# taz.de -- Sechstagerennen: Im Rund spricht niemand über Doping | |
> Das Berliner Sechstagerennen im Velodrom ist beliebt wie nie: Unberührt | |
> von den zahlreichen Dopingskandalen im letzten Jahr feiern täglich mehr | |
> als 13.000 Zuschauer ihre Helden der Bahn. | |
Bild: Was wirklich passiert beim Sechstagerennen sehen nicht alle | |
Die Stimme des Hallensprechers droht zu kippen. Er brüllt: "Hier ist der | |
Mann, auf den wir alle so lange gewartet haben!" Schlagersänger Frank | |
Zander kommt. Das halbstündige Showprogramm beginnt. Seit zehn Jahren tritt | |
Zander regelmäßig beim Berliner Sechstagerennen in Prenzlauer Berg auf. So | |
auch am Samstagabend, dem dritten Wettkampftag. Die 13.500 Zuschauer im | |
ausverkauften Velodrom johlen. Wer den Bahnradsport liebt, scheint auch den | |
blonden, schnauzbärtigen Hausbarden zu lieben. Kurz vor Mitternacht erhebt | |
sich die Menschenmenge von ihren Sitzen und schwankt hin und her. Zander | |
singt: "Wir stehen auf und heben unsere Hände, halten alle fest zusammen | |
bis zum Ende." | |
Eine vortreffliche Radsporthymne, könnte man sagen, wenn man an die | |
zahlreichen Dopingskandale und das kollektive Schweigen von Fahrern und | |
Betreuern zu den Hintergründen denkt. Der Profiradsport befindet sich in | |
einer schweren Krise. Viele fürchten um ihre Existenz. | |
Doch all dies haben weder Zander noch das Publikum im Sinn. Im Velodrom | |
feiert man sich selbst und die Pedaleure. Zander fordert wenig später: | |
"Riesenapplaus für die Fahrer und unsere geile Stadt Berlin!" Die | |
bierselige Masse klatscht euphorisch. Die Stimmung ist bestens. Heinz | |
Seesing, der Chef der Veranstaltung, gesteht: "Im Vorfeld hatten wir großen | |
Bammel, dass sich die Skandale vom Sommer negativ auswirken würden." Die | |
Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Im Gegenteil. Man hat dieses Jahr | |
so viele Karten verkauft wie noch nie. Ein neuer Besucherrekord wird | |
erwartet. Seesing zog Samstagnacht ein erstes Fazit: "Aus den ersten drei | |
Tagen haben wir die Erkenntnis gewonnen: Das Event ist krisenfest." | |
Über Doping spricht im weiten Rund niemand. Das dominierende Thema der | |
diesjährigen Veranstaltung ist, so Seesing, der Kreuzbandriss von Franco | |
Marvulli, den er sich drei Tage vor dem Berliner Sechstagerennen bei einem | |
Treppensturz zuzog. Am ersten Tag ging er noch an Krücken zu seinem Rad, | |
und als er Feierabend hatte, belegte er mit seinem Teamkollegen Bruno Risi | |
den ersten Platz. Solche Geschichten liebt das Berliner Publikum. Und der | |
Hallensprecher vergaß es nie zu erwähnen: "Marvulli, der mit dem | |
Kreuzbandriss." Ein neuer Held war geboren. Leistungssport trotz schwerster | |
Verletzung. Marvulli bietet eine ideale Mischung aus Sport und Show und | |
verkörpert wie kein anderer das besondere Flair der Veranstaltung. | |
Der Schweizer zeigte sich beeindruckt von den vielen Sympathien, die ihm | |
entgegenschwappten. "Das gibt es nur hier in Berlin, dass auch ausländische | |
Fahrer angefeuert werden." Die allgemeine und ungebremste Begeisterung für | |
den Bahnradsport hält er hingegen für selbstverständlich. In der Halle läge | |
der letzte Dopingfall Jahre zurück, betont er. Wie kommt es aber zu diesem | |
Unterschied? "Vielleicht sind die Straßenfahrer Idioten", sagt Marvulli. | |
Derjenige, dem nichts nachgewiesen werden kann, ist aber nicht automatisch | |
unschuldig. Heinz Seesing weiß, dass die Wirklichkeit komplizierter ist. Er | |
hält die Bahnradsportler nicht für schlauer oder besser, sondern weist | |
darauf hin, dass es bei den Straßenfahrern um sehr viel mehr Geld gehe. Die | |
Verführung zum Betrug sei dort einfach größer. | |
Dennoch zeigte sich Seesing im Vorfeld des Berliner Sechstagerennens auch | |
seiner eigenen Klientel gegenüber misstrauisch. Er wollte eigentlich ein | |
Drittel aller Gagen für den Fall zurückhalten, dass sich im Nachhinein eine | |
Dopingprobe als positiv herausstellen sollte. Nach heftigen Protesten der | |
Fahrer gab er den Plan jedoch auf. Er habe eingesehen, so Seesing, dass man | |
immer von der Unschuldsvermutung ausgehen solle. | |
In der Nacht zum Sonntag verloren die Publikumslieblinge Risi und Marvulli | |
allerdings die Führung in der Gesamtwertung an die Deutschen Guido Fulst | |
und Leif Lampater. Der 38-jährige Berliner Fulst, der im Velodrom das | |
letzte Rennen seiner Karriere bestreitet, ist übrigens der letzte | |
Bahnradfahrer, der im Jahre 2001 des Dopings überführt wurde. Sein Vergehen | |
war vergleichsweise harmlos. Er hatte bei einem Sechstagerennen Koffein zu | |
sich genommen. Das Interessante an diesem Fall war die Reaktion des | |
amtierenden Sportdirektors des Bundes Deutscher Radfahrer, Burkhard Bremer. | |
Er sagte damals: "Das ist doch nichts anderes als eine Zirkusveranstaltung. | |
Nur um dort schneller zu fahren, nimmt man doch kein Koffein." | |
27 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
Johannes Kopp | |
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Radsport | |
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