# taz.de -- Foodwatch-Chef Thilo Bode: "Jeder hat das Recht, sich zu vergiften" | |
> Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode kämpft mit Foodwatch für mehr Transparenz | |
> auf dem Lebensmittelmarkt. Derzeit hält er sich auf der Grünen Woche auf. | |
> "Eine fürchterliche Veranstaltung", findet er. | |
Bild: "Heute haben etwa 20 Millionen Menschen in Deutschland nicht genug Geld, … | |
taz: Herr Bode, Sie sehen wohlgenährt aus. | |
Thilo Bode: Sie meinen, ich bin dick? | |
Nein. Aber mager sind Sie auch nicht. Sie finden offenbar noch genug | |
Lebensmittel, die Sie für genießbar halten. Das macht Hoffnung. | |
Die Lust am Essen ist mir noch nicht vergangen. Aber ob das ein gutes | |
Zeichen ist? Sicherlich weiß ich ein bisschen mehr über Lebensmittel als | |
andere. Das heißt aber nicht, dass ich mich im Laden besser orientieren | |
kann. Auch ich habe keine Ahnung, ob das Gemüse mal wieder unzulässig hoch | |
mit Pflanzenschutzmitteln belastet ist. Das steht ja nicht dran. | |
Wo kaufen Sie ein? | |
Ich wohne in der Nähe vom Zionskirchplatz in Mitte. Bei mir an der Ecke | |
gibt es eine kleine Vietnamesin, die auch sonntagabends noch auf hat. Dann | |
gehe ich regelmäßig zu Kaisers und am Wochenende zum LPG Biosupermarkt in | |
der Kollwitzstraße, wo ich Fleisch und Gemüse bekomme. | |
Prüfen Sie Herkunft und Inhaltsstoffe der Produkte? | |
Ich mache keine Experimente, kaufe immer dasselbe. Tee, Pasta, alles | |
Sachen, bei denen ich weiß, was drin ist. Aber es gibt Ausnahmen. Wenn ich | |
Gäste habe und Kartoffelchips brauche, passiert es schon, dass ich vorher | |
nicht auf unserer Internet-Seite nachsehe, welche wie viel Acrylamid | |
enthalten. Das ist mir dann doch zu mühsam. | |
Was machen Sie? | |
Ich kaufe einfach irgendwelche. Meine Gäste sagen: "Das sind bestimmt die | |
Chips mit dem geringsten Acrylamid-Gehalt." Ich sage: "Stimmt." | |
In der Öffentlichkeit regen Sie sich darüber auf, aber Ihren Gästen setzen | |
Sie das Zeug vor? | |
Weil ich auch nur ein Kunde bin, der begrenzt Zeit hat, sich schlau zu | |
machen. Das Beispiel zeigt ja, wie nervig es ist, dass man auf der Packung | |
wichtige Informationen nicht bekommt. Eine Leberwurst ist keine | |
Eigentumswohnung - als Käufer will ich mich relativ schnell entscheiden | |
können. Aber wie kann ich das, wenn ich mir mühsam die Informationen | |
zusammensuchen muss - vorausgesetzt, ich erhalte sie überhaupt? | |
Das ist auch der Grund, warum Sie 2002 Foodwatch gegründet haben? | |
Ja. Wir fordern mehr Transparenz. Die Industrie spricht gern vom mündigen | |
Verbraucher, aber das ist eine Illusion. Es gibt nur den unmündig gemachten | |
Verbraucher. Für mich ist das weniger eine Frage des Essens als der | |
Bürgerrechte. Die Nahrungsmittelindustrie blockt da total ab. Die verhält | |
sich wie die chemische Industrie, als die Umweltaktivisten vor 25 Jahren | |
auf die Schornsteine stiegen. Das regt mich wirklich auf. | |
In Berlin trifft sich die Branche derzeit auf der Grünen Woche. | |
Eine ganz fürchterliche Veranstaltung. Dieses Übermaß an schlechtem Essen, | |
der Geruch. Da wird mir schon übel, wenn ich reinkomme. | |
Die Regierung hat ein neues Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg | |
gebracht. Bürger erhalten demnach grundsätzlich Zugang zu behördlichen | |
Informationen über Lebensmittel. | |
Das bringt gar nichts. Das Gesetz enthält viel zu viele Ausnahmen. Als | |
Kunde wird man weiterhin verdummt und betrogen. Manchmal teste ich aus, wie | |
weit ich als Verbraucher komme. | |
Was meinen Sie? | |
Neulich habe ich in einem Geschäft gefragt, wie viel Zucker in der | |
Milchschnitte ist. Mein Sohn würde die so gern essen, ich hätte aber | |
gehört, sie mache dick. Die Verkäufer schauen nach und finden den | |
Zuckergehalt nicht. Dann kommt die Geschäftsführerin und sagt: Es sei doch | |
