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# taz.de -- Ralf Ziervogel im Kunstverein Heilbronn: Auf den Abstand kommt es an
> Die Ausdehnung des Strichs: In Zeichnungen und Installationen beweist
> Ralf Ziervogel, dass die Unterscheidung zwischen abstrakter und
> gegenständlicher Kunst obsolet ist.
Bild: Fein gestrichelt: die Arbeit "Ende Neu" von Ralf Ziervogel - im Original …
Klausthal-Zellerfeld muss ziemlich klein sein. Der hübsche Doppelname
deutet auf ein irgendwann mal zusammengewachsenes Vorortdorf à la
Castrop-Rauxel hin, irgendwo da draußen in Deutschland. Auf jeden Fall ist
es die Heimatstadt eines vielversprechenden jungen Künstlers, geboren 1975,
der inzwischen, man ahnt es, in Berlin wohnt. Und dieser Künstler, Ralf
Ziervogel, hat nun seine erste institutionelle Soloausstellung mit dem
unverdächtigen Titel "Gruß aus Klausthal-Zellerfeld" im Kunstverein
Heilbronn. Doch was er da als Grußkarte verschickt, ist alles andere als
unverdächtig. Denn seine Arbeiten liefern ein Panoptikum brutalster Details
mit jeder Menge Sex und Gewalt.
Gleich zu Beginn findet man 29 kleine Zeichnungen - präsentiert jeweils im
Doppel mit einem passenden schwarzen Umschlag, der sie wie Briefe aus der
Hölle wirken lässt. Ziervogel kombiniert darauf Tiere, Pflanzen, Menschen
und Maschinen, ballt sie zusammen zu kleinteiligen Tableaus und erhöht den
Druck, bis sie irgendwann zerbersten oder zerreißen. Auf seinen größeren
Blättern ziehen diese abgerissenen und versprengten Körperteile dann
Fluchtlinien aus einem Motiv ins andere, verwandeln sich, durchlaufen
Metamorphosen und verbinden so die absurdesten Figuren und Szenarien zu
einem Rundgang durch die Hölle à la Hieronymus Bosch, in dem wild gefickt,
gemordet und malträtiert wird.
Doch man würde Ziervogels Arbeit verkürzen, würde man sie nur als kranke
Fantasien eines begabten Zeichners abstempeln, der darin seine
Kleinstadttraumata aufarbeitet. Denn am Grunde dieser Zeichnungen liegt
nicht das Obszöne und Gewaltsame, sondern die Dialektik von Zerfall und
Wiederaufbau, von Verbinden und Trennen, Organisation und Chaos: Es ist ein
freies Spiel von Assoziation und Dissoziation, und es scheint dabei die
Frage zu sein, wie weit man gehen kann, wie viel man aushalten kann, die
den Künstler letztlich umtreibt. Denn es zerreißen hier nämlich nicht nur
Glieder, Geschlechtsteile, Menschen und Tiere, sondern es zerreißt letzten
Endes auch das Gegenständliche, dem Ziervogels Arbeiten ihre explizite
Drastik verdankt. Seine Zeichnungen verflüchtigen sich immer mehr im
Abstrakten.
Dies wird sichtbar am Eingangsportal zu jenem gerade beschrieben
Höllentableau namens "Morlok", das Ziervogel mit sieben großen Papierbahnen
gestaltet hat, auf denen fragile abstrakte Stabkonstruktionen zwischen
Aufbau und Zusammenbruch zu sehen sind. Aber auch an den kleinen,
"Adoleszenzen" betitelten, Objekten. Teilweise aus handelsüblichem
Thesa-Band gefertigt und zu amorphen Gebilden gewickelt, halten sie
manchmal der Schwerkraft nicht stand und brechen in sich zusammen.
Besonders aber tritt diese Facette seines Werks auf den beiden mehrere
Meter hohen Papierbahnen zu Tage, die, in einem schlichten Metallrahmen
angebracht, an der schwarzen Wand des Kunstvereins lehnen. Hier sieht man
aus der Entfernung erst einmal fast gar nichts außer dem Weiß des Papiers
mit einigen schwarzen Flecken. Tritt man näher heran, so entpuppen sich
diese kleinen Irritationen auf dem weißen Untergrund als fein gestrichelte
Linien und Formationen. Erst aus dem Abstand im Zentimeter-Bereich erkennt
man, dass diese Linien eigentlich Fliegen und Mücken in Schwarmanordnungen
sind. Der Gegensatz zwischen Abstrakt und Gegenständlich wird hier
letztlich ad absurdum geführt, verwiesen in den Raum und auf die Distanz,
die der Betrachter zum Bild einnimmt.
Bisweilen wird das Zerreißen auch bis in den eigenen Körper hinein
ausgedehnt: Für das extra für den Kunstverein Heilbronn angefertigte über
zehn Meter breite "Ende Neu" hat er endlos viele, endlos dünne Haare
gezeichnet, so lange, wie es machbar war, ohne den Stift abzusetzen. Und
das ist maximal eine voll gestreckte Körperlänge von den Finger- bis zu den
Zehenspitzen.
Im Leporello zur Ausstellung beschreibt Ralf Ziervogel selbst seine Bilder
detailliert. Ein kleiner Ausschnitt daraus bildet in der Sprache auf
unübertroffen anschauliche Weise sowohl die Drastik der Motive wie auch -
auf der Ebene des Satzbaus - das Thema von Assoziation und Dissoziation ab:
"Zwei Seile verbinden weitere 51 sich gegenseitig penetrierende Männer,
Frauen und Tiere, in Form eines auseinander fliegenden Knäuls, das die von
Tischler Klose gefertigte, blutüberströmte U-Boot-Rampe bis zum äußersten,
oberen, rechten Rand demontiert. Ein dreitittiges Affenweib, eine HSV
bestulpte, mordende Nackte, ein hämmernder Bob Ross sowie ein Pferd, dessen
Hinterteil in einer mobilen Rügenwalder-Verwurstungsmaschine steckt, bilden
einen bunten Gegensatz zu der hinter dem Bootsheck korpulierenden, nackten
Schwulenkolonie."
So. Dass abgefuckte Gewalt- und Sexfantastien dieser Art im
kleinstädtischen Kinderzimmer entwickelt und dann als groteske Grußkarte
aus der geschlossenen Psychiatrie nach draußen versendet werden, suggeriert
der Ausstellungstitel. Dass daraus aber ein konzises und geschlossenes Werk
mit klar erkennbarer Stringenz wird und sich der jugendliche Dampfkochtopf
nicht im Amoklauf entlädt, macht den künstlerischen Mehrwert von Ziervogels
Arbeit aus.
29 Jan 2008
## AUTOREN
Dominikus Müller
## TAGS
Malerei
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