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# taz.de -- Hybrid sein statt assimilieren: "Die Leute wollen teilnehmen"
> Assimilation ist keine Einbahnstraße, sagt der Theoretiker Homi K.
> Bhabha. Um die Auswirkung des britischen Kolonalismus zu überwinden,
> brauche es Zeit - und die Anstrengung aller.
Bild: Selbst die Queen geht auf die Sikh zu. Zumindest beim Staatsakt.
taz: Herr Bhabha, Sie gelten als Vordenker der kulturellen Hybridität. Ist
es ein Erfolg für Sie, dass das überwiegend englische Publikum bei einer
Podiumsdiskussion mit Ihnen, Stuart Hall und Salman Rushdie vehement sein
Englischsein bestritt und auf seiner kulturellen Vermischung bestand?
Homi Bhabha: Es ist ein großer Erfolg, wenn man es vom Alltagsleben, von
der Alltagskultur aus betrachtet. In vielen Ländern Europas einschließlich
England findet man im täglichen Leben einen hohen Grad an Austausch und
Zirkulation von unterschiedlichen Kulturen, die an einer gemeinsamen
öffentlichen Sphäre teilnehmen. Zur gleichen Zeit haben wir jedoch einen
anderen Geist, den diese Art der Hybridisierung verängstigt. Er versucht,
diese kontinuierlich einzuschränken. Er tut dies in regionalen, in
nationalen oder im schlimmsten Fall in rassistischen Kategorien. Und wir
müssen inmitten dieses Widerspruchs, dieses Konflikts leben. Wenn Sie also
von einem Erfolg reden, dann muss man beide Seiten in Betracht ziehen.
Trifft dies nur auf entwickelte Länder zu?
In Indien etwa gibt es dieselbe Auseinandersetzung. Auf der einen Seite
haben wir eine Liberalisierung des indischen Markts. Viele Menschen kommen
aus der ganzen Welt, um Geschäfte in Indien zu machen, um sich in Indien
niederzulassen. Hewlett Packard hat einen ganzen Forschungs- und
Entwicklungszweig in Indien etabliert. Es gibt eine sehr hybridisierte
Kultur mit allem, was dazugehört - Weltmusik, Klubs, internationale Küche.
Gleichzeitig gibt es regionalistische und hindufundamentalistische
Parteien. Wir leben in einer seltsamen Periode des Übergangs, in einem
anhaltenden Konflikt zwischen Kräften der Hybridisierung und Kräften der
Homogenisierung.
Beschreibt Ihr Konzept der Hybridität die Identität von Minoritäten, oder
beschreibt es die Funktionsweise moderner Gesellschaften?
Es beschreibt sicherlich beides, insofern die moderne Gesellschaft eine
Gesellschaft ist, die durch die Erfahrungen der Minoritäten tief gehend
beeinflusst und erschüttert wurde. Wir denken bei Minoritäten an Migranten
oder an Flüchtlinge, die kamen, um sich innerhalb westlicher Länder
niederzulassen. Aber es gibt eine andere Art der Minoritäten. In der
Periode des Empires, die auch die Periode des Aufkommens der Moderne war,
wurden in manchen Ländern die Begriffe der Nation, der nationalen Kultur,
der Individualrechte, der Staatsbürgerschaft formuliert. Das war genau
dieselbe Zeit, als genau dieselben Länder sich in Asien, in Afrika, in
Südasien in der Etablierung von Kolonien verstrickten. An einem Ort
brachten sie Staatsbürger hervor, und an einem anderen Ort koloniale
Subjekte. Wenn wir also von Minoritäten sprechen, müssen wir an diese
Doppelnatur, diese doppelte Identität der Moderne denken. Das Thema der
Minorität und das Thema der Moderne gehen Hand in Hand.
Wir hören hierzulande immer wieder die politische Forderung nach
Assimilation der Migranten. Zeigt nicht Ihr Begriff der Mimikry - die
Anpassung stellt nicht ganz gleiche, sondern nur ähnliche Subjekte her -,
dass Assimilierung zu einem Bumerang werden und sich in Subversion
verwandeln kann?
Ja natürlich! Wenn zwei verschiedene Menschen aus verschiedenen Teilen der
Welt erfolgreich zusammenleben wollen, dann wird es immer Aneignung und
Entfremdung gleichzeitig geben. Denn man kann den Leuten nicht formale
Rechte geben, ohne dass diese Leute, die von anderswo herkommen und sich
diesem Land nun zugehörig fühlen, die ihre Steuern zahlen, die Ärzte oder
Lehrer sind, diese Kultur auch gestalten wollen. Assimilierung ist keine
Einbahnstraße. Es ist eine mehrspurige Autobahn.
die noch dazu in verschiedene Richtungen führt.
