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# taz.de -- Notlandung auf den Malediven: Korallen, Kerosin, Klimakatastrophe
> Warten auf besseres Wetter – bei gegrilltem Lobster in einem
> Touristenressort auf den Malediven ist das sehr angenehm.
Bild: Malediven, Landeanflug
Ausgerechnet auf den Malediven. Ausgerechnet hier, wo Reisekataloge das
Paradies ansiedeln und Gott noch einen kräftigen Extraschuss Blau ins
Meerwasser gab. Eine Notwasserung im Indischen Ozean! Erst ein Marterflug
durch Sturzregen und Luftlöcher, dann setzt das kleine Wasserflugzeug
erstaunlich sanft auf.
Langsam, ganz langsam lösen sich die verkrampften Finger aus dem weißen
Lackleder des Sitzes. Ist es nun wirklich zu Ende? Der Flugbegleiter öffnet
die Tür, und endlich kommt frische Luft herein. Das Dröhnen, das Trudeln
und vor allem der Gestank nach Abgasen sind erst mal vorbei.
Zwar schunkelt die kanadische Twin Otter, die Captain Shawn gerade auf dem
Meer vor der Insel Velessaru aufgesetzt hat, noch kräftig weiter. Aber
wenigstens ist sie nicht mehr in der Luft, es gibt wieder einen Horizont,
und der Stewart bindet die Maschine an einer Boje fest.
Wegen Dauerregen und Sturm konnte der australische Pilot nicht in der
Hauptstadt Male landen, musste immer wieder in der Luft kreisen. Bis er der
Hand voll Passagiere mitteilte: „Wir landen jetzt, sparen Sprit und warten
auf besseres Wetter.“
Aus dem Warten wird eine Übernachtung im nächstgelegenen Touristenressort.
Am nächsten Tag - die Sonne scheint wieder, also ob nichts gewesen wäre -
werden alle sagen, dass sie so etwas noch nicht erlebt haben hier. Dass es
auf den Malediven normalerweise nicht so lange am Stück regnet. Okay, im
Oktober ist noch Regenzeit, Monsun. Aber 14 Stunden nonstop Wasser von
oben! Hatte da die Natur nur einen schlechten Tag, oder war das schon eine
winzige Folge der globalen Erwärmung?
Rolf Berthold knackt seinen Hummer so gekonnt, dass er das weiße Fleisch
alsbald aus der Schale geputzt hat. „Grilled Maldivian Lobster“ gibt es an
diesem Abend im Sunset-Restaurant, von Kerzenlicht angedimmt, und gern
erklärt der Geschäftsführer des „White Sands Resort & Spa“, wie man dem
Schalentier zu Leibe rückt. „Tipp 1: mit den Fingern essen. Tipp 2: einfach
ausprobieren.“
Der Weg zum Restaurant führt an Palmen und Schraubenbäumen vorbei - Bäume,
die ihre Wurzeln horizontal vor sich her schieben. Selbst nachts ist es
noch 25 Grad warm. Lampen geben Orientierung. Eine Hütte hier, ein Pavillon
dort. Viel Holz und weiße Wände. Alles sehr zurückhaltend.
Gebaut nur für Besucher - das ist Prinzip auf den Malediven: Touristen und
Einheimische leben hier getrennt. Insgesamt gibt es ca. 1.190 Inseln in 26
Atollen. Rund 200 sind bewohnt, 120 von Einheimischen, der Rest sind
Ressorts. Eine Insel, ein Ressort, ein Name: White Sands beispielsweise
heißt eigentlich Dhidhoofinolhu, was in der Landessprache Dhivehi „weißer
Sand“ heißt. Mit 1,9 Kilometern Länge und einer Breite von bis zu 120
Metern ist dieses Eiland relativ groß. Nur 20 Prozent einer Insel dürfen
bebaut werden, kein Gebäude darf höher als die höchste Palme sein.
Der maledivische Hummer schmeckt köstlich, und er stammt tatsächlich aus
dem Meer, das abendlich dunkel und friedlich an den Strand schwappt.
„Unseren Fisch angeln wir vor der Haustür“, sagt Berthold. Der 56-Jährige
sieht ein bisschen aus wie Peter Ustinov, und seine Augen spiegeln genau
das Weltenbummlertum, das ganz langsam entstand, nachdem er vor 28 Jahren
seine Heimat Hannover verließ und Hotels in der Welt aufbaute. Er erzählt
vom benachbarten Ressort Kanuhuura, wo er mal arbeitete und wo der Hummer
aus Boston eingeführt wird. Ware, die um die halbe Welt fliegt. „Das haben
die Gäste so erwartet.“
Ein bisschen verrückt sei das schon, gesteht er ein. Aber normal auf den
Malediven: Außer Fisch und Kokosnüssen wird alles importiert. Gemüse,
Früchte, Wein und Baumaterialien ebenso wie Hotelbosse, Architekten und
auch viele der Angestellten. Nur die Softdrinks haben einen kurzen Weg. Auf
Thulusdhu, der so genannten Coca-Cola-Insel, produziert der US-Konzern
Getränke und stellt die weltweit wohl einzige Coca-Cola mit entsalztem
Meerwasser her.
Wer morgens früh aufsteht auf White Sands, sieht Männer, die Blätter vom
Strand fegen. Ein paar Frauen aus Bali gehen zur Arbeit, Gäste massieren.
