Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin:: "Ich bin kein…
> Die Sache steht fest: Am Mittwochabend wird Lala Süsskind zur neuen
> Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde der Stadt gewählt. Mit Deutschland
> hat sie so ihre Probleme - mit Berlin, wo sie aufwuchs, gar keine.
Bild: Kuppel der Neuen Synagoge in Berlin-Mitte
taz: Frau Süsskind, freuen Sie sich schon auf die Rund-Um-Betreung durch
Bodyguards, die Sie ab heute Abend haben werden?
Lala Süsskind: Werde ich doch gar nicht haben.
Nicht? Glauben Sie wirklich, das können Sie zukünftig vermeiden?
Wenn ich tatsächlich offiziell unterwegs bin, habe ich sie
selbstverständlich. Und leider Gottes haben wir jetzt eine verschärfte
Sicherheitsstufe. Da werde ich sagen: Okay, prima. Aber zu normaleren
Zeiten, denke ich mal nicht, dass ich rund um die Uhr Bodyguards brauchen
werde. Ganz einfach.
Aber auf den Chauffeur freuen Sie sich, haben Sie mal gesagt - das sei ein
Kindertraum von Ihnen.
Ach, das wird so hoch gespielt! Manche sagen, deshalb macht sie das - also
manche Menschen sind so dämlich. Sie glauben gar nicht, wie oft mir das
schon aufs Butterbrot geschmiert wurde. Die Blöden sterben nicht aus.
Aber klar ist: Sie werden viel an Freiheit verlieren.
Freiheit würde ich gar nicht sagen. Ich werde sehr viel an Freizeit
verlieren. Und verlieren - ich wusste ja, was auch mich zukommt. Und die
Freizeit, die wir, also mein Wahlbündnis "Atid" und ich, haben, die geben
wir ja gern, weil wir gesagt haben: Es ist unsere Gemeinde, und wir wollen
sie nicht so dastehen lassen, wie sie in den letzten Jahren dastand.
Sie haben einmal betont, sie würden nie sagen: "Mein Staat ist
Deutschland." Ist das nicht eine etwas problematische Aussage, weil Sie
damit den Antisemiten in die Hände spielen, die ja immer unterstellen,
Juden seien keine richtigen Deutsche und könnten dies auch nicht sein?
Das stört mich überhaupt nicht, was die Leute sagen, die mich sowieso nicht
mögen. Das sagen wirklich Menschen, die Juden überhaupt nicht leiden mögen,
obwohl sie sie gar nicht kennen. Wenn ich sage: Ich liebe mein Berlin, und
das ist meine Stadt, ich lege mich für Berlin quer - ich denke, eine
schönere Liebeserklärung kann man einer Stadt, die sich in Deutschland
befindet, gar nicht machen.
Warum haben Sie so Probleme mit Deutschland?
Wissen Sie, ich habe nie in Deutschland gelebt, ich habe immer in Berlin
gelebt. Berlin war jahrzehntelang eine Enklave, gehörte ja kaum zu
Deutschland. Das war eine Welt für sich. Ich habe damit überhaupt keine
Probleme, wenn ich weiterhin sage: Ich bin keine Deutsche, ich bin
Berlinerin. Ich komme damit klar. Wenn viele andere nicht damit klar kommen
sollten, ist es deren Problem und nicht mein Problem.
Ursprünglich wollten Sie ja den früheren Vizepräsidenten des Zentralrats
der Juden in Deutschland, Michel Friedman, bewegen, für den Vorsitz der
Gemeinde zu kandidieren. War das angesichts seines etwas ramponierten
moralischen Rufes wegen seiner Kokain-Affäre eine gute Idee?
Ich glaube, ja. Wissen Sie, Macken haben wir alle, Fehler haben wir alle.
Bei jedem kann man irgendetwas hervor kehren, was nicht 1.000-prozentig
ist. Bei ihm selbstverständlich auch, und das ist sehr öffentlich geworden.
Jeder wusste das. Aber schon vor dieser Angelegenheit, die ihm da
widerfahren ist - oder die er sich natürlich selber eingebrockt hat -,
haben ihn die Leute entweder geliebt oder gehasst. Und es ist egal, ob Sie
nun jüdisch, katholisch, muslimisch, deutsch oder israelisch waren. Ich
fand ihn gut, und ich finde ihn immer noch gut - ganz einfach, weil er ein
hervorragender, intelligenter Mensch ist, der wirklich druckreif
formulieren kann. Ich wäre glücklich, wenn wir etliche dieses Kalibers
hätten, und nicht nur auf jüdischer, sondern auch auf nicht-jüdischer
Seite. Deshalb war unser Team dafür, dass wir ihn haben wollen. Er hat auch
sehr lange mit dem Gedanken gespielt. Aber sein Lebensmittelpunkt ist nun
einmal Frankfurt. Sein Leben hat sich ja auch dadurch geändert, dass er
sich verheiratet hat und einen tollen Sohn hat. Und den will er eben in
Frankfurt aufwachsen sehen, und nicht nicht in Berlin. Das finde ich
Schade!