bekannt, dass Milchschnitten nicht wenige Kalorien enthielten. Ich frage: | |
"Kann ich meinem Sohn 10 oder 15 Milchschnitten am Tag geben?" "Um Gottes | |
willen, nein." Die Geschäftsführerin fragt beim Hersteller nach. Zwei | |
Wochen später erklärt sie, der Zuckergehalt sei Rezepturgeheimnis. Absurd. | |
Wie oft machen Sie so was? | |
Ab und an, wenn ich dazu aufgelegt bin. Beim Metzger von Kaisers habe ich | |
schon gefragt, ob ich den "Birkenhof" mal besuchen könnte, um zu sehen, wo | |
die Kühe herkommen. Eine jüngere Verkäuferin sagte mir, das sei sicher kein | |
Problem. Peinlich nur, dass ihre ältere Kollegin dann zugab, diesen | |
romantischen Birkenhof gäbe es nicht. Das sei nur eine Marke. | |
Die Verkäufer können ja nichts dafür. Welchen Zweck haben diese Tests für | |
Sie? | |
Ich brauche das wohl manchmal, um zu spüren, wie der Markt funktioniert. | |
Wenn sich hinter mir eine lange Schlange bildet, die Leute murren, dann | |
höre ich natürlich auf. | |
Sie haben eine Mission. | |
Das muss man haben, wenn man so einen Job macht. Mich interessiert das | |
Politische am Thema Essen. Ich war immer politisch aktiv, habe mich schon | |
in der Schule mit dem Vietnamkrieg beschäftigt. Später engagierte ich mich | |
in der Entwicklungshilfe, dann beim Umweltschutz. Mich fasziniert an der | |
Politik, dass die nötigen Erkenntnisse eigentlich alle vorliegen, es also | |
vor allem ein Problem der Umsetzung ist. | |
Sind Sie Idealist? | |
Ich glaube an die Demokratie, ich will soziale Gerechtigkeit. | |
Das klingt jetzt ein bisschen platt. | |
Ich meine es aber ernst. Es ist doch beschämend, wie viel Ungerechtigkeit | |
es in Deutschland gibt. Ich lebe seit sieben Jahren in Berlin. Hier kann | |
man der Armut nicht ausweichen, man sieht sie jeden Tag auf der Straße. | |
Viel mehr als in anderen Städten wie Hamburg oder München. | |
Wohnen Sie gern hier? | |
Ja. Ich komme aus dem Landkreis Starnberg, das ist der wohlhabendste in | |
ganz Deutschland. Viele Leute dort haben keinen Bezug zur Realität. Das | |
kann mir in Berlin nicht passieren. Hier zu leben ist hilfreich, um | |
politisch beurteilen zu können, was ist wichtig, was nicht? Um bescheiden | |
zu bleiben. Und um sich bewusst zu sein, wie gut es einem geht. Das hört | |
sich jetzt etwas pathetisch an. Aber für mich ist das sehr wichtig. | |
Auch für Ihre Arbeit? | |
Ja sicher. Heute haben etwa 20 Millionen Menschen in Deutschland nicht | |
genug Geld, um sich gesund und ökologisch verantwortlich zu ernähren. Bei | |
der Ernährung haben wir eine Zweiklassengesellschaft. Ich frage mich: Wie | |
können wir es schaffen, dass Lebensmittel mit ehrlichen Preisen und | |
ehrlicher Qualität allen Leuten zustehen? | |
Und, haben Sie schon eine Antwort gefunden? | |
Informationsrechte und das einklagbare Recht auf saubere Lebensmittel sind | |
das eine. Das andere ist eine Sozialpolitik, die es den Bürgern finanziell | |
ermöglicht, sich gut zu ernähren. | |
Die Kunden können auch jetzt schon etwas gegen schlechte Lebensmittel tun. | |
Sie können sie boykottieren. | |
Die Spielregeln ändern sie damit nicht. | |
Aber den Markt. Wenn die Nachfrage ausbleibt, geht auch das Angebot zurück. | |
Wie wollen Sie die Chips mit dem niedrigsten Acrylamidgehalt kaufen, wenn | |
davon nichts auf der Packung steht? Sicher, bei Produkten mit Biosiegel ist | |
die Herstellung des Rohstoffs ökologisch besser. Doch über die Verarbeitung | |
und mögliche Zusatzstoffe weiß man ebenfalls wenig. Auch wenn es nur | |
Biofleisch gäbe, hätten wir noch die Gammelfleischskandale. | |
Sie haben mal gesagt, die Verbraucher sollten sich zusammentun und | |
Supermärkte stürmen. | |
Das war nicht ganz wörtlich gemeint. Doch es ist wichtig, dass die Menschen | |
sich nicht alles gefallen lassen, dass sie sich organisieren. Ohne zivilen | |
Ungehorsam werden wir den Markt nicht verändern. Man muss ja nicht gleich | |