Ja, und das macht es nicht einfach. Es macht es kompliziert. Die Leute
denken, dass der politische Zugang ausreichend sei. Aber die politische
Sprache ist eine sehr spezifische. Sie ist sehr stark ausgerichtet auf das
Funktionieren des Staates und der Regierung, aber der politische Diskurs
hat den wichtigsten Bereich der Assimilation nicht erreicht. Er beschäftigt
sich nicht mit dem komplizierten Sachverhalt, wie Kulturen einander
übersetzen und einander verändern, er beschäftigt sich nicht mit der
emotionalen und affektiven Reaktion der Leute auf die Migration. Die Leute
fühlen sich geschreckt, die Leute fühlen sich gedemütigt. Und all diese
politischen Emotionen - denn es sind politische Emotionen - sind sehr
selten Teil des politischen Diskurses.
In Ihrem Konzept erscheint Diaspora meist als Widerstand. Benedict Anderson
hingegen hat im Rahmen dieser Reihe den spezifischen
Long-Distance-Nationalismus der Diaspora betont. Ist dieser nicht eine
Abwehr der Hybridität seitens der Diaspora?
Mein Begriff des Widerstands beginnt bei der reinen Verwendung, denn Leute
wollen nicht nur verwendet werden, sie wollen auch teilnehmen. Die andere
Seite des Widerstands ist Teilnahme. Aber sobald sie das versuchen, hören
sie sofort: Geht dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid. Was meinen Sie
genau mit Long-Distance-Nationalismus?
Dass Leute, die in der Diaspora leben, oft viel nationalistischer sind als
die Leute in den Heimatländern. Die Diaspora-Situation befördert nicht nur
eine hybride Identität, sondern auch deren genaues Gegenteil.
Das stimmt. Aber wir müssen hier zwei Aspekte unterscheiden. Zunächst
einmal einen positiven: Sie haben einen Teil ihrer Familie in Indien oder
anderswo, und selbst wenn sie zweite oder sogar dritte Generation sind,
haben sie Bindungen, kulturelle Bindungen, Erinnerungen - der Bezug zum
Herkunftsland ist ein Bezug durch die Erinnerung, selbst wenn es das Land
ihrer Eltern ist, selbst wenn sie es nicht selbst erlebt haben. Damit ist
man Teil eines neuen Weltbürgertums.
Aber es gibt Zeiten, wo dieses neue Weltbürgertum sich zu einem neuen
Nationalismus verhärten kann. Dafür kann es viele Gründe geben. Einer der
Gründe mag sein: Je weniger man sich dem Land, in das man emigriert ist,
zugehörig fühlt, desto mehr versucht man, aus der Distanz, aus der langen
Distanz, sich selbst eine Identität zu geben, die auf das Land der Herkunft
fokussiert ist. Es handelt sich also oft um eine Kompensation des Gefühls
der Entfremdung, der Nichtzugehörigkeit zu dem Land ihrer Migration. Das
ist nicht einfach ein Long-Distance-Nationalismus. Das ist nur der Name für
einen sehr komplexen Prozess einer gespaltenen Zugehörigkeit. Wenn man eine
Spaltung in der Zugehörigkeit hat, bedeutet das eine Unsicherheit. Das kann
zu einer obsessiven Bindung an eine Seite der Spaltung führen.
Haben die Ereignisse von 9/11 die Theorie der Hybridität erschüttert
Es gab damals viele Angriffe auf den Postkolonialismus - etwa seitens der
Vertreter eines Kampfs der Kulturen. In meiner Sicht stellt aber 9/11 eine
Gelegenheit dar, mehr über kulturelle Übersetzung und kulturelle
Hybridisierung nachzudenken. Alle Leute, die in 9/11 verstrickt waren, ob
als Täter oder als Unterstützer, waren an eine Reihe von kulturellen
Überzeugungen gebunden. Manche von ihnen waren sehr religiös in einem
traditionellen Sinn, gleichzeitig waren sie sehr erfahren in moderner
Technologie und einer modernen Denkweise. Viele von ihnen haben lange in
westlichen Gesellschaften gelebt oder wurden hier geboren und ausgebildet.
Kulturelle Hybridisierung, egal welchen Grades, ist also Teil der Kultur
der Welt. Die Herausforderung ist nun, darüber nachzudenken, unter welchen
Umständen die Kombination kultureller Perspektiven kreativ oder aber
destruktiv macht. Das ist die wahre Frage.
19 Nov 2007
## AUTOREN
Isolde Charim
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