# taz.de -- Selbsthilfe-Organisationen: Am Tropf der Pharmaindustrie | |
> Nicht immer sind Patienten-Selbsthilfegruppen unabhängig. Einige | |
> Organisationen sind nicht nur von den finanziellen Zuwendungen der | |
> Pharmaindustrie abhängig. | |
Bild: Selbsthilfe-Gruppen beeinflussen die Nachfrage nach bestimmten Medikament… | |
Für fast alle chronischen Erkrankungen gibt es hierzulande | |
Selbsthilfegruppen. Rund 3 Millionen Menschen sind darin organisiert, | |
schätzt das Robert-Koch-Institut. Auch der Sachverständigenrat im | |
Gesundheitswesen unterstreicht die Bedeutung der Selbsthilfe: Sie sei | |
Ausdruck sozialer Emanzipation, praktischer Medizinkritik und trage zum | |
Abbau überzogener Medikalisierung bei. | |
Inwieweit dieser hohe Anspruch von den rund 300 bundesweit aktiven | |
Selbsthilfeorganisationen gelebt wird, wäre empirisch zu untersuchen. Zumal | |
sie latent durch "Informationssteuerung und Produktmarketing" der | |
Pharmaindustrie in Versuchung geführt werden, wie der Sachverständigenrat | |
in seinem Gutachten für 2005 schreibt. | |
Branchenspezifische Beeinflussungstrategien beschreibt ein aktueller | |
"Projektbericht", den Forscher des Bremer Zentrums für Sozialpolitik im | |
Auftrag der Selbsthilfe-Fördergemeinschaft der Ersatzkassen geschrieben | |
haben. Professor Gerd Glaeske und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin | |
Kirsten Schubert hatten Fragebögen an 25 Pharmaunternehmen geschickt. | |
Außerdem nahmen sie 8 Selbsthilfeorganisationen und deren Publikationen | |
unter die Lupe, die für Patienten mit Alzheimer, Neurodermitis, | |
Osteoporose, Parkinson und Psoriasis eintreten. | |
Das geltende Verbot, rezeptpflichtige Arzneien bei Laien zu bewerben, wird | |
nach Glaeskes Darstellung mitunter auf Patientenkongressen und in | |
Mitgliederzeitschriften umgangen. Zudem versuchten Pharmafirmen, Adressen | |
der Besucher von Infoveranstaltungen zu erhalten. Über Vereinspublikationen | |
und Internet würden Teilnehmer für klinische Studien zur Erprobung von | |
Medikamenten aufgerufen und rekrutiert. | |
Wichtig für die Industrie sind Experten, die nicht nur Pharmagelder | |
beziehen, sondern auch in wissenschaftlichen Beiräten von | |
Patientenorganisationen mitwirken, Studienergebnisse kommentieren, | |
gegebenenfalls Präparate empfehlen und Leitlinien medizinischer | |
Fachgesellschaften mit verfassen. Zu beobachten sei in einigen Fällen auch, | |
dass sich Ärzte und Wirtschaftsunternehmen mitunter an der Gründung von | |
Selbsthilfegruppen beteiligten. | |
Ziel der mannigfaltigen Bemühungen sei "der direkte Zugang zum | |
Endverbraucher" von Medikamenten. Dies sei für Unternehmen | |
"kosteneffektiver" zu machen, als Mediziner zu einem wohlwollenden | |
Arzneimittel-Verordnungsverhalten zu veranlassen, wofür die Branche nach | |
Glaeskes Darstellung pro niedergelassenem Arzt jährlich 35.000 Euro | |
aufwende. | |
Was Pharma- und Medizintechnikhersteller für Marketing und Sponsoring in | |
den Selbsthilfebereich insgesamt investieren, ist unbekannt - und | |
unüberschaubar ist, wie viele bezahlte Annoncen sie in | |
Patientenzeitschriften schalten. Erste Zahlen für Deutschland haben zwei | |
führende Arzneihersteller im Internet veröffentlicht. Unter ihrer | |
Homepage-Rubrik "Ethik im Geschäft" meldete die Roche Pharma AG Ende 2006, | |
man habe im laufenden Jahr 230.000 Euro an 18 Patientengruppen verteilt. Im | |
Februar 2007 zog Konkurrent GlaxoSmithKline nach und listete auf seiner | |
Website 35 Organisationen auf, die das Unternehmen 2006 mit 326.000 Euro | |
gefördert habe. Derartige Unterstützung hält Gesundheitsökonom Glaeske | |
grundsätzlich für legitim, sofern sie transparent und in einer Höhe | |
erfolge, die weder Autonomie noch Unabhängigkeit von gesponserten | |
Selbsthilfeorganisationen zu gefährden drohe. Doch an solcher Transparenz | |
fehle es vielerorts. Klar sei nur, dass die Selbsthilfe sich "zu einem | |
nicht unerheblichen Anteil" aus Stiftungen, Spenden und Sponsoring | |
finanziere - 2004 sollen diese Finanzquellen fast ein Viertel des | |
Gesamtvolumens ausgemacht machen, wobei etwa 5 Prozent der Organisationen | |
rund die Hälfte ihres Etats aus Sponsoringmitteln bestritten hätten. | |
Glaeske empfiehlt, verbindliche Regeln für eine "Good Sponsoring Practice | |
(GSP)" zu vereinbaren. Zum Beispiel sollen sich Patientenverbände | |
verpflichten, in ihren Mitgliederzeitschriften und Internetauftritten weder | |
Werbung noch Empfehlungen für Arzneimittel zuzulassen; dasselbe solle auch | |
für Vorträge, Kongresse und Patientenschulungen gelten. Sofern | |
wissenschaftliche Beiräte existierten, sollten deren Mitglieder ihre | |
"Unabhängigkeit von der Industrie darlegen können". | |
Alle Selbsthilfeorganisationen, die den Vorgaben eines noch zu | |
entwickelnden GSP-Kodexes nachweislich folgten, will Glaeske im Internet | |
veröffentlicht sehen; eine so leicht zugängliche Referenzliste könne auch | |
Orientierung für Menschen bieten, die auf der Suche nach einer | |
vertrauenswürdigen Patientenlobby seien. | |
Betreiber der Website sollte eine "unabhängige und neutrale | |
Monitoringstelle" sein, welche die Selbsthilfeszene kontinuierlich | |
beobachtet, berät und auch kontrolliert. Finanziert werden solle sie durch | |
das Bundesgesundheitsministerium und die gesetzlichen Krankenkassen. Sein | |
Universitätsinstitut sei gern bereit, die Monitoring-Rolle zu übernehmen, | |
sagt Glaeske. | |
Was seine Auftraggeber von dieser Idee halten, weiß der Bremer Professor | |
nicht, denn noch hält sich die Selbsthilfe-Fördergemeinschaft der | |
Ersatzkassen bedeckt. Den bereits im April 2007 abgeschlossenen, 73 Seiten | |
starken "Projektbericht", in dem die Forscher auch Namen und Praktiken | |
ausgewählter Organisationen und Unternehmen nennen, haben die Krankenkassen | |
bis heute nicht ins Internet gestellt. | |
4 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
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