# taz.de -- Warenkunde: Wie funktioniert Céline Dion? | |
> Nach vier Jahren in Las Vegas hat Céline Dion ein neues Album | |
> veröffentlicht: "Taking Chances" ist eisig produzierter Perfektionspop. | |
> Und die Sängerin selbst? | |
Bild: "Nebelkrähe für Sekretärinnen" oder "Storch auf LSD" - die Dion hat vi… | |
Das wird ja gern mal zum Thema Las Vegas fantasiert. Eine Spielhölle, | |
überhaupt ein Vorhof zu einem Dasein jenseits guter Sitten. Mord & | |
Totschlag, Puffs, Drogen, Suff, Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Dean | |
Martin, Verderbtheit - und jede Menge Entertainer, die dort im Spätherbst | |
ihrer Laufbahnen eine Art letzte Raststätte bekommen. Las Vegas - das gilt | |
als altes Flittchen unter den Siedlungen Nordamerikas, da aufzutreten muss | |
doch ein Abgesang schlechthin sein. | |
Liberace etwa, Engelbert Humperdinck, jedenfalls keine Figuren von | |
popästhetischem Belang. Und dann vor fünf Jahren die Frankokanadierin | |
Céline Dion. Die Nachricht kam ja nicht unerwartet. Was hätte nach ihrem | |
Monsterhit "My Heart Will Go On" noch kommen sollen? Eben - Last Exit Las | |
Vegas. | |
Sie erhielt dort einen Vierjahreskontrakt. Im Dezember hört sie nach | |
eigenem Bekunden auf, ihr folgen ins Amphitheater einer Hotelanlage Cher | |
und Bette Midler - notgedrungen. Wäre es nach den Managern ihres Programms | |
gegangen, hätte die Dion noch sehr lange weitermachen können. Aber sie | |
mochte nicht. Sie habe sich beweisen wollen, dass sie vier Jahre an einem | |
Ostorchrt aushält, Nachmittag für Nachmittag, Abend für Abend, fünf Tage | |
die Woche, der Urlaub immer begrenzt. Und sie hat es getan. Keine | |
Vorstellung, die einer körperlichen Unpässlichkeit wegen ausfallen musste, | |
keine Publikumsenttäuschung, Vorhang für Vorhang Applaus, zufriedene | |
Menschen. Die Dion sagt, an einem Ort zu bleiben, sei auch wichtig für ihr | |
Kind gewesen - diese ewige Tingelei hätten die Kleinen doch schnell satt. | |
Schon diese Passage könnte Respekt abnötigen, weil sie die Geschichte einer | |
Poparbeiterin erzählt, welche möglicherweise in puncto verhuschter Grazie, | |
der Aura von moderner Damenhaftigkeit oder moderner Szenegängerin nicht die | |
erste Adresse ihres Geschäfts ist, da sind ihr doch immer noch Barbra | |
Streisand, Mariah Carey oder Madonna überlegen. Céline Dion aber war nie | |
eine andere als eine Frau, die über das gewisse Etwas verfügt, welches sie | |
zum Popstar der Neuzeit schlechthin macht. Sie hat Stimme, eine, die über | |
fünf Oktaven verfügen kann, ein Organ, das ihr, Spross einer vielköpfigen | |
Familie aus dem ärmeren Teil Québecs, ein mehr als auskömmliches Leben | |
beschert. | |
In Nordamerika wäre all das schon Kompliment genug, etwa versehen mit den | |
Worten: Mensch, Mädchen, klasse gemacht. Oder: Super - 25 Jahre im | |
Showbizz, das macht dir so schnell keine nach. In Europa gereicht ihr das | |
alles irgendwie zum Nachteil. Man attestiert ihr, eine "Hausfrau mit | |
Mordstalent" zu sein, eine "Nebelkrähe für Sekretärinnen", die "Doris Day" | |
des singenden Seichtgewerbes, eine Mutter, die "abends ein bisschen singen" | |
gehe, welcher es "nur an Persönlichkeit" fehle, denn "vielleicht" sei | |
Céline Dion "zu perfekt", denn "bieder würde man sie nennen, wäre sie kein | |
Weltstar", einfach ein "Storch unter LSD". Jetzt kündigt sie ihre neue CD, | |
fünf Jahre nach der letzten Veröffentlichung neuen Materials, an, sie habe | |
mal Rockiges singen wollen. Schwer genug für sie, überhaupt Stoff dieser | |
Sorte präsentiert zu bekommen, "die schicken mir ja sonst immer nur | |
Balladen". Und man rümpft wieder die Nasen. Rock? Dion? Nichts als Anmaßung | |
von einer, die in ihren Liedern alles Gewicht auf technische Perfektion | |
legt, nicht auf so etwas wie persönliche Färbung, auf ein Timbre, das eine | |
gewisse Verbundenheit mit dem raueren Genre zeigt. | |
Seit Mitte Oktober wird sogar schon für ihre Tournee im kommenden Jahr | |
plakatiert, Halt macht sie dann nur in Stadien - wo sonst? Seltsam sieht | |
sie scheinbar aus. Das Bild zeigt sie als fast dürre Enddreißigern, die | |
man, schlecht gelaunt, als viel zu dunkel geschminkt wahrnehmen kann, die | |
Frisur auf Big Hair toupiert; die Augen könnten auf eine leider nur | |
gewisse, nicht ernst zu nehmende Verruchtheit schließen lassen. Aber wie | |
sollte das auch gehen? Eine Sängerin, die alles hat, was man als | |
Berufstätige so erreichen kann, kann nicht ernsthaft die drogenverzickte | |
Wiedergängerin einer Janis Joplin geben - man nähme sie ihr ohnehin nicht | |
ab. Was sie aber, mit erfahrenen Liedschreibern wie David A. Stewart | |
(Ex-Eurythmics), Linda Perry (Pink-Nährerin) oder Anders Bagge aus Schweden | |
im Rückraum, beglaubigt, ist die Historisierung dieser Sorte | |
