# taz.de -- Weltwirtschaftsforum in Davos: Suche nach Verantwortung | |
> Die Systemkritik ist vorbei, das Sozialforum abgesagt - jetzt wollen die | |
> Konzerne die Gunst des "politischen Konsumenten". | |
Bild: "Den Zustand der Welt verbessern": WEF-Gründer Klaus Schwab | |
Der große Globalisierungs-Streit wird nicht stattfinden. Selbstsicher und | |
ziemlich unbehelligt versammeln sich von Mittwoch an rund 1.000 Chefs | |
transnationaler Unternehmen, 27 Staats- und Regierungschefs und 113 | |
Minister im Schweizer Skiort Davos zum World Economic Forum (WEF). Wie fast | |
jedes Jahr seit 1971 kommt die globale Wirtschafts- und Politikelite, um | |
Geschäfte zu tätigen, Bildungsurlaub auf hohem Niveau zu betreiben und dem | |
Ziel nachzueifern, das WEF-Gründer und Chef Klaus Schwab so formuliert: | |
"den Zustand der Welt verbessern". | |
Dieser Anspruch war in den vergangenen Jahren umkämpfter, als er es heute | |
ist. Erstmals 2001 organisierten Globalisierungskritiker in der | |
südbrasilianischen Stadt Porto Alegre den Gegengipfel zu Davos. | |
"Weltsozialforum" tauften sie ihre Veranstaltung in klarer Abgrenzung zum | |
Wirtschaftsforum in der Schweiz. Zehntausende junge, linke Leute lauschten | |
2002 dem philippinischen Soziologen Walden Balden, als der in Porto Alegre | |
das Zeitalter der "Deglobalisierung" ausrief. Wenn in Davos die | |
segensreiche Wirkung des freien Weltmarktes gefeiert wurde, kam aus | |
Brasilien ein lautes "Eine andere Welt ist möglich". | |
Davon ist kaum noch etwas zu bemerken. 2008 fällt der Gegengipfel zu Davos | |
aus. Am kommenden Samstag gibt es als Ersatz einen so genannten weltweiten | |
Aktionstag. Deutsche Davos-Kritiker haben - nach gegenwärtigem Stand - drei | |
Dutzend lokaler Veranstaltungen organisiert. "Besonders herausgefordert | |
wird sich das WEF in diesem Jahr wohl nicht fühlen", resümiert Rainer Falk, | |
der den kritischen Informationsdienst Weltwirtschaft & Entwicklung | |
herausgibt. | |
Davos lebt, und die globalisierungskritische Bewegung verabschiedet sich | |
allmählich? "Nein, das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine kreative | |
Atempause", sagt Oliver Classen, Sprecher der Davos-kritischen Schweizer | |
Organisation "Erklärung von Bern". Für seine These sprechen zwei Tatsachen: | |
Mit ihren Aktionen zum G-8-Gipfel der mächtigsten Staaten haben die | |
europäischen Globalisierungskritiker 2007 für große Aufmerksamkeit gesorgt. | |
Und 2009 soll auch wieder ein Weltsozialforum stattfinden - in der Stadt | |
Belém im Norden Brasiliens. | |
Eine gewisse Erschöpfung ist den Umweltverbänden, Netzwerken und | |
Menschenrechtsorganisationen trotzdem anzumerken. Es fällt ihnen schwer, | |
jedes Jahr einen Riesenkongress zu organisieren, der in der globalen | |
Öffentlichkeit als Gegenstück zum Weltwirtschaftsforum wahrgenommen wird. | |
Und es ist auch ermüdend, jedes Jahr aufs Neue dieselbe Megadiskussion über | |
die gute oder schlechte Globalisierung zu führen. | |
Klaus Schwab und seine Crew vom WEF haben es da leichter. Mehr als 250 | |
Mitarbeiter halten den Apparat das ganze Jahr über am Laufen. An Geld | |
mangelt es ihnen nicht: Mehr als 1.000 der einflussreichsten Unternehmen | |
