# taz.de -- global city: New York im Berlin-Fieber | |
> In Scharen strömen die New Yorker zum Festival "Berlin in Lights": | |
> Konzerte, Filme und Vorträge aus der deutschen Hauptstadt sind | |
> ausverkauft. Dabei zeigt das Programm gar nicht das hippe Berlin. | |
Bild: Alles aus Berlin ist angesagt in New York: Das Philharmonische Bläserqui… | |
Unübersehbar prangt mitten in New Yorks Szeneviertel East Village auf einer | |
Häuserwand die Aufschrift "Berlin". Doch mit dem aktuellen Hype um die | |
deutsche Hauptstadt hat das Wandbild nichts zu tun. "Dieses Bild gibt es | |
schon seit mehr als 40 Jahren", erklärt Jimmy Wong, der im Erdgeschoss | |
Küchenutensilien für chinesische Restaurants verkauft. Und tatsächlich: Auf | |
dem Bild ist ein GI abgebildet, der einen Stacheldrahtzaun durchschneidet. | |
In den 60er-Jahren war Berlin für die New Yorker vor allem ein Symbol des | |
Kalten Krieges - und nicht so sehr Inbegriff nachahmenswerter Hoch- und | |
Populärkultur. | |
Heute hingegen pilgern täglich hunderte von Berlin-Fans zu einer | |
Außenstelle des MoMA in einem eher unbelebten Teil von Queens. Dort | |
befindet sich momentan eine Ausstellung zu Rainer Werner Fassbinders | |
Monumentalfilm "Berlin Alexanderplatz". Ähnlich lang sind die Schlangen vor | |
der Eintrittskasse der Carnegie Hall in der 59(th) Street. Dort sind selbst | |
Vorträge über Berlin mit Stadtsoziologen, Kulturpolitiker oder Architekten | |
seit Tagen ausverkauft, für die der Besucher immerhin 25 Dollar berappen | |
muss. Und wenn die Berliner Philharmoniker für ein "Nachbarschaftskonzert" | |
bei der Heilsarmee in Chinatown oder in einem Jugendzentrum in Brooklyn | |
auftreten, dann drängen sich die dortigen Bewohner in die Säle, als würden | |
Wang Fei oder Eminem auftreten. | |
Mit mehr als 50 Veranstaltungen befindet sich New York seit zwei Wochen im | |
Berlin-Fieber. Ideengeber war in erster Linie der Direktor der Carnegie | |
Hall, Clive Gillinson, der das erste Internationale Festival der Carnegie | |
Hall ins Leben rief - und es der deutschen Hauptstadt widmete. Berlin sei | |
so eine "aufregende und pulsierende Stadt, in der so viele spannende Dinge | |
passieren", sagte er zu Beginn des Festivals in einem Interview. Seit dem | |
Mauerfall habe sich Berlin - wie vorher New York - zu einer Art | |
Schmelztiegel entwickelt. | |
"Für Amerikaner ist es interessant, diese außergewöhnliche Explosion von | |
Talenten, Kreativität und Leben zu sehen, die sich in den vergangenen 18 | |
Jahren entwickelt hat", sagte Gillinson, der auch mal Manager des London | |
Symphony Orchestra war, bevor er vor zwei Jahren die künstlerische Leitung | |
der Carnegie Hall übernahm. "Berlin in Lights" taufte Gillinson das | |
Festival, das die gesamte Bandbreite der Berliner Kulturszene - von | |
klassischer Musik und Chanson über Film, Literatur, Architektur bis zur | |
bildenden Kunst - abbilden sollte. | |
Doch so ganz gelang ihm das nicht. Um die spendierfreudige Altherrenriege | |
der Upper-East- und Westside zu bedienen, ist es für die großen | |
Einrichtungen in New York typisch, etwa "La Traviata" in der Metropolitan | |
Oper derart altbacken zu inszenieren, wie es in den Berliner Häusern kein | |
Bühnenregisseur wagen würde. Entsprechend gestrig war auch das | |
Festivalprogramm in den Carnegie-Hallen. Max Raabe und sein Palastorchester | |
eröffneten mit Evergreens aus der Zeit Berlins in den 20ern und gab den | |
Ohrwurm "Mein kleiner grüner Kaktus" zum Besten. Chansonnière Ute Lemper | |
nahm die New Yorker auf eine Zeitreise durch die Weimarer Republik. | |
Höhepunkt des Festivals waren drei Auftritte von Chefdigirent Simon Rattle | |
und seinen Berliner Philharmonikern. Immerhin gehörte der österreichische | |
Komponist Gustav Mahler zu deren Programm, dessen Werke es wenigstens von | |
der Spätromantik in die Moderne geschafft haben. Und das Museum of Modern | |
Art (MoMA) beteiligte sich und zeigte "Neuen deutschen Film", darunter | |
"Lola rennt", "Good Bye Lenin" und "Das Leben der Anderen" von | |
Oskar-Preisträger Florian Henckel von Donnersmarck. Man muss Gillinson | |
lassen: Seine Veranstaltungen waren gut besucht. Und doch stellt sich die | |
Frage: Sieht so wirklich das hippe Berlin aus? | |
Zum Glück gibt es abseits des Festivaltrubels in New York auch ein anderes | |
Berlin-Bild. Gerade in der jungen Künstlerszene von Williamsburg steht | |
Berlin vor allem für experimentierfreudige Kunst. "Wir bewundern Berlin", | |
sagt Rebecca Merethu der Grupo Dance Company in Brooklyn. Sie schwärmt von | |
alten Hinterhöfen, ausgedienten Fabrikgebäuden, vor allem aber von der | |
Gelassenheit der Menschen. In Berlin werde sich Zeit für die Kunst | |
genommen. In New York hingegen seien Proberäume rar, weil sie zu teuer | |
sind. Und immer gehe es ums Geld. Junge Künstler müssten beim | |
Berufseinstieg gleich dafür sorgen, dass tatsächlich Geld in die Kasse | |
kommt, sagt die Hobbytänzerin, die ihren Lebensunterhalt mit einem Bürojob | |
in Midtown bestreitet. "Das hemmt." Mikah, Fotoredakteur bei Vanity Fair, | |
bestätigt: "Wer hier nicht mindestens 100.000 Dollar verdient, kann in | |
Manhattan nicht mal eine Familie gründen." | |
Schauen Sie sich Soho und selbst viele Teile von Williamsburg an, sagt auch | |
der Galerist Ellie Barnes. "Alles geleckt, die angebotene Kunst ist aber | |
eher belanglos." Bis vor zehn Jahren sei New York vielleicht noch das große | |
Kunstzentrum gewesen, sagt Barnes. Heute sehe er in Berlin viel mehr | |
Potenzial. | |
Und so könnte das alte Wandbild aus den 60er-Jahren im East Village doch | |
etwas mit dem derzeitigen Hype zu tun haben. Denn auch das ist New York: | |
Nichts hat lange Bestand, was nicht gerade angesagt ist. Das Wandbild mit | |
der Berlin-Aufschrift hätte also eigentlich längst verschwunden müssen. | |
16 Nov 2007 | |
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Tom Tykwer | |
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