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# taz.de -- Joy-Division-Film: Zwischen Mythos und Legendenjagd
> "Control", das Spielfilmdebüt des Fotografen Anton Corbijn, nimmt sich
> der kurzen Vita des Joy-Division-Sängers Ian Curtis an. Eine zwiespältige
> Angelegenheit.
Bild: Verzweifelt am Leben: Sam Riley als Ian
In der Geschichte des Punk - beziehungsweise dem, was Anfang der
Achtzigerjahre davon geblieben war - nimmt Joy-Division-Sänger Ian Curtis
eine ähnliche Rolle ein wie Kurt Cobain für die zweite MTV-Generation. Ihre
Suizide verhalfen Curtis und Cobain zu einer Art Märtyrerstatus, blendende
Projektionsflächen für die Enttäuschungen, Sehnsüchte und Depressiönchen
unzähliger Fans und Popkulturauguren, die im Freitod ihrer Idole ein
Zeichen der Zeit erkannt zu haben glaubten. Faszinierend an der
öffentlichen Rezeption waren in beiden Fällen jedoch weniger die
Spekulationen über die persönlichen Gründe für die Tat, sondern wie sich
aus dem brodelnden Befindlichkeitsmix aus Heldenverehrung, abgedroschener
Künstler-Romantik (die bürgerliche Vorstellung der gequälten Künstlerseele,
die sich in ihrem Werk - und an der Welt - zu Tode leidet) und Zeitgeist
Mythen herausbildeten, die die Musik von Joy Division und Nirvana schon
bald überstrahlen sollten. So bilderbuchmäßig hochtragisch und zeittypisch
muteten diese gescheiterten Bildungsromane, in denen sich gesellschaftliche
Stimmung und private Depression zu lähmender Ausweglosigkeit
hochschaukelten, an, dass sich auch wirklich jeder, vom Dorfpunk bis zum
großstädtischen Hipster, damit identifizieren konnte.
Der holländische Fotograf und Musikchronist Anton Corbijn hat in seinem
Regiedebüt "Control" die Projektionsfläche um den Selbstmord von Ian Curtis
nun mit prächtigen, monochromen Bildern ausgefüllt, in denen noch ein
Nachklang des schwermütigen, unterkühlten Joy-Division-Sounds zu vernehmen
ist. Corbijn lernte Curtis kurz vor dessen Tod kennen, von ihm stammt auch
das mittlerweile berühmte Foto, auf dem die Band mit dem Rücken zur Kamera
vor einem U-Bahn-Eingang posiert.
Trotzdem ist "Control" nicht zu einer wehmütigen, von persönlichen
Eindrücken verwässerten Hommage geraten. Der Film basiert größtenteils auf
den Erinnerungen von Curtis Frau Deborah, die 1996 unter dem Titel
"Touching from a Distance" erschienen sind. Und Distanz sucht auch Corbijn
zur Hauptfigur. Die Musik von Joy Division lebt ja von dem Gefühl der
Verlorenheit, das viel mit der Studiokunst des Produzenten Martin Hannett
zu tun hat, der den spartanischen Sound der Band in große akustische Räume
stellte - wozu Corbijn immer wieder gelungene Einstellungen findet. Etwa
wenn sich Curtis-Darsteller Sam Riley langsam aus Bildtotalen herausstiehlt
beziehungsweise fast zögerlich ins Bild zu kriechen scheint; und natürlich
in den verwaisten Straßenzügen Manchesters, die bei Corbijn mehr an
Hochglanz-Rockfotografien denn an britische "Kitchen Sink"-Filme erinnern.
Corbijn versucht in "Control", das kurze Leben von Curtis entlang der
bekannten biografischen und ästhetischen Signaturen Joy Divisions zu
erzählen. Was aber, wenn die Rezeption von Joy Division am Ende bloß eine
einzige Aneinanderreihung von Missverständnissen ist? Die Band zum Beispiel
soll sich damals eher kritisch zu Hannetts Sound, der Joy Divisions
Markenzeichen wurde, geäußert haben, weil es ihm an der Energie und
Aggressivität ihrer Live-Shows mangelte. Einen Eindruck davon vermitteln
einige kurze Auftritte, die die Entwicklung Joy Divisions als Band und
Curtis als Performer nachzeichnen.
Doch so schön Corbijn mit seinen Bildern auch das "Joy-Division-Gefühl" der
Platten zu emulieren versteht, man vermisst in "Control" das Spezifische,
das die Geschichte Ian Curtis erzählenswert macht - ganz abgesehen von so
etwas wie einer künstlerischen Vision, die über die bedrückende Traurigkeit
in Curtis Leben hinausweist. Wenigstens gibt Corbijn nicht dem Impuls nach,
das Leben seiner Hauptfigur nach herkömmlichen Mustern zu psychologisieren.
Curtis bleibt dem Zuschauer bis zum Ende so fremd, wie er auch seiner Frau
(gespielt von Samantha Morton) zeitlebens fremd geblieben ist. Hier
empfiehlt sich Riley selbst als faszinierende Projektionsfläche: Curtis
Selbstbezogenheit und seine Anflüge von Apathie erfordern nur ein minimales
Repertoire an Gesten und Mimik, die Riley dosiert einsetzt.
Letztlich leidet "Control" unter dem Paradox, den Mythos um Ian Curtis
weiter zu bedienen, während er mit einigen Legenden zu brechen versucht.
Denn erstens war Curtis, das wird noch einmal deutlich, kein wirklich
interessanter Typ, schon gar nicht aus der Punk-Perspektive. Er heiratete
jung, verdiente seinen Unterhalt in einem deprimierenden Behördenjob und
hatte wie jeder ordinäre Rockmusiker Groupies (Alexandra Maria Lara ist in
ihrer Rolle auf sympathische Weise unterfordert). Zweitens taugt Curtis
nicht als Stimme seiner Generation, noch lässt sich sein Freitod in
irgendeiner Form mit dem gesellschaftlichen Klima der Ära Thatcher in
Zusammenhang bringen (Glücklichweise verzichtet Corbijn auf das übliche
Zeitkolorit). Er war einfach ein trauriger Junge mit
Working-Class-Hintergrund. Und drittens rührten Curtis schmerzvolle Texte
keineswegs von einer tiefgründigen Weltsicht her, sondern schlicht von
seiner Überforderung mit dem Leben. Eine stille Momentaufnahme in "Control"
zeigt dieses Unvermögen auf bestürzende Weise: Fassungslos steht Curtis
nach der Geburt seines Kindes vor dem Eingang des Krankenhauses und stiert
ins Leere. Wie, scheint dieser Blick zu fragen, soll einer wie ich, der das
eigene Leben kaum bewältigen kann, die Verantwortung für ein anderes
übernehmen? Es ist einer der wenigen Momente in Corbijns Film, die Curtis
innere Zerrissenheit spürbar machen.
9 Jan 2008
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Fotografie
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