# taz.de -- Joy Division als Trendsetter: Gutes Aussehen statt reiner Wut | |
> "Control" steht für einen Paradigmenwechsel im Pop: Mit Joy Division | |
> rückt die erste Band des Postpunk ins Zentrum des popkulturellen Kanons | |
> auf. | |
Bild: Stilprägend mit Krawatte und Zigarette: Joy Division | |
Lange ist es nicht her, da war Ian Curtis, dieser dunkle König des Punk, | |
als der er nun gehandelt wird, nur ein höchst unscheinbarer Untoter. | |
Verehrt wurde er vor allem am Rande des popkulturellen Mainstreams, vor | |
allem von der todessehnsüchtigen New-Wave- und Gothic-Szene, die ihm zu | |
seinem Todestag am 18. Mai stets brav ein Lichtlein anzündete. Eine kleine | |
Leuchte, verglichen mit dem Wahnsinn, der um andere Suizid-Popgrößen wie | |
Kurt Cobain veranstaltet wurde und wird oder den Erinnerungsorgien am Grab | |
von Jim Morrisson in Paris. | |
Richtig entdeckt und sich seiner hinterlassenen Spuren versichert, wird er | |
erst jetzt. Die drei Alben von Joy Division sind neu veröffentlicht worden | |
und in dem eben erschienenen Fotoband "Fotoreportage 23" begibt sich die | |
Fotografin Katja Ruge "In Search Of Ian Curtis" (erschienen bei Crippled | |
Dick Hot Wax). Nicht nur wegen seiner Musik ist der Sänger wieder gefragt, | |
sondern auch als Stilikone und vor allem als Auslöser für eine | |
Popgeschichtserzählung, die anscheinend erst jetzt endgültig bewertet | |
werden kann. | |
Beispielsweise Rave. Denn wenn man so will, war der Tod dieses jungen | |
Mannes, der sich im Alter von 23 Jahren in seiner Wohnung erhängte, weil er | |
seiner Depressionen nicht mehr Herr werden konnte, dafür mitverantwortlich, | |
dass Rave überhaupt geboren werden konnte. Schließlich war es seine Band, | |
die ohne ihn und mit neuem Sänger unter dem Namen New Order einfach | |
weitermachte. Und der Erfolg genau dieser Band ermöglichte es ihrem Label | |
finanziell, den Club Hacienda zu eröffnen, der Ende der Achtziger als eine | |
der Geburtsstätten der Ravekultur galt. Das Joy-Division-Grau aus dem | |
deprimierenden Industriestadt-Manchester Anfang der Achtziger verwandelte | |
sich in die Party- und Ecstasy-Glückseligkeit von "Madchester". Hätte im | |
Mai 1980 Ian Curtis nicht "The Idiot" von Iggy Pop aufgelegt, den Fernseher | |
angemacht, um Werner Herzogs "Stroszek" zu sehen und sich die Schlinge um | |
den Hals gelegt, vielleicht wäre alles ganz anders gekommen. | |
Lange Zeit hätte man es als das Drama von Ian Curtis, auch über dessen Tod | |
hinaus, deuten können, dass er erst als Leerstelle wirklich etwas bewirkte. | |
Denn seine Musik, die war zwar da und sie blieb auch, doch als so | |
bedeutend, wie sie nun angesehen wird, galt sie nun wirklich nicht immer. | |
Selbst den größten Erfolg von Joy Division, das unsterbliche "Love will | |
tear us apart", dessen Titel auch auf den Grabstein von Ian Curtis | |
gemeißelt wurde, erlebte er nicht mehr. Die Single wurde erst nach seinem | |
Tod veröffentlicht. Ian Curtis geht es gerade ein wenig wie Martin | |
Kippenberger. | |
Die Musik von Joy Division geisterte eher so umher, wurde zwar von Moby, | |
Grace Jones und sogar Paul Young wie Nouvelle Vage gecovert, blieb aber | |
immer Randphänomen. Fürs Radio klang sie zu düster, und als die Gruftwelle | |
mit dem Beginn von Grunge beerdigt wurde, blieb eigentlich nur noch "Love | |
will tear us apart", der einzige Joy-Division-Song, der auch auf einer | |
Studentenparty zündet. Erst seit ein paar Jahren, mit dem Rock- und | |
Achtziger-Revival, werden Musik und Ikonografie der kurzlebigen Band derart | |
gewürdigt, dass ein Film wie "Control" beinahe zwingend wurde. Nicht mehr | |
Punk gilt seitdem als das, woran man sich abzuarbeiten hat, sondern das | |
neue Paradigma lautet Postpunk, dessen wahre Bedeutung vor kurzem erst der | |
Musikjournalist Simon Reynolds in seinem Buch "Rip it up and start again" | |
herausgearbeitet hat. Wo die reine Wut, wie sie Johnny Rotten verkörperte, | |
heute schneller verpufft als ein Kunstskandal, der nur noch den Marktwert | |
des Kunstwerks steigert, versucht zeitgemäßer Rock erst gar nicht mehr, | |
etwas anderes als Zitatausweis und Hipnessbeweis zu sein. Für das gute | |
Aussehen und den richtigen Sound ist man bei Postpunk und Joy Division ganz | |
vorne dabei, besser als mit der Kaputtästhetik des Punk. | |
So wie Ian Curtis, mit Trenchcoat, Krawatte und Zigarette in der Hand, wie | |
dieser James Dean aus dem Norden Thatcher-Englands, wollen alle von Franz | |
Ferdinand bis Maxïmo Park aussehen oder wie die Band Interpol gleich | |
klingen. Popbewusstes jugendliches Aufbegehren muss heute einfach auch Stil | |
haben, und den hatten Ian Curtis und Joy Division eben wie keine andere | |
Band. Schön deutlich gemacht wurde dies auch in dem norwegischen Film "Auf | |
Anfang" vor zwei Jahren, wo schon nicht mehr irgendeine Pogopunkband, | |
sondern Joy Division das Ideal von Zerrüttetheit verkörpern. Das Abgründige | |
von Joy Division, etwa der Flirt mit einer Leni-Riefenstahl-Ästhetik, das | |
freilich überlassen die Ian-Curtis-Clons von heute lieber Rammstein. Und | |
Anton Corbijn. | |
ANDREAS HARTMANN | |
9 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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Fotografie | |
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