# taz.de -- Indie Pop: Shoegazing mit den Magnetic Fields | |
> Das Comeback des Shoegazing wird nicht mehr aufzuhalten sein: Jetzt haben | |
> sich auch Stephin Merritt und die Magnetic Fields des Genres angenommen. | |
Bild: Zwischen Meeresrauschen und Tinnitus: The Magnetci Fields. | |
Irgendwas zwischen Meeresrauschen und Tinnitus. Der Rausch, das Rauschen. | |
Die Verstörung, der Verzerrer, der Krach, die Auflösung, die Katharsis, die | |
Wucht der Melancholie und der alles befreiende Lärm. Dass dieser weiße | |
Lärm, die leicht weltfremdelnde Verstörung mittels Verzerrerpedal und | |
Feedback ein derartiges Comeback feiern würde, war lange nicht abzusehen. | |
Ein ganzes Genre, nämlich das des "Shoegazers", ist fast 20 Jahre nach | |
seinem ersten, damals recht marginalen Auftritt, wieder auferstanden. | |
Hauptwerke waren damals natürlich "Loveless" von My Bloody Valentine (die | |
sich ebenfalls anschicken, in diesem Frühjahr ein Comeback zu landen, die | |
angekündigten Konzerte sind bereits ausverkauft) und "Just Like Honey" von | |
The Jesus & Mary Chain, dieser einmalige Versuch, Frühsechziger-Leid, Phil | |
Spector und brutalen Feedbacklärm zusammenzudenken. | |
Jetzt hat sich auch Stephin Merritt, Kopf der Magnetic Fields und als | |
solcher auch schon siebzehn, achtzehn Jahre im Geschäft, des Genres noch | |
einmal angenommen. Merritt ist seit einiger Zeit Held der unangepassten, | |
"alternativen" Schwulenszene New Yorks und als solcher mit Projekten wie | |
den 6ths oder den Future Bible Heroes unterwegs. Musikalisch pendelte er | |
dabei stets zwischen leicht verdaulichem Indierock und glitzerndem | |
Synthiepop im Geiste Marc Almonds, über den Status eines Undergroundstars | |
kam er bisher allerdings nicht hinaus. Vielleicht war seine Musik bislang | |
zu lieblich, zu übertrieben, zu geschickt arrangiert oder schlichtweg zu | |
schwul für den Mainstream, obwohl er immer wieder Beistand von prominenter | |
Seite (neben Almond u. a. Gary Numan und Melanie Safka) erhalten konnte. | |
Vielleicht war er auch immer eine Spur zu nerdig, was bis zu den Konzepten | |
reichte, die er sich für die jeweiligen Alben seiner Hauptband, den | |
Magnetic Fields, ausdachte. | |
So gab es zuletzt das Album "i" (2004) mit 14 Liedern, deren Titel mit dem | |
Buchstaben I anfangen. Den bislang größten Erfolg erzielten die Magnetic | |
Fields mit einer 3-CD-Kompilation voller Liebeslieder, die folgerichtig "69 | |
Love Songs" hieß (1999). Mit seinem achten Studioalbum stellt Merritt | |
schließlich eine Soundidee nach vorn: "Distortion". Dreizehn Lieder, | |
dreizehn mal weißes Rauschen, dreizehn mehr oder weniger putzige Melodien, | |
und immer dröhnt irgendwas dazwischen. Gitarren werden verzerrt, Verstärker | |
quietschen, es raschelt und rauscht. Dreizehn verweht. Ob es diesmal | |
reicht, mehr als die - ob schwul oder nicht - immer schon zur Niedlichkeit | |
neigenden Indiekreise zu erreichen, bleibt offen. | |
Merritt hat allerdings ein Händchen für schmissige, schnell ins Ohr gehende | |
und manchmal genauso schnell wieder von dort raus hängende Stücke. Manche | |
sind echte, kleine Hits, denen man deftiges Airplay oder Filmauftritte | |
gönnt, andere geraten zu lieblich, zu vorhersehbar. Von der formidablen | |
Qualität eines Songs wie "I Think I Need a New Heart" (von "69 Love Songs") | |
oder "You You You You You" (von Merritts Seitenprojekt The 6ths) finden | |
sich auf "Distortion" leider nur wenige. "Three-Way" erinnert an das | |
untergegangene Easy-Listening-Projekt Grenadine, "California Girls" ist | |
Anti-Brian-Wilson, besser: Anti-Mike-Love in seiner Art, die Mädchen vom | |
Strand zu dissen. "Xavier Says" ist eine schöne Antwort auf The Velvet | |
Underground. Die anderen Stücke, mal von Merritt mit bemüht dunkler Stimme, | |
mal von Claudia Gonson vorgetragen, mäandern so vor sich hin. | |
Kindermelodien, unterlegt mit Rauschen. | |
Das ist sehr schade, denn Merritt kann mehr. Dem Genre des Shoegazings | |
fügen er und seine Magnetic Fields aber keine weiteren Varianten hinzu. | |
Dabei können gute Shoegaze-Stücke wuchtige Ausdrucksformen von leicht | |
verrutschten Gefühlen bieten; somnambules Verträumtsein, dröhnende Wehmut | |
und die gelungene Flucht in den Eskapismus, die viel mit psychogenen | |
Rauchschwaden zu tun hat. Es kommt nur darauf an, Expression in Text und | |
Sound (der wichtiger ist als die dahinter schlummernden Harmonien) auf die | |
richtige Weise zu verbinden. | |
Wie das heute geht, haben zuletzt Amusement Parks on Fire, The Voices und | |
die Raveonettes bewiesen. Auch darf man gespannt sein, was der Gottvater | |
des Shoegaze bzw. Noise Pops, Kevin Shields von My Bloody Valentine, | |
demnächst beizutragen hat. Was die Magnetic Fields angeht - so sei auf | |
deren bessere Platten wie "69 Love Songs" verwiesen. "Distortion" ist nicht | |
schlecht, gewinnt der Idee aber zu wenig ab. Vielleicht gelingt Merritt mit | |
der nächsten Idee mehr. Piratensongs, nach Inseln sortiert und nur mit | |
Geigenbegleitung, das wäre doch was. | |
The Magnetic Fields: "Distortion" (Warner) | |
17 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
## TAGS | |
Dubstep | |
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