Welche Idee haben Sie, wie Sie in Zukunft als Vorsitzende das Millionenloch
im Gemeinde-Etat stopfen können? Haben Sie sich für die ersten 100 Tage
schon etwas vorgenommen?
Wir müssen erst einmal schauen, was da ist und was nicht, um dann zu sehen,
wo wir wirklich Einsparungen machen können. Einige Dinge sind uns schon
aufgefallen.
Was ist Ihnen denn schon aufgefallen?
Nein, das werde ich jetzt noch nicht sagen, denn die Leute werden uns
hassen. (lacht) Es geht ganz einfach nicht anders. Wenn wir weiter so
wirtschaften, wie bisher gewirtschaftet wurde - jeder sagte, es ist ja noch
etwas da, sollen sich doch die nächsten Vorstände damit abplagen -, dann
können wir in spätestens zehn Jahren bankrott anmelden. Und dann gab es
hier mal eine Jüdische Gemeinde. Das darf natürlich nicht sein.
Muss nicht generell die Abhängigkeit der Gemeinde von der öffentlichen Hand
- 85 Prozent des 25-Millionen-Etats der Gemeinde kommen vom Land Berlin -
verringert werden. Und wenn ja, wie?
Wissen Sie, ich fände es phantastisch, wenn wir uns total selbst ernähren
könnten - können wir aber nicht. Wir haben zwar nur 12.000 Mitglieder, aber
der Apparat, den wir schieben, ist der einer größeren Kleinstadt. Wir haben
Schulen, wir haben einen Kindergarten, ein Altersheim, ein Pflegeheim,
einen Jugendclub und und und. Das alles kostet unheimlich viel Geld. Das
können wir nicht allein bestreiten, weil viele unserer Gemeindemitglieder
relativ alt sind, sie zahlen keine Gemeindesteuern. Dazu kommen auch
Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Empfänger. In der Öffentlichkeit heißt es immer:
die reichen Juden. Ich fände es wunderbar, wenn unsere
Sozialhilfe-Empfänger tatsächlich reich wären. Dass uns der Senat
unterstützt, dafür bin ich sehr dankbar. Das ist wahrscheinlich etwas, was
wir nie, nie abwenden können, dass wir Unterstützung brauchen.
Ein großes Problem wird Sie als Gemeindevorsitzende wohl recht schnell
belasten: Wie kann die Integration der russischsprachigen Zuwanderer -
immerhin sind das etwa 80 Prozent der Gemeindemitglieder - verbessert
werden?
Es gibt noch viel zu tun, aber ich glaube, solche Probleme lösen sich dann
irgendwann auch von alleine, und wenn es nach einer Generation ist. Ich
sage das recht flapsig, weil auch meine Eltern nach dem Krieg nach Berlin
kamen, ohne die Sprache zu kennen - und eigentlich wollten sie auch nicht
hier bleiben. Und Sie sehen: Es hat sich insofern gelöst, dass ich hier in
die Schule ging, studiert habe und die Sprache gelernt habe. Bei meinen
Kindern ist es genau so. Genauso wird es sich auch bei den jetztigen neuen
Gemeindemitgliedern aus der früheren Sowjetunion lösen. Wir können nicht
alles übers Bein brechen. Und schauen Sie sich doch mal, was die neuen
Gemeindemitglieder investieren - oft erkennt man ja an den Namen, dass sie
Zuwanderer sind. Zum Beispiel hat eine Gruppe von ihnen gerade den zweiten
Platz in der Schach-Olympiade gemacht. Es sind Menschen, die sich
wahnsinnig in bestimmten Bereichen engagieren. Und die einfach gut sind.
Das ist etwas, was sehr positiv auf die Gemeinschaft zurückgreift. Da
werden auch andere animiert, etwas zu tun.
Zum Abschluss: Werden Sie nun Russisch lernen?
Ich kann dreieinhalb Worte Russisch. Bis jetzt haben die mir gereicht. Wer
hier lebt, wird selbstverständlich Deutsch lernen. Und wer etwas älter ist
und mit mir sprechen will, für den habe ich selbstverständlich eine
Dolmetscherin, einen Dolmetscher bei mir.
29 Jan 2008
## AUTOREN
Philipp Gessler
Philipp Gessler
## TAGS
Jüdische Gemeinde
## ARTIKEL ZUM THEMA
Streit in Jüdischer Gemeinde Berlin: Religionsgemeinschaften dürfen diskrimin…
Im Streit um eine diskriminierende Wahlordnung in der Jüdischen Gemeinde
hat das Landgericht eine Klage abgewiesen. Grundrechte seien nicht
anwendbar.
Machtwechsel in Berlin: Neue Chefin für jüdische Gemeinde
Die Liste Atid mit der Spitzenkandidatin Frida Süsskind räumt bei Wahlen
zum Gemeindeparlament ab.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.