Sie lächeln freundlich. „Good morning! How are you?“ Zwischen zwei Palmen
ist eine Hängematte gespannt, das Meer hat Badewannentemperatur. Alles wie
im Katalog. Die Farben des Wassers so strahlend grün, türkis oder blue
curaçao, dass es unwirklich erscheint. Sauber sieht alles aus, wie frisch
gewaschen.
Im Dhoni, dem traditionellen Holzboot mit Dieselmotor, geht es nach
Dhangethi, der ausschließlich von Einheimischen bewohnten Nachbarinsel.
Hier steht das einzige Kulturzentrum der Malediven. Saud Abdullah, Leiter
des Zentrums, erklärt die liebevoll zusammengestellten Relikte aus der Zeit
vor 30 Jahren, als die ersten Touristen kamen und Licht noch mit
Kokosnussöl gemacht wurde. Mit dem Finger malt er Schriftzeichen auf ein
mit Sand gefülltes Tablett. „So haben wir schreiben gelernt.“
Heute wohnen auf Dhangeti 825 Malediver. Die Hauptstraße des Orts ist von
Läden gesäumt, bunte Kleider flattern im Wind, Verkäuferinnen hoffen auf
Verdienst durch die Touristen. Ein paar knallrote Korallensteine in einer
Mauer zeugen von traditioneller Bauweise. Früher wurden die Häuser aus
Korallen gebaut. Das ist heute verboten. Wegen der Korallenbleiche, vor
allem durch das Klimaphänomen El Niño bedingt, dürfen die Meerespreziosen
weder exportiert noch im Land selber benutzt werden. So müssen die
Malediver teures Material aus dem Ausland importieren.
Zurück nach White Sands. Obwohl die Sonne vom Himmel knallt, lässt es sich
barfuß über den Strand gehen. Korallensand heizt sich nicht auf. Schuhe
aus, Sand spüren, langsam gehen. Kaum vorstellbar, dass Weihnachten 2004
der Tsunami über die Insel zog. Die Flut hat fast 15.000 der 300.000
Malediver von ihrer Insel vertrieben, mehr als 100 wurden getötet. Knapp
4.000 Häuser wurden zerstört oder beschädigt, 69 der bewohnten Inseln
vollständig überflutet. Ein Viertel der Touristenressorts musste
vorübergehend geschlossen werden.
Brusthoch stand das Wasser auf White Sands, ein englischer Tourist starb.
Auf der Suche nach seiner Familie, die sich ins Restaurant gerettet hatte,
soll er einen Herzinfarkt erlitten haben. Ende Januar kamen die ersten
Touristen wieder. Eine Lücke in der Reihe der Bungalows zeugt noch davon,
dass die Welle ein paar Bauten mitriss.
In der Nähe des Sunset-Restaurants ist ein Mann mit dem Flechten einer
Matte aus Palmengras beschäftigt. Er macht das flink und dennoch ruhig. Man
sieht nichts von all der Logistik im Hintergrund: Jede touristische Insel
betreibt eine eigene Müllverbrennungsanlage. Biologische Abfälle werden
kompostiert, Abwässer, bevor sie ins Meer geleitet werden, biologisch
geklärt. Zudem betreibt jedes Ressort eine eigene
Meerwasserentsalzungsanlage Die benötigt Energie, deshalb wird eigener
Strom erzeugt - mit Diesel. Metall- und Plastikabfälle werden gesammelt und
auf der Müllinsel Thila Fushi entsorgt.
Hummer-Import aus den USA, Hühnchen-Import aus Brasilien, Wein-Import aus
Australien, Gemüse-Import aus Deutschland: Er habe mal recherchiert, so der
Österreicher Walter C. Kaufmann, Manager des „Meeru Island Resort“, dass
das „deutsche“ Gemüse, das bei ihm auf den Tisch kommt, aus Südafrika
stammt. „Und das, wo hier alles um die Ecke wächst, auf Sri Lanka.“ Was im
Import aber noch teurer wäre und außerdem nicht in konstanter Qualität
geliefert würde, so Kaufmann.
Dabei gehörten die Maldiven zu den Staaten, die weltweit als erste und
besonders heftig vom Klimawandel betroffen sind. 80 Prozent der Inseln
liegen weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel, Sandburgen gehören
schon zu den höchsten Erhebungen. Jeder Zentimeter, den der Meeresspiegel
ansteigt, bedeutet Verlust von Land. Bei einem Staatsgebiet, das zu 99
Prozent aus Wasser besteht, eine bedrohliche Vorstellung.
Vertreter der Malediven nehmen daher tapfer an jeder Klimakonferenz teil,
um sich für den Schutz der Erdatmosphäre einzusetzen. So wundert es nicht,
dass der Schweizer Marc Aeberhard, Manager des „island hideaway“ im
nördlichen Haa-Alifu-Atoll, erzählt, er habe bei einem Treffen mit dem
Staatspräsidenten gleich ein Thema gefunden: das Wetter in der Schweiz und
die kontinentale Gletscherschmelze.
Die notgewasserten Touristen sind derweil längst wieder in Deutschland
gelandet. Jeder Einzelne von ihnen hat allein mit seinem Hin- und Rückflug
Abgase mit einer Klimawirkung von fünf Tonnen Kohlendioxid in der
Atmosphäre hinterlassen.
10 Dec 2005
## AUTOREN
Christiane Schulte
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