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# taz.de -- Bloß keine Hektik: Immer mit der Ruhe
> In Montenegro ist die Langsamkeit des Handelns Teil der Lebenskultur.
> Vorbildlich für gestresste Nordeuropäer, nachteilig für die Infrastruktur
> im Land. Baustellen allerorten zeugen vom Aufbruch
Bild: Altstadt von Budva, Montenegro
Im Grandhotel Avala regnet es in den Frühstücksraum. Nicht ein bisschen,
sondern ziemlich: Am abgeblätterten Putz über den großen Fensterscheiben
fließt das Wasser hinunter. In dem großen Saal sitzen fast ausnahmslos
Senioren. Wer den Raum betritt, würde sich nicht wundern, wenn gleich
Zahlen aufgerufen würden. Wir sind aber nicht beim Bingo in Brighton,
sondern im Urlaub in Budva an der montenegrinischen Adriaküste. Das Hotel
Avala ist eines der Kategorie A. Das ist natürlich ein Witz. Auch die
anderen ersten Hotels des Landes wirken rührend kümmerlich.
Wer in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, landet, kommt in einen
verlebten Ort, der mit dem Charme des Unperfekten protzt. Männer in
Trainingsanzügen stehen tatenlos auf den Bürgersteigen, Frauen mit
gefärbten Haaren warten gelangweilt auf den Bus, Schäferhunde streunen
ziellos durch die Straßen. Alle haben sie einen irgendwie hungrigen Blick.
Große Erwartungen hängen hier wie nicht eingelöste Versprechen in der Luft.
Die kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien haben den
Tourismus, neben der Landwirtschaft die wichtigste Einnahmequelle
Montenegros, lahm gelegt. Nun möchte das kleine Land, das sich zu gern als
"wilde Schönheit" vermarktet, wieder an die Erfolge früherer Jahre
anschließen.
Peu à peu kommen auch schon wieder deutsche Urlauber ins Land. Im
vergangenen Jahr waren es immerhin schon mehr als 14.000. Die Regierung hat
gemeinsam mit der deutschen Entwicklungsgesellschaft (DEG) einen so
genannten Masterplan aufgestellt.
Bei dem Wort Masterplan müssen die Montenegriner immer ein bisschen
lächeln, entspricht das strenge Durchorganisieren nach Plan doch nicht so
recht ihrem Naturell. Vielleicht hat der montenegrinische Minister für
Tourismus, Predrag Nenezic, ja auch deswegen so umwerfend dunkle Ränder
unter den Augen. Sein müdes Gesicht erzählt davon, wie viel sich das kleine
Land, vorgenommen hat. Er möchte verhindern, dass Montenegro ein zweites
Mallorca wird und eine bloße Seniorendestination bleibt.
Doch auch in diesem Sommer laufen vor allem betagte Touristen übers
Kopfsteinpflaster. In Kotor heften sie sich an die Fersen der Fremdenführer
und lassen sich Schritt für Schritt durch die schmucke Altstadt bugsieren
oder trinken in den Morgenstunden im Café vor der Kathedrale das erste
Bier.
Das passt überhaupt recht gut zur Landessitte, auf alles erst einmal einen
Schnaps zu nehmen. Das kann durchaus auch schon um 10 Uhr morgens sein. Man
gewöhnt sich erschreckend schnell daran und sieht danach manches klarer.
Montenegriner gelten als ein bisschen faul, und sie erzählen auch nicht
ohne Stolz, dass sie nicht gerne arbeiten und dass Faulenzen doch der wahre
Luxus sei. Faulheit ist ein strenges Wort, Müßiggang trifft es doch weit
besser.
Die unzähligen Baustellen im ganzen Land sprechen indes eine ganz andere
Sprache. Alle paar Meter erblickt man Zementmischmaschinen, Schubkarren,
Bauschutt und Gerüste; Werkzeuge liegen selbst vor den Altären der Kirchen
achtlos herum. An allen Ecken und Enden wird gehämmert, gebohrt und
gespachtelt. Der Aufbruch ist hör- und spürbar: Das Land hat ganz
offensichtlich viel vor, doch hetzen lässt sich hier niemand.
"Es gibt noch Sachen, für die wir uns schämen müssen", sagt die
Bürgermeisterin des Orts Bar im Süden Montenegros, unweit der albanischen
Grenze. Dabei sieht sie nicht so aus, als hätte sie die geringste Lust,
sich für irgendetwas zu schämen. "Es ist halt so!", zwinkert ihr Blick
vielmehr.
Und warum darauf nicht noch einen Schnaps? In Bar steht immerhin der
älteste Ölbaum Europas, der sich so unspektakulär präsentiert wie das ganze
Land. Warum sollte jemand nach Montenegro fahren? Die Buchten und die alten
Städte, wie beispielsweise Budva, Herceg Novi oder auch das selbst im Regen
noch unverschämt bezaubernde Cetinje mit seinen marzipanfarbenen Häusern
sowie die badeölgrüne Bucht von Kotor, sind ohne Frage wunderschön. Aber wo
liegt hier der eigentliche touristische Wert?
Die eigentliche Sehenswürdigkeit sind wohl die Bewohnerinnen und Bewohner
selbst. Fremdenführer Ratko etwa, dessen Stirn sehenswerte Falten wirft und
der Lucky Strike ketteraucht, als gäbe es kein morgen. Er ist klug und
permanent gut gelaunt, nie um einen Scherz verlegen. Wenn er einen anlacht,
hat man zwar immer das vage Gefühl, er haue einen übers Ohr, aber dafür
kann man von ihm lernen, die Ruhe zu bewahren und das Leben zu nehmen, wie
es kommt. Nur schwer vorstellbar, dass Ratko sich abhetzt. Das würde er
wahrscheinlich auch nicht tun. Warum sollte er auch?
In Montenegro hat alles seinen ganz eigenen Rhythmus, der es nicht nötig
hat, mit dem Herzschlag der Zeit zu hüpfen. Selbst die Hunde liegen hier
schläfrig in den Straßen. Und der dickbäuchige Besitzer des
Fischrestaurants in Budva, Krsto Niklanovic, gleichzeitig Vorsitzender des
örtlichen Rotary Clubs, verkündet mit vollem Mund, es sich gut gehen zu
lassen, das sei doch das Wichtigste im Leben, Reichtum indes eine zu
vernachlässigende Größe.
Womöglich kann Montenegro dem Fremden diese selbstverständliche Art des
Müßiggangs lehren. Die Menschen hier haben von Slowfood noch nicht viel
gehört, können darauf aber gut verzichten. Hier nimmt man sich alle Zeit
der Welt und lässt sich beispielsweise von einem Boot über den größten See
auf dem Balkan schaukeln, den Skutarisee, bis man mitten im schönsten
Nichts anlegt, wo man von Gastwirten herzlicher empfangen wird als von
Verwandten.
Hier scheint die Welt noch mehr als in Ordnung: Die Männer angeln
pausbäckige Karpfen aus dem See, ihre Frauen braten die Fische ohne zu
murren knusprig. Derweil necken sich im Hof verstrubbelte Ziegen und eine
hinreißend verknitterte Greisin beobachtet hingebungsvoll ein Küken. Wer da
hineingerät und dann wieder über den See blickt, begreift: Hier ist das
Leben das Leben, und Masterpläne das, was sie sein sollten: Nebensache. Und
darauf darf man ruhig trinken.
26 Dec 2007
## AUTOREN
Shirin Sojitrawalla
## TAGS
Reiseland Montenegro
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