der Welt sind Mitglieder des Forums. Sie zahlen jeweils 42.500 Schweizer | |
Franken (26.300 Euro) Jahresbeitrag. Hinzu kommt, dass jeder Manager, der | |
in Davos mal mit Tony Blair persönlich reden möchte, 11.000 Euro | |
Teilnahmegebühr hinlegt. | |
Der intensive Streit der vergangenen Jahre ist im Übrigen nicht spurlos an | |
den Kontrahenten vorbeigegangen. Beide Seiten teilen die Welt nicht mehr | |
strikt in Schwarz und Weiß, wie es nach den großen Straßenschlachten in | |
Seattle 1999 noch üblich war. "Die Zeit der Systemkritik ist erst einmal | |
vorbei", sagt Kritiker-Sprecher Oliver Classen. Statt des ganz großen | |
Themas haben sich kleinere in den Vordergrund geschoben. Eines davon heißt | |
"Unternehmensverantwortung". | |
"Die großen Firmen nehmen das sehr wichtig", sagt André Schneider, einer | |
der engsten Mitarbeiter von WEF-Chef Klaus Schwab. Tatsächlich kommt heute | |
kaum eines der bekannten Großunternehmen ohne Bekenntnisse und Aktivitäten | |
aus, die gegenüber der Öffentlichkeit und Politik unterstreichen, dass es | |
nicht nur um den Profit geht. Hohe Gewinne sind zwar nach wie vor das alles | |
beherrschende Ziel, aber man will sie in Einklang mit der Gesellschaft und | |
nicht gegen sie erwirtschaften. Dutzende Referenten werden in Davos | |
ausleuchten, wie Firmen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen | |
können: indem sie beispielsweise auf die Zahlung von Schmiergeld | |
verzichten, die Vorstandsgehälter im Rahmen bleiben und die Bezahlung den | |
Beschäftigten, auch wenn diese in China oder Kambodscha leben, ein | |
angemessenes Auskommen ermöglicht. | |
Und auch die Kritiker haben sich auf dieses Feld begeben. Classen: "Wir | |
beobachten, wie sich Konzerne im konkreten Einzelfall verhalten." Die | |
Ergebnisse dieser Überprüfung werden am kommenden Mittwoch veröffentlicht. | |
Dann verleiht die Kritiker-Organisation "Public Eye" ihre diesjährigen | |
Firmen-Auszeichnungen. Ganz oben auf der Kandidatenliste für die "Hall of | |
Shame", die Halle der Schande, steht auch ein in Deutschland ansässiges | |
Unternehmen: Bayer CropScience, ein Teilkonzern der Bayer AG, der | |
Pflanzenschutzmittel herstellt (siehe rechts). | |
Aktionen wie des Public Eye werden auch bei den offiziellen Veranstaltungen | |
des WEF im Kongresszentrum von Davos sehr genau registriert. Geht es doch | |
um das Image einzelner Unternehmen in der Öffentlichkeit. Der Ruf seiner | |
Firma, das weiß jeder Vertriebsmanager, ist mitentscheidend für den Verkauf | |
der Produkte. Dieser Zusammenhang mag bei einem Unternehmen wie Bayer | |
CropScience, dessen Waren nicht im Supermarktregal stehen, nicht so | |
offensichtlich sein. Siemens oder Nokia sind da schon in einer anderen | |
Lage. Die Konzerne und ihre Kritiker sind näher zusammengerückt. Sie | |
kämpfen nicht mehr ums System, sondern um die Gunst der politischen | |
Konsumenten. | |
22 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Davos-Kritiker "Public Eye": Nahrung oder Biosprit | |
Drei Konzerne hat die Davos-kritische Organisation "Public Eye" für ihren | |
Negativpreis nominiert. Den Positivpreis könnte dieses Jahr eine deutsche | |
Firma erhalten. |