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# taz.de -- Podiumsveranstaltung "Operation Ton": Konzerthuren und Online-Vertr…
> In Hamburg wurde über die Zukunft des Broterwerbs mit Popmusik
> diskutiert. Stichwörter: Netzwerkbildung, Dilettantismus, Desinteresse an
> der Musikindustrie.
Herzstück, Hirnlappen, Nasenflügel. Die Teilnehmer der Hamburger
Podiumsveranstaltung "Operation Ton. Kongress für musikalische
Zukunftsfragen" erhielten zum Geleit in einem Erste-Hilfe-Set glibberige
Organ-Nachbildungen ausgehändigt. Diese stünden sinnbildlich für den
jeweiligen Zugang zur Musik, ob emotional (Herz) oder theoretisch (Hirn)
oder doch eher über Drogen wahrgenommen (Nasenflügel).
Es ging an diesem langen Samstag um die Zukunft des Broterwerbs mit
Popmusik, und die ernüchtert die Beteiligten gewaltig. Tonträgerverkäufe
seien irrelevant geworden, meinte Lars Leverenz, Chef des Hamburger
Plattenlabels Audiolith Records. Es gehe dabei um Netzwerkbildung, und auch
da benötige der kleine Pop dringend eine Organspende. Statt zum
Operationssaal war das Hamburger Westwerk aber in einen "Darkroom für
Musikschaffende und Verwerter" umgestaltet. Zur Kür kamen Musiker auf die
Bühne, unter ihnen der Entertainmentprofi Jacques Palminger.
Vorher aber die Plicht, bei der das Publikum aufgefordert war, mittels
eines in die Höhe gereckten Knochens in die Vorträge einzugreifen. "Der
Künstler, der macht, was er will", hatte der Kölner Textdichter Tobias
Röger seinen Beitrag überschrieben.
Röger hat eine Punkrockvergangenheit, mit der Band Wohlstandskinder tourte
er jahrelang durch die Republik. Im Nachhinein sehe er diese Zeit als
Praktikum an, sagte er. Noch blieben die Knochen unten. Inzwischen schreibt
Röger Songs für Gunter Gabriel oder Christina Stürmer, steht bei der
Universal als Songwriter unter Vertrag. Und so erzählte die selbst ernannte
"Konzernhure" von Meetings mit Stars und Managern, bei denen Songthema und
BPM-Zahl vorab festgelegt würden. "Für Geld mache ich alles", gestand
Röger. Nicht mal als Zitat klang das Geständnis glamourös. Röger muss
seinen Unterhalt mit Gesangsunterricht bestreiten, denn der Vorschuss der
Plattenfirma reicht bei weitem nicht zum Leben aus.
Sarah Bogners multimediale "Einführung in den Dilettantismus" zeigte in
eine andere Richtung. Die in Wien lebende Münchner Künstlerin referierte
die Vorteile und Nachteile der halb ernsten Wissensaneignung nach Goethe
und Schiller und versuchte deren Thesen mit eigenen Musikvideos und
Hörspielen zu veranschaulichen. Bogners Videos sind betont asynchron zur
Musik inszeniert.
Die Rumpelästhetik ist zwar nicht neu, aber charmant. Bogner praktiziert
Circuit Bending, eine in den USA entwickelte Manipulationstechnik, bei der
elektronische Musikinstrumente durch Eingreifen in Schaltkreise und
Umlötungen transformiert werden, um Industrienormierungen und Klangpaletten
zu erweitern oder zu zerstören. "Eine zukunftsweisende Kunstform, die auch
noch ein Hund versteht", so Sarah Bogner.
Was bei ihr chaotisch und antistrategisch anmutete, erklärte der Hamburger
Theaterregisseur Veit Sprenger in seinem Vortrag über Musik als Teil der
Bühnenperformance kühl-kalkuliert. Sprenger, Koregisseur der preisgekrönten
Musikvideos der Hamburger Band Kante, verfolgt in den Theaterstücken mit
seiner Performance-Art-Gruppe Showcase Beat Le Mot das Prinzip der
Selbstüberforderung. Schauspieler müssen mit Skistiefeln Square Dance
tanzen. Die Kunst ist ohne selbst auferlegte Handicaps nicht mehr zu haben,
dann aber klänge sie auch wieder befreit, so Sprenger. Und doch gibt es
äußere Umstände, gegen die auch er nicht ankommt. "Die bösen Majors, wir
kennen das Gerede - leider stimmts", sagte er über die Tatsache, dass die
Plattenfirma EMI seinen Videoclip zum Kante-Song "Zombi" nachträglich
umschneiden ließ.
"Es geht in erster Linie um Musiker und Zuhörer, alle anderen, die sich
dazwischenschieben, müssen sich rechtfertigen", so zitierte Volker
Grassmuck den ehemaligen Manager der Band Pink Floyd. Grassmuck, Soziologe
an der Berliner Humboldt-Universität, sprach zum Thema "Freies Wissen". Die
Musikindustrie interessiere ihn gar nicht, ihm sei an der Zukunft der
Freiheit der Zeichen gelegen.
Und so hob er an zu einem Exkurs über Urheberrechte von John Locke, über
Lautréamont bis hin zu den Situationisten und der Copy-Art-Bewegung. Die
Knochen schnellten im Minutentakt in die Höhe, als er über alternative
Musikökonomien im Nordosten Brasiliens berichtete und zu den neuen
Vertriebsformen im Internet Auskunft gab.
Von der internationalen Theorie zur Praxis in Deutschland ist es aber noch
ein weiter Weg, das wurde an diesem vielstimmigen und kontroversen
Debattentag mal wieder klar. Aber "es gibt Hits, und es gibt den Hit, bei
dem wirklich kein Sackhaar wackelt". Als Jacques Palminger seinen Torchsong
"Deutsche Frau" einleitete, gab es - Broterwerb hin oder her - kein Halten
mehr. Spätestens dann war deutlich: Operation Ton gelungen, Patient Pop
lebt noch.
13 Jan 2008
## AUTOREN
Julian Weber
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