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# taz.de -- Tischtennis mit Erlebnisfaktor: Cheerleader am Tisch
> Der Tischtennissport will sich bis zur Event-Tauglichkeit aufmotzen. Zum
> Ligaspiel des Dorfklubs Ochsenhausen gegen Düsseldorf in Ulm kommen
> immerhin 3.000 Zuschauer.
Bild: Erfreut sich zunehmender Beliebtheit: Tischtennis
Den entscheidenden Anruf tätigte Rainer Ihle schon im Juni, zwei Monate vor
Beginn der Saison in der Tischtennis-Bundesliga. Es galt, das aufregendste
Heimspiel seiner TTF Ochsenhausen vorzubereiten, da wollte Präsident Ihle
so früh wie möglich Sicherheit haben. Er bimmelte bei Andreas Preuss durch,
und der Manager von Borussia Düsseldorf gab die Garantie, dass "unser Timo
Boll spielen wird, wenn er auf zwei Beinen stehen kann und nicht gerade 40
Grad Fieber hat".
Mit dieser Sicherheit konnte Ihle die Veranstaltung an zwei Sponsoren
verkaufen. Sein Tischtennisverein war damit aus dem Risiko und hatte eine
Garantiesumme, die die Einnahmen eines gewöhnlichen Heimspiels um "mehr als
1.000 Prozent übertrifft", wie Ihle sagt. Jetzt, eineinhalb Stunden vor
Beginn der Bundesligapartie, sitzt er hier in der Ulmer Kuhberghalle, 50
Kilometer entfernt vom Heimatort. Normalerweise spielen hier die örtlichen
Erstliga-Basketballer, heute also Tischtennis. Ihle schaut sich um und ist
glücklich. Die Ränge sind schon ähnlich gut gefüllt wie die Vereinskasse,
draußen stehen immer noch etliche Leute in der Schlange und begehren
Einlass. "Das wird heute total ausverkauft. 3.000 Zuschauer - das wird ein
Toprekord in der Geschichte unseres Vereins", sagt Ihle.
Es ist eine stattliche Zahl, die illustriert, dass Tischtennis ein Sport
mit Potenzial ist, wenn er sich nicht in Orten namens Ochsen-, Fricken-,
Plüderhausen oder Gönnern versteckt, wo nur Unentwegte hinkommen oder die,
die sowieso schon da sind. "Man muss in die Städte gehen", glaubt Ihle.
Dorthin, wo die Menschen sind. "Und man muss raus aus der schnöden
Sporthalle, rein in die Arena, den Eventcharakter stärken", ergänzt
Düsseldorfs Manager Preuss. "So bekommt man mehr Zuschauer, mehr Image,
mehr Sponsoren und kommt am Ende mit Gewinn raus. Davon bin ich nicht nur
fest überzeugt, das habe ich erlebt."
In Ulm klappt das mit dem Eventcharakter für Tischtennisverhältnisse schon
ganz ordentlich. Das heißt zwar noch nicht, dass die Halle zum Einlaufen
der Spieler abgedunkelt würde. Und auch der Trockeneisnebel macht nicht
mehr her, als wenn drei Zigarrenraucher ordentlich gepafft hätten. Aber
zwei professionelle Hallensprecher geben sich Mühe, auch den Nichtexperten
zu erklären, was an diesem Tag passiert. Sie werden unterstützt durch
Einspielungen des üblichen Musikmix aus einer wattstarken Anlage. Und
Cheerleader sind auch da.
Dass die Stimmung trotz der Enge nicht überkocht, liegt vor allem an Timo
Boll, dem Mann, den alle sehen wollen. Der Weltranglistenfünfte hat
Knieprobleme und bewegt sich träge. Boll verliert sang- und klanglos alle
seine Partien - es sind seine ersten zwei Saisonniederlagen im Einzel. Das
Spektakel fällt also aus. Aber wenigstens hat Ochsenhausen so eine Chance
gegen die mit einem gesunden Boll übermächtige Borussia. Am Ende reicht es
zu einem 5:5.
So schön dieser Abend auch ist, so klar ist allen Beteiligten aber auch,
dass solche Vermarktungserfolge Einzelfälle sind. Es ist das vierte Mal in
dieser Saison, dass mehr als 2.000 Zuschauer zu einem Bundesligaspiel
kommen, und jedes Mal hat Borussia Düsseldorf mitgespielt. Es ist allein
der Name Timo Boll, der quer durch die Republik auch fachfremde Zuschauer
anzieht.
Mit dem gewohnten Dahindümpeln der Liga wollen sich die Vereine nun nicht
mehr zufriedengeben. Deshalb haben sie sich zu einer Reform durchgerungen,
die manchem im Sport wie eine Revolution vorkommt. Ab kommender Saison
spielen in der Bundesliga Dreier- statt bisher Vierermannschaften, es gibt
nicht mehr zwei Spieltische, sondern nur noch einen.
Centre-Court-Atmosphäre ist das Stichwort. Und es soll schneller gehen. Die
Partie in Ulm dauerte drei Stunden, künftig sollen zwei Stunden das Maximum
sein. Damit verbunden ist die Hoffnung, endlich regelmäßig ins Fernsehen zu
kommen. Der TV-Produzent Benno Neumüller, ehemals Chef der "Sportschau" und
"Premiere"-Chefredakteur, hat versprochen, bis Ende Mai einen
Fernsehvertrag auf die Beine zu stellen.
Neumüller ist vor gut einem halben Jahr zum ersten Mal in der
Tischtennis-Szene aufgetaucht und in dieser Zeit zu einem großen
Strippenzieher der Bundesliga geworden. Er hat die Reform initiiert.
Ochsenhausens Präsident Ihle ist einer der großen Unterstützer Neumüllers:
"Endlich wird gemeinsam versucht, Tischtennis zu entwickeln." Ihle wittert
neue Zuschauer-Toprekorde - und noch viel mehr Geld für die Vereinskasse.
8 Jan 2008
## AUTOREN
Sebastian Krass
## TAGS
Kolumne Press-Schlag
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