Pop - "A Paler Shade of White. How
Indie Rock lost its Soul", erschienen am 22. Oktober im New Yorker -
forscht Frere-Jones nach dem Verbleib der multinationalen Popwurzeln. Die
Aufregung in den Blogs, und nicht zuletzt bei Arcade Fire selbst, ist
seitdem groß. Die Band hat dem Kritiker sogar die mp3-Datei eines neuen,
aus Black-Music-Elementen zusammengesampleten Songs geschickt. Immerhin.
"Warum", so formuliert Frere-Jones, "haben es die weißen Indie-Bands
unterlassen, ihre Gitarren ekstatisch wie die Stimme eines Bluessängers
aufheulen zu lassen? Wo ist der Mehlsack-schwere Downbeat des Reggae bei
den Drummern abgeblieben und wieso verzichten immer mehr Sänger auf eine
elaborierte Bühnenshow, wie sie so charakterisch für Black Music war." Bei
seiner Ursachenforschung landet Frere-Jones Mitte der Neunziger, als
Gangsta-Rap seinen Siegeszug antrat und Charaktere wie Snoop via MTV zu
massenwirksamen Popstars wurden. Im gleichen Maße wie die Bilderwelten des
Hiphop Verbreitung fanden, so argumentiert Frere-Jones, schwand bei den
Indiebands das die Black Music imitierende Rhythmusgefühl, wurde
genreübergreifendes Zitieren und Nachahmen als Stilmittel über Bord
geworfen.
Immerhin gäbe es den Fortschritt zu verzeichnen, dass schwarze Künstler
heute am Erfolg teilhaben. "Rock n Roll war nie Symbol eines höflichen
Händedrucks", schreibt der US-amerikanische Autor und beklagt, dass Indie
zu einer Gated Community geworden sei. Damit sich dies wieder ändert, dafür
ist die Initiative des NME ein erster - wenn auch leicht
sozialarbeiterischer - Ansatz.
15 Nov 2007
## AUTOREN
Julian Weber
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