so ein berufsmäßiger Querulant und Nörgler sein wie ich. | |
Gefallen Sie sich in dieser Rolle? | |
Manchmal hasse ich mich dafür, aber ich brauche es irgendwie. | |
Sie sind vor allem auch Lobbyist. Um für Ihr Anliegen zu werben, müssen Sie | |
immer dieselben Sätze sagen. "Robben werden besser geschützt als | |
Verbraucher" ist so einer. Nervt das? | |
Gute Sätze muss man gar nicht wiederholen, die wiederholen andere. Das ist | |
der Trick. Ich brauche den Satz nicht mehr zu sagen, das tun Sie ja schon. | |
Weil ich ihn doch oft bei Ihnen gelesen habe. | |
Als NGO kann man Öffentlichkeit nicht kaufen, man muss sie gewinnen. | |
Einprägsame Sätze sind da unheimlich wichtig. Natürlich nervt es, sie zu | |
wiederholen. Einerseits. Andererseits bin ich dann wieder so sauer, dass es | |
mir nichts ausmacht. | |
Bekehren Sie auch Ihre Freunde? | |
Im Gegenteil. Früher, als ich in der Umweltbewegung war, haben die Leute | |
dauernd gedacht, sie müssen sich bei mir entschuldigen, weil sie ein großes | |
Auto fahren. Heute fragen sie: "Dürfen wir das noch essen?" Das finde ich | |
eher anstrengend. | |
Freuen Sie sich doch. Sie stellen eine moralische Instanz dar. | |
Aber das will ich nicht sein. Natürlich darf man alles essen. Jedem steht | |
es frei, sich selbst zu vergiften. Man sollte es meiner Meinung nur wissen. | |
Das Recht auf Informationen, darum geht es mir. | |
Reden Sie mit Ihrer Familie darüber? | |
Meiner Mutter kann ich mit dem Thema nicht kommen. Sie ist 86 und gehört | |
zur Kriegsgeneration. Für die war die Frage entscheidend, ob es überhaupt | |
genug zu essen gibt. Sie freut sich, dass mir mein Job Spaß macht. Aber sie | |
versteht sicherlich nicht, dass ich mich mit dem Metzger im Ort anlege, | |
weil der Weißwurstdarm aus China kommt. | |
Das Nachfragen scheint bei Ihnen tatsächlich eine Art Sport zu sein. | |
Manchmal kann ich es nicht lassen. Das hängt davon ab, ob ich Ärger will. | |
Am Zionskirchplatz gibt es zum Beispiel das Lokal "Kapelle". Wenn ich da | |
eine Suppe esse, frage ich nicht nach. Ich möchte mir ja meine Stammkneipe | |
nicht vermiesen. Oder letzte Woche: Da war ich mit meiner Freundin aus, es | |
gab was zu Feiern. So ein Essen mache ich dann natürlich auch nicht zu | |
einem Kreuzverhör. | |
Gehen Sie gern ins Restaurant? | |
Nicht mehr. Ich ärgere mich zu oft. Restaurants sind ja ein Hort der | |
Intransparenz. Neulich habe ich ein Wiener Schnitzel bestellt. Und mir | |
hinterher geschworen, es nie wieder zu tun. | |
Weshalb? | |
Mir war übel. | |
Sind Sie sicher, dass das am Schnitzel lag? | |
Schon. Aber das ist ja immer das Problem beim Lebensmittelrecht. Der Corpus | |
delicti ist verzehrt. Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung lässt sich | |
nicht mehr eindeutig nachweisen. | |
Gibt es auch ungesundes Essen, bei dem Sie schwach werden? | |
Wenn ich hungrig bin, kaufe ich hin und wieder eine Bratwurst, weil sie gut | |
schmeckt. Der Genuss steht bei mir immer noch oben an. Aber ich bin | |
vorsichtiger geworden. | |
Inwiefern? | |
Ich esse keinen Döner mehr. Ich gehe auch nicht mehr zum Chinesen. Dafür | |
habe ich zu viel über Importe von verbotenem Geflügelfleisch gelesen. | |
Waren Sie in letzter Zeit mal bei McDonalds? | |
Ja. Wenn ich am Flughafen bin und großen Hunger habe, kaufe ich mir lieber | |
einen Hamburger als irgend so ein undefinierbares Sandwich. Das Fleisch ist | |
zwar mittelmäßig, es stammt von alten Milchkühen, aber in puncto Sicherheit | |
ist man bei McDonalds gut aufgehoben. Die Brötchen enthalten Zusatzstoffe, | |
die Foodwatch selber analysiert hat. Bei McDonalds weiß ich also zumindest, | |
was ich bekomme. Und das ist schon viel in Deutschland. | |
INTERVIEW: ANTJE LANG-LENDORFF | |
21 Jan 2008 | |
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Lebensmittel | |
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