# taz.de -- Polizisten gegen Schengen-Erweiterung: Freie Fahrt für Fremdenangst | |
> In Brandenburg demonstrieren 1.000 Polizisten gegen den Wegfall der | |
> Grenzkontrollen. Sie befürchten eine erhöhte Kriminalitätsrate und drohen | |
> mit "Terroristen" aus Osteuropa. | |
Bild: Gegen Schengen und Schäuble: Polizisten demonstrieren in Frankfurt. | |
FRANKFURT (ODER)/ZINNWALD taz Es ist ein ungewöhnlicher Einsatz, zu dem die | |
Polizisten am Mittwoch in der Grenzstadt an der Oder angetreten sind. Statt | |
mit Pistolen und Knüppeln haben sie sich mit Trillerpfeifen und | |
Transparenten bewaffnet. "Wir demonstrieren heute gegen den | |
Bundesinnenminister Schäuble und seine völlig unschlüssige | |
Sicherheitspolitik", ruft ein Polizeigewerkschafter ins Megafon. "Uns ist | |
es wirklich ernst!" Die Menge pfeift und johlt. "Die Situation hier wird | |
nach dem 21. Dezember nicht sicher sein!" Beamte halten ein Transparent in | |
die Luft: "Offene Grenzen ja - keine Freifahrt für Terrorismus und | |
Kriminalität" steht darauf. | |
In einem Monat soll hier an der deutsch-polnischen Grenze ein weiterer | |
Schritt auf dem Weg zur europäischen Einigung vollzogen werden: | |
Passkontrollen werden abgeschafft, die Reise nach Polen soll so | |
unkompliziert sein wie nach Frankreich oder Österreich. Ein "Glück für | |
Deutschland" sei das und ein Grund zum Feiern, verkündet | |
Bundesinnenminister Schäuble seit Wochen. Doch just seine Untergebenen | |
wollen nicht mitjubeln. Es sei fahrlässig, hunderte Beamte von der Grenze | |
abzuziehen, warnen sie. | |
Es ist verkehrte Welt. Denn dass Schäuble die Terrorgefahr kleinredet und | |
die Sicherheit der Bürger aufs Spiel setzt, muss sich der CDU-Mann selten | |
vorhalten lassen. Zumal er in guter Gesellschaft ist. Auch sein | |
Brandenburger Amtskollege Jörg Schönbohm heißt das Ende der Grenzkontrollen | |
gut. Seit Wochen versichern die Minister, die Lage bleibe auch nach dem 21. | |
Dezember sicher. Die Kampagne der Polizeigewerkschaften sei | |
"rückwärtsgewandt" und "europafeindlich", ätzte Schönbohm. Einigen Beamten | |
gehe es wohl eher darum, die geplante Reform der Bundespolizei zu | |
torpedieren. | |
Ein Spiel mit der Angst im privaten Interesse also? Das weisen die | |
Organisatoren der Demonstration von sich. Allerdings macht Lars Wendland | |
von der Gewerkschaft der Bundespolizei in Frankfurt kein Hehl daraus, dass | |
auch persönliche Sorgen die Beamten auf die Straße treiben. Denn Schäuble | |
plant, im Zuge der Polizeireform und der Schengen-Erweiterung zahlreiche | |
Beamte von der Ostgrenze abzuziehen. An der brandenburgisch-polnischen | |
Grenze drohe bis zu 900 der 2.100 Sicherheitskräfte die Versetzung, unkt | |
Gewerkschafter Wendland. "Es wird Kollegen treffen, die hier seit langem | |
sesshaft sind." | |
Schäubles Ministerium nennt die Zahlen der Gewerkschafter "nicht seriös". | |
Die Demonstration richte sich gegen eine "gefühlte drohende Veränderung", | |
schließlich sei die Polizeireform nicht spruchreif. Im Übrigen sollten die | |
Grenzposten nicht einfach geschlossen, sondern durch mobile | |
Polizeieinheiten ersetzt werden. Die Kriminalität, prophezeit das | |
Bundesinnenministerium, werde so sogar sinken. | |
Ähnlich argumentiert Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) - | |
zumindest seit kurzem. Denn ursprünglich hatte auch die Union in Sachsen | |
die Beibehaltung der Grenzkontrollen gefordert. Doch davon ist Buttolo | |
abgerückt. So versicherte er Kommunalpolitikern bei einem Ortstermin am | |
Grenzübergang Zinnwald, nach dem 21. Dezember werde sich nicht viel ändern, | |
von einem "Zugewinn an Freiheit" abgesehen. Die Grenzlinie werde durch | |
einen Grenzraum ersetzt, statt stationärer werde es dreimal so viele mobile | |
Kontrollen geben. "Und wer bislang eine Straftat begehen wollte", witzelte | |
Buttolo, "hat vorher ja auch nicht seinen Ausweis gezeigt." | |
Selbst anwesende Polizeifunktionäre äußerten sich kritisch über die | |
Kampagne ihrer Kollegen: "Da werden Süppchen gekocht, die mit Schengen gar | |
nichts zu tun haben", sagt ein hoher Beamter der Bundespolizei, das sei | |
"Panikmache". Und Landespolizeipräsident Bernd Merbitz bekräftigt, kein | |
einziger sächsischer Polizist werde seine Stelle im Grenzgebiet verlieren. | |
Er könne die Klagen der Kollegen inzwischen kaum noch hören. | |
Welche Terroristen nach dem 21. Dezember ungebremst nach Westen düsen | |
könnten, darauf weiß auch der Organisator der Frankfurter Demo, Lars | |
Wendland, keine Antwort. "Uns geht es nicht konkret um die Terrorzelle A | |
oder B", sagt er, "uns geht es darum klarzustellen: Die Grenze wird zu früh | |
aufgemacht." Im Übrigen stoße die Gewerkschaft bei ihrem Protest auf | |
Verständnis in der Bevölkerung, viele hier fürchteten sich vor den offenen | |
Grenzen. | |
Bei den Kundochs weckt der Protestzug der Beamten durch Frankfurts | |
Innenstadt in der Tat keine Vorfreude. Hand in Hand steht das ältere | |
Ehepaar am Straßenrand und schaut zu. Viermal schon sei in ihren Bungalow | |
eingebrochen worden, sagt Erika Kundoch. "Demnächst sind die Gauner dann | |
noch schneller weg. Dann wird das noch schlimmer mit der Kriminalität!" | |
Ginge es nach ihr, würde die Schengen-Erweiterung abgeblasen: "Wir haben | |
kein Problem damit, unsere Ausweise vorzuzeigen." | |
Der Frankfurter Oberbürgermeister Martin Patzelt hält solche Ängste für | |
übertrieben. Natürlich horchten die Menschen auf, wenn just die Polizei | |
solche Warnungen verbreite, sagt der CDU-Politiker. Aber von großer | |
Besorgnis in der Stadt könne keine Rede sein. "Ich glaube, dass es wirklich | |
Zeit ist für die Schengen-Erweiterung", sagt er. "Wir haben keinen Grund, | |
Polen weiter zu diskriminieren." | |
Auch die polnischen Grenzbeamten sehen keinen Grund zur Panik. "Ich freue | |
mich auf den 21. Dezember", sagt ein Sprecher des polnischen Grenzschutzes, | |
der am Kontrollposten Frankfurter Stadtbrücke Dienst tut. Er strahlt. "Ich | |
sage das nicht nur als Beamter, sondern auch als Bürger - ich reise einfach | |
gerne." Elf Länder Europas kenne er bisher, "es sind also noch viele | |
übrig". | |
22 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
A. Geisler | |
M. Bartsch | |
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