# taz.de -- Backpacker-Film "Hotel Very Welcome": Das mobile Herdentier | |
> Der Individualreisende will eigene Wege gehen, folgt aber doch nur den | |
> Ratschlägen von "Lonely Planet". Ein melancholischer und umwerfend | |
> komischer Film über Asienreisende. | |
Bild: Auch Touristen sind nicht gern allein. | |
Individualtourismus ist Welterkundung für Überzeugungstäter. Keine | |
Massenabfertigung in Bettenburgen, keine Pauschaltarife, kein vorgegebenes | |
Tagesprogramm, keine Getränke inklusive. Der Individualtourist reist mit | |
nichts als seinem Rucksack und dem festen Glauben, dass die wahre Begegnung | |
mit der Fremde nur auf eigene Faust und Rechnung zu gewinnen sei. Sein | |
wichtigstes Utensil ist ein zerfledderter Reiseführer von Lonely Planet, | |
der ihm sagt, wo das günstigste Essen, die nächste Trekkingtour und die | |
billigste Übernachtung zu haben sind. Nämlich da, wo alle anderen dann auch | |
hingehen, weil nämlich alle dasselbe Handbuch lesen und weil der Mensch auf | |
diesem Planeten nun einmal nicht gern lonely ist. Und so ist der | |
Individualtourist eigentlich ein Herdentier, ein mobiles Kollektiv, das in | |
der Fremde vor allem einem begegnet: sich selbst. | |
"Hotel Very Welcome" von Sonja Heiss erzählt in parallel verwobenen | |
Episoden die Ab-, Irr- und Umwege von fünf Backpackern, die in Südostasien | |
zwischen Rave und Yoga, zwischen Langeweile und Sinnsuche, zwischen Flucht | |
und Frustration unterwegs sind. Voller liebevoller Ironie und mit einer | |
gehörigen Portion lakonischem Humor porträtiert der Film eine Generation, | |
die Abenteuer sucht in einer globalisierten und durchorganisierten Welt, in | |
der selbst im entlegensten thailändischen Dorf ein Geldautomat aufgestellt | |
ist. Marion (Eva Löbau) schaut in ihrem Wellness-Hotel am Pool den | |
einheimischen Putzkräften beim Arbeiten zu, läuft in violetten Gewändern | |
durch die Meditationskommune und will ihr Sexualchakra entfesseln - | |
immerhin hat sie sich von ihrem Freund gerade eine "Auszeit" erbeten, wenn | |
auch nur auf Probe. | |
Der Brite Adam (Gareth Llewelyn), der in einer Bar über Satellitenfernsehen | |
eben den Sieg seines heimischen Fußballvereins mitverfolgt hat, brüllt | |
betrunken und einsam "Liverpool, Liverpool!" durch die leeren Straßen. Der | |
Ire Liam (Chris ODowd) kämpft in der Wüste gegen eierlegendes Ungeziefer, | |
freundet sich mit dem Fremdenführer an und verkündet, eines Tages nach | |
Indien auszuwandern. Vielleicht aus Liebe zum Land, vielleicht aber auch, | |
weil zu Hause ein neugeborenes Kind auf ihn wartet, das er nicht gewollt | |
hat. Währenddessen verliebt sich Svenja (Svenja Steinfeld) in ihrem | |
Hotelzimmer in Bangkok in die Stimme des Fluglinienangestellten, der es | |
auch nach mehreren Anläufen nicht schafft, ihr einen Ersatz für den | |
verpassten Rückflug zu buchen. | |
Die Regisseurin und Drehbuchautorin Sonja Heiss war selbst lange Zeit als | |
Rucksacktouristin unterwegs. Die Erfahrungen, die ihre Helden machen, | |
werden auch ihre gewesen sein. Zwar liegt dem Film ein Skript zugrunde, | |
aber die Schauplätze, Situationen und Nebenfiguren sind durchweg aus dem | |
Leben gegriffen. Rollen und Szenen wurden gemeinsam mit den | |
Hauptdarstellern entwickelt, die improvisierend auf Vorgegebenes reagieren | |
mussten. Die Genauigkeit der Beobachtung rührt daher genauso wie die | |
kritisch-distanzierte wie mitfühlende Haltung des Films, den seine Macherin | |
selbst als "Tragikomödie" bezeichnet. | |
Weil er trotz allem die kleinen und größeren Leiden der Besucher aus den | |
Wohlstandsländern ernst nimmt und weil er ihre skurrilen Missgeschicken und | |
absurden Begegnungen nicht einer klamaukösen Nummerndramaturgie unterwirft, | |
gelingt "Hotel Very Welcome" der seltene Spagat, ein zugleich | |
melancholischer und umwerfend, ja mitunter brüllend komischer Film zu sein, | |
der zudem mit einem exzellenten Soundtrack (Justine Electra, Phonophani, | |
Electric Universe u. a.) aufwarten kann. Da kriegt man, entgegen der | |
Botschaft des Films, zum kalten Winterbeginn doch schon wieder Fernweh. | |
4 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Dietmar Kammerer | |
## TAGS | |
Backpacker | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Co-Gründer des Verlags Lonely Planet: „Reisen bewirkt auch Gutes“ | |
Vor 50 Jahren fuhr Tony Wheeler von London bis nach Australien. Daraus | |
entstand der Reisebuchverlag Lonely Planet. Internet und Klimakrise | |
änderten vieles. |