Unterhaltungsmusik, des Rocks, der sich auf seine Wildheit imagemäßig viel | |
zu lange viel zu viel eingebildet hat. | |
Die Dion gibt also nun auf den Plakaten die beste Rocksängerin, die es | |
zeitgenössisch geben könnte. Um den Hals trägt sie eine grobe Stahlkette, | |
die nackte Rückenpartie auf dem Cover ihrer CD mit dem Titel "Taking | |
Chances" weist sie als fleißige Gewichtstemmerin aus - eine Businessfrau, | |
die in einem Konzern vier Jahre auf der Zahlrolle stand und nun wieder als | |
Selbstständige unterwegs sein will. Und das wiederum ist so modern, wie es | |
eben nur gehen kann. Die Dion, so gesehen, ist die Inkarnation dessen, was | |
die nonfeministische Frauenbewegung als wichtigste Ikone im Pop geboren | |
hat. Eine ohne all die Flausen im Kopf, welche Authentizität für wichtig | |
halten, welche echte biografische Katastrophen unbedingt besingen wollen - | |
nein, Céline Dion hat keine üble Biografie zu überliefern. Einzig, dass sie | |
noch 1988, als sie den Eurovision Song Contest gewann, wie ein wirr | |
gekämmtes Aschenputtel im Kommunionskleid aussah, mag ihre Suche nach einem | |
guten Lebensweg als hinterlassene Spur bewahrheiten. Aber sonst? Alles nur | |
Aufstieg einer offenkundig wenig depressiv gestrickten Person; nichts, was | |
ihr wirklich im Wege stand, selbst jene Kritiker, die sich früh an ihren | |
Allüren - sie liebt Schuhe über alles, tausende soll sie ihr eigen nennen, | |
außerdem findet sie Trickfilme toll, überhaupt das Leben als solches - | |
störten. Sogar ihre absolut glucksend vor Glück absolvierte Ehrung als Teil | |
des Walk of Fame in Hollywood fanden manche enervierend frei von schrillen | |
Charakterzügen. | |
Nur ihre - körperlich kenntlich durch ihre schmale Statur - Neigung zu | |
einer gewissen Magersucht deutet verhaltene, wenn auch strikt gebändigte | |
Leidenschaft an. Die "Stahlbaronin", als die man sie ihrer klaren Stimme | |
wegen zieh, die mit ihrer kumpeligen Überherzlichkeit auf der Bühne wie im | |
persönlichen Kontakt irgendwie kontaktlos wirken, leistete sich allerdings | |
jüngst einen Ausraster, den man ihr nicht zugetraut hatte. Da war sie zu | |
Larry King in dessen Talkshow per Übertragung aus Las Vegas eingeladen, | |
zugeschaltet schließlich live die halbe Nation. Man erwartete von ihr | |
karitativ kostbare Worte, etwa über das Leid von Kindern in der Welt und | |
dass man es durch Spenden lindern müsse. Und plötzlich brach sie wütend, in | |
mimisch entgleisendem Zorn, in Tränen aus, verfiel in eine kaum inszenierte | |
Tirade wider die Versager in der Krise um das überschwemmte New Orleans. | |
Was denn das für ein Land sei, das sein Militär überall hin schicke - aber | |
unfähig, es auch zu den Notstandsgebieten im Süden der USA zu entsenden, um | |
dessen Menschen vor dem Elend nach dem Hurricane "Katrina" zu bewahren. | |
Manche sagten später, keine habe die konservativen Schnösel, die Ignoranten | |
der Bush-Regierung in Washington besser treffen können. Aber sei sie nun | |
politisch? Die Dion ist nicht bescheuert, schließlich ist ihr Produkt, das | |
sie verkörpert, kein Agitprop für eine Seite des politischen Spektrums. Sie | |
sagte nur: "Ich politisch? Ich fand nur absurd, weshalb wir in zwei | |
Sekunden Menschen umbringen können - aber Tage brauchen, um mit | |
Hubschraubern Menschen zu retten." | |
Nein, sie passt nicht in ein politisches Raster, das Europäer so lieben - | |
als so eine Art tönende Gutmenschin mit Las-Vegas-Faktor plus | |
Walt-Disney-Künstlichkeitsflair. Aber sie war auch nicht dagegen, dass das | |
Hillary-Clinton-Team ihren Song "You & I" zur Hymne der | |
Präsidentschaftskandidatur ausgesucht hat. Und das passt andererseits | |
makellos auf die Haut der Dion: Wie die Clinton schätzt sie ein Leben ohne | |
Alkohol, Koks und Nikotin, hält auf die Werte der Familie, schätzt das neue | |
Selbstbewusstsein von Frauen als ein Lebenselixier und findet ein Leben, | |
das nach dem Credo "Lebe schnell, stirb früh" am gelungensten scheint, | |
scheußlich. "Ich lebe so gern. Für mein Kind. Für meinen Mann. Für meine | |
Fans. Und für mich sowieso. Was soll daran falsch sein?" | |
Céline Dion kann darauf bauen, dass ihre Stadien im nächsten Jahr auch in | |
Deutschland ausverkauft sein werden. Ihre CD "Taking Chances", | |
ausschnitthaft neulich bei "Wetten, dass?" zu hören, ist ein gutes Geschenk | |
für alle, die eisig-perfekt produzierten Pop für keine Schande halten. Es | |
hört sich gut an, fein ausgesteuert, die Stimme ohne jeden Tadel. Ihr hat | |
Las Vegas nur gut getan. | |
19 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
Jan Feddersen | |
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Weihnachten | |
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