# taz.de -- In wackeligen Kanus: Aquavit, bis der Elch kommt | |
> Auf den Spuren von Biber und Elch in Norwegens Wäldern. Durch Beeren | |
> laufen, das ist Norwegens Volkssport, solange der Sommer dauert. | |
Bild: Manchmal sind die Elche schwer zu finden | |
Nicht, dass Johan zu viel versprochen hätte. „Vielleicht“, hatte er gesagt. | |
„Mit ein bisschen Glück.“ Es sei eigentlich zu früh am Tag, sowieso eine | |
ungünstige Jahreszeit, die Natur nun mal kein Zoo, und überhaupt und um | |
mögliche Erwartungen so tief wie möglich zu hängen: „Es ist nur eine nasse | |
Ratte.“ Und wer will schon eine nasse Ratte sehen? Andererseits: Was ist | |
eine Bibersafari ohne Biber? | |
Wir klettern vorsichtig in wackelige Fiberglas-Kanus (“den Schwerpunkt | |
immer schön unten halten“), tauchen rote Paddel in den schwarzen | |
Trysal-Fluss und lassen uns treiben in Norwegens dunkeln Wäldern. „Die | |
Inuit“, hat Johan gesagt, „haben 45 Wörter für Schnee. Wir haben 45 Wört… | |
für Wald.“ Der Wo-die-Birken-locker-zusammenstehen-Wald, der | |
Wald-der-vom-Schneesturm-zerzaust-ist, der Kiefern-am-Hang-Wald. Und das | |
hier ist der Wald-durch-den-der-Fluss-läuft-in-dem-der-Biber-schwimmt. Nur: | |
nicht heute. Heute hat der Biber Pause. | |
„Haltet nach etwas Ausschau, das aussieht wie ein schwimmender Hund“, hat | |
Johan gesagt, „vor allem in Ufernähe.“ Doch das Leben auf dem Trysal ist | |
auch dort ein ruhiger Fluss. Dann hebt der Steuermann im ersten Kanu | |
aufgeregt das Paddel - unser Geheimzeichen für Biber-Alarm - und zeigt auf | |
eine Ente. „Die ist sehr selten“, sagt Johann, „wir legen jetzt da vorne | |
an.“ Da steht Jan, der Fliegenfischer, hüfttief im Wasser, lässt seine | |
Leine kunstvoll Pirouetten drehen und bietet an: „Ich kann euch ja den | |
Biber machen.“ Mit dem Biber lebt Jan in friedlicher Koexistenz, denn wenn | |
es sie tatsächlich geben sollte, frisst die nasse Ratte aus dem Trysal | |
keine von den Hechten und Maränen, auf die es Fliegenfischer abgesehen | |
haben. Bis zu 60 Stück am Tag, sagt Jan, hole er aus dem Wasser, die | |
meisten werfe er wieder in den Fluss. | |
„Ihr hättet eine Elch-Safari machen sollen“, sagt Johan, der | |
Biber-Fachmann, „bei Elchen gibt es eine 100-Prozent-Garantie.“ Für eine | |
Elch-Safari ist es jetzt zu spät, aber Per, der Busfahrer, weiß eine Stelle | |
dafür, an einer Lichtung, fast auf dem Nachhauseweg. „Ich kann nichts | |
garantieren“, sagt er und biegt links von der Hauptstraße in einen | |
Schotterweg, wo wir ausschwärmen und in der Dämmerung den Lockruf | |
nachahmen, den Per uns beigebracht hat. | |
Über vielstimmigen Elch-Gesängen geht schließlich die Sonne unter, und Per | |
kommt mit einer Handvoll daumengroßer Exkremente: „Seht ihr: Er war ganz | |
sicher hier.“ Zum Trost spendiert er eine Runde Aquavit Linie, Norwegens | |
kräuterversetzten Kartoffelschnaps, der nur schmeckt, wenn er in | |
Sherryfässern zweimal den Äquator überquert hat. Das jedenfalls beschwören | |
das Etikett und Per, der die Flasche so lange kreisen lässt, bis wir im Bus | |
endlich Kontakt aufnehmen mit Norwegens Tierwelt und uns im Traum der Elch | |
erscheint aus all den Elch-Geschichten, von denen jeder hier mindestens | |
eine zu erzählen hat. Die Geschichte vom Elch vor der Garage, die vom | |
Blattschuss letzten Sommer, die vom zahmen, den man mit der Flasche | |
aufgezogen hat. Und am Abend dann kommt er ganz real daher, als | |
butterweiches Gulasch, eingerahmt von den Preiselbeeren, durch die wir | |
morgen laufen werden. | |
„Ihr werdet nicht nur Beeren sehen“, verspricht tapfer Tove, der | |
Naturpark-Ranger. Durch Beeren laufen, das ist Norwegens Volkssport, | |
solange der Sommer dauert. Im 20-Kilometer-Radius um jeden Parkplatz steht | |
man gebückt im Unterholz, einen Plastikeimer in der Hand, halb voll mit | |
murmelgroßem Nachtisch. Glücklich, wer einen Multebeeren-Standort findet, | |
die sind süßsauer, selten und orange, außerdem bald nach der Ernte | |
Tiefkühlkost. Weihnachten ohne Multebeeren ist in Norwegen wie Weihnachten | |
ohne Schnee. | |
Wir machen uns mit Blaubeeren die Zunge dunkellila und laufen weiter über | |
Islandmoos in Mint. Die Tiere hat der Wald verschluckt. Granitgrau wie Wolf | |
und Rentier sind die Felsen hier, braun wie die Bären die Maronen und die | |
Birken jetzt im Herbst gelb gescheckt wie die Luchse, die die Jäger schon | |
wieder schießen, weil es zu viele sind. Und über der Baumgrenze thront der | |
Rondslottet, der höchste Berg im Rodane-Nationalpark, elchfellfarben wie | |
ein schrundiger Nashorn-Nacken. Ein Schneehuhn flattert aufgeregt in den | |
blankpolierten Himmel, sonst aber bleibt die Wohngemeinschaft in diesem | |
einen von Norwegens 45 Wälder unsichtbar. „Sorry, Guys“, sagt Tove, | |
„vielleicht das nächste Mal.“ Wir aber atmen kalte und kristallene Luft, | |
hören, wie weit weg Wasser über einen hohen Felsen stürzt. sehen auf die | |
Gletscher und unsere lila Fingerkuppen. Und vermissen nichts. | |
Nur auf der Rückfahrt Richtung Oslo werden wir in Elverum dann doch rechts | |
ranfahren, für einen kleinen Zwischenstopp bei Norwegens berühmtem | |
Waldmuseum. Dort haben sie sensationelle Rentier-Sandwiches, einen | |
lohnenden Museums-Shop, vor allem aber einen, den wir noch kennen lernen | |
wollen: Im ersten Stock, da steht er immer, garantiert: Castor fiber, der | |
europäische Biber, ausgestopft und angenagelt, gleich hinter den Bären und | |
der Elch-Familie. | |
25 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Thomas Heinloth | |
## TAGS | |
Reiseland Norwegen | |
Baden-Württemberg | |
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