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# taz.de -- Wachschutz an Berlins Schulen: Kampfsportler vorm Schultor
> An Neuköllns Schulen gibt es seit Montag uniformierte Wachleute. Viele
> der Schützer sind Migranten und sprechen Türkisch oder Arabisch.
Bild: Amerikanischen Verhältnisse? Wachschutz an Berliner Schule.
BERLIN taz Spricht man mit Marlis Meinicke-Dietrich, bekommt man den
Eindruck, die Menschen seien böse. "Wir sind umgeben von einer Außenwelt,
die in weiten Teilen unfriedlich ist", sagt sie. Ein Satz, der zumindest
befremdet. Schließlich ist Meinicke-Dietrich Schulleiterin. Und da würde
man erwarten, dass sie von der Freude am Lernen schwärmt. Oder wie
unbeschwert die Kindheit ist.
Doch ihre Schule, die Röntgen-Realschule, liegt im Berliner Stadtteil
Neukölln. Seit dem Warnschrei der Lehrer an der Rütli-Hauptschule vor
eineinhalb Jahren steht dieser deutschlandweit im Ruf, ein Problembezirk zu
sein.
Seit Montagfrüh stehen dort nun an 13 Schulen private Wachschützer. Sie
sollen vor allem dafür sorgen, dass keine "Schulfremden" aufs Schulgelände
kommen, um zu pöbeln und zu prügeln. Verhindern also, dass die böse Welt in
die Schulen schwappt. Ein bundesweit so einmaliges wie umstrittenes
Projekt. Vor "paramilitärischen Einheiten" warnten Kritiker. Und vor
"amerikanischen Verhältnissen", die demnächst in Deutschland herrschten,
wenn weitere Schulen dem Beispiel folgten.
Christopher Kern, 21, und Önder Öztürk, 28, heißen die beiden Männer, die
von nun an täglich vor der Röntgen-Schule stehen. Kern war Zeitsoldat bei
der Bundeswehr, danach kontrollierte er Fahrkarten. Öztürk hatte ein
eigenes Café. Viele der Wachschützer sind Migranten und sprechen Türkisch
oder Arabisch. Nun sind die beiden Schul-Sheriffs. Eine Woche
Deeskalationstraining hat sie auf ihre Aufgabe vorbereitet. Am ersten Tag
wollen sie erst mal die Schüler kennen lernen, die an ihnen vorbei durchs
Schultor gehen und die beiden in ihrem Outfit mit der Aufschrift "Germania
Wachschutz" mustern. "Könnt ihr Kampfsport? Tragt ihr Waffen?", fragen sie.
Die Antwort: Kampfsport ja, Waffen nein. Zu einem kleinen Zwischenfall
kommt es am ersten Tag. Ein Jugendlicher hat keinen Schülerausweis - also
fliegt er vom Schulgelände. Angesäuert zieht der Teenie davon: "Ich geh ja
schon, Mann", ruft er.
Wie es ist, wenn die Gewalt auf den Schulhof schwappt, weiß Detlev
Bachmann, 55, aus eigener Erfahrung. Bachmann ist Erdkundelehrer an der
Röntgen-Schule. Kariertes Hemd, Jeans, Brille, Dreitagebart. Im Juli schlug
ihn ein Jugendlicher nieder, der von außerhalb an die Schule kam. Bachmann
wollte einen Streit schlichten - und bekam eine Faust ins Gesicht, ein Knie
ans Ohr, zwei Wochen lang konnte er kaum hören. Der Fall sorgte bundesweit
für Aufsehen. "Wenn Ihnen so etwas passiert, sehen Sie die Dinge anders",
sagt Bachmann im Rückblick.
Ein Einzelfall? Oder nimmt die Gewalt an Schulen tatsächlich zu? Berlin ist
das einzige Bundesland, das seit 1992 eine Statistik über Gewalttaten an
Schulen führt. Auf den ersten Blick sind sie dramatisch. Im Schuljahr
2005/06 zählt die Stadt rund 1.600 Delikte gegen Schüler - sechsmal so
viele wie sechs Jahre davor. Bei Lehrern wurden im letzten Jahr rund 370
Gewalttaten gegen Lehrer verzeichnet - auch eine Versechsfachung zu
2001/02. Doch die Statistik ist mit Vorsicht zu genießen. Die steigende
Zahl der Fälle kann auch auf die gestiegene Sensibilität an den Schulen
zurückzuführen sein - sie melden Taten heute schneller als früher.
Bundesweite Studien widersprechen dem angeblichen Gewalttrend ohnehin. Der
Verband der Unfallkassen hat ermittelt, dass bei Prügeleien im
Untersuchungsjahr 2003 bundesweit täglich 250 Schüler so stark verletzt
wurden, dass sie von einem Arzt behandelt werden mussten. Doch während 1993
noch 15,5 Prügeleien auf 1.000 Schüler kamen, waren es 2003 nur noch elf.
Für Heinz Buschkowsky sind das unsinnige akademische Überlegungen. "Mich
interessieren keine Studien", poltert er. "Mich interessiert, was sich
täglich hier abspielt." Buschkowsky hatte den Wachschutz an den Schulen
durchgeboxt. Am Tag, als sein Projekt startet, sitzt er im Bezirksrathaus
und zieht seine eigene Statistik hervor. "Raub, Körperverletzung, Nötigung
" - Gewalttaten, die an Schulen in seinem Bezirk auf das Konto von Tätern
gingen, die von außen an die Schulen kämen. Zwei pro Monat seien es.
"Sollen wir da tatenlos zuschauen?", fragt der Bürgermeister. "Und nachher
den Opfern einen Blumenstrauß ins Krankenhaus bringen?"
11 Dec 2007
## AUTOREN
Wolf Schmidt
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