Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Edle Alpentropfen: Im Schweizer Whisky-Paradies
> In der anerkannt größten Whiskybar der Welt im mondänen St. Moritz kostet
> ein kleines Glas vom teuersten Whisky 6.600 Euro. Zur kleinsten Whiskybar
> der Welt ist es nicht weit. Die gibt es in Santa Maria im Val Müstair und
> ist mit dem Postbus zu erreichen
Bild: Friedrich Nietzsche hielt es hier kaum drei Stunden aus: St. Moritz
Das soll die größte Whiskybar der Welt sein? Der Holztresen mit sechs
Barhockern und den darüber hängenden Vitrinen sieht eher bescheiden aus.
Aber es gibt noch einen Nebenraum, wo die Regale bis zur Decke reichen, und
auf jedem stehen die Whiskyflaschen in Viererreihen. Und dann ist da noch
der Keller, wo die Schätze hinter einer Glasscheibe aufbewahrt werden.
2.500 Whiskysorten, vorwiegend aus Schottland, hat Claudio Bernasconi in
seinem "Waldhaus am See" im Schweizer Wintersportort St. Moritz
zusammengetragen, die Leute vom Guinnessbuch der Rekorde haben nachgezählt.
Die Whiskykarte umfasst 72 eng bedruckte Seiten. Man muss schon ziemlich
verrückt sein, wenn man ein Hobby mit einer solchen Leidenschaft verfolgt.
Der 53-jährige Bernasconi, ein kleiner, schlanker Mann mit Schnurrbart,
sammelt seit 1987.
Mit 20 Jahren wollte er ein Hotel kaufen, doch die Bank lachte ihn aus. "Du
bist zu jung, und du hast kein Geld - schau dir lieber die Welt an", riet
ihm der Bankdirektor. Das machte Bernasconi. Er jobbte in Südamerika, in
Nordafrika und im Fernen Osten. In Indien kam er das erste Mal mit Whisky
in Kontakt. "Das Wasser war so schlecht, dass ich mir die Zähne mit Whisky
putzen musste", sagt er.
Vor 25 Jahren klappte es dann doch mit einem Hotel. Er pachtete das
"Waldhaus am See", von dem man über den St.-Moritzer-See zum Dorf am
gegenüberliegenden Ufer blickt. Ursprünglich war St. Moritz nur wegen
seiner Stahlbrunnen bekannt, zum Wintersportort wurde es erst nach 1864.
Seit 1890 gibt es die einzige Natureisbobbahn der Welt, auf der voriges
Jahr die Weltmeisterschaften ausgetragen wurden. Und Olympische
Winterspiele veranstaltete St. Moritz gleich zweimal, 1928 und 1948.
Hermann Hesse, Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Conrad Ferdinand Meyer und
Richard Wagner haben auf dem selbst ernannten "Top Of The World" Urlaub
gemacht. Friedrich Nietzsche hielt es hier kaum drei Stunden aus und ging
lieber ins benachbarte Sils, wo er schrieb: "Jetzt bin ich leicht, jetzt
fliege ich."
Das funktioniert auch mit Whisky, meint Bernasconi. Seine
Sammlerleidenschaft wurde zunächst gebremst, als eine Nachfrage beim
Guinnessbuch der Rekorde ergab, dass ein Whiskyfanatiker in Deutschland
6.000 verschiedene Flaschen besaß. Bernasconis investierte ein paar
Millionen Franken ins Hotel und richtete bei der Gelegenheit die Whiskybar
"Devil's Place" ein - "wenigstens die größte der Schweiz", sagt er. Das war
1996. Im selben Jahr starb der Rekordsammler, die Witwe verkaufte die
Flaschen, Bernasconi nahm ihr tausend Stück ab. Damit kam er ins
Guinnessbuch.
Sein teuerster Whisky ist ein Macallan von 1878. Wer davon zwei Zentiliter
probieren möchte, muss rund 6.600 Euro zahlen, die ganze Flasche kostet
17.000 Euro. Bestellt hat das teure Gesöff noch niemand. "Ich warte auf
einen reichen Russen", meint Bernasconi. Das ist nicht unrealistisch,
findet er: "Neulich haben drei Russen eine Zeche für 16.000 Euro gemacht."
Hinter der Theke steht auch ein Weltkriegswhisky. Das britische
Kriegsschiff "SS Politician" hatte 250.000 Flaschen an Bord, als es 1941
vor den Hebriden sank. 1990 wurden die Flaschen geborgen, nur zwölf waren
noch intakt. Eine davon besitzt nun Bernasconi.
Von St. Moritz ist es nicht weit ins Val Müstair. Aber man muss in Zernez
in den Postbus umsteigen. Die Straße ist zugeschneit. Man erkennt sie
lediglich an den Stangen, die in den Straßenrand eingelassen sind. Der
Busfahrer scheint die Strecke zu kennen, denn er drosselt seine
Geschwindigkeit keineswegs. Die Straße durchquert den Schweizer
Nationalpark. Vor anderthalb Jahren wurde hier ein Braunbär gesichtet - der
erste in der Schweiz seit 1904. Nach dem Ofenpass - benannt nach den
Brennöfen, mit denen früher in der Region Kalk gewonnen wurde - auf 2.149
Meter Höhe geht es wieder bergab.
In Santa Maria verengt sich die Bundesstraße ins Südtiroler Vinschgau, im
Sommer kommt es immer wieder zu Staus. Ausgerechnet an dieser Stelle steht
links ein mehr als 500 Jahre altes Häuschen mit einem ovalen Emblem an der
Wand: "The Smallest Whisky Bar On Earth". Zwischen die schmalen Treppe und
die Straße ist ein winziger Balkon gezwängt, auf den gerade mal zwei Leute
passen - zwei Raucher, genauer gesagt. Denn in der kleinsten Whiskybar der
Welt herrscht Rauchverbot, was bei der Größe des Wirtshauses vernünftig ist
- es sind genau 8,53 Quadratmeter, die Leute vom Guinnessbuch haben es
gemessen.
Gunter Sommer, der Besitzer, stammt aus Deutschland, was die Verständigung
erleichtert, denn im Val Müstair wird Romanisch gesprochen. Der 45-Jährige
kam 2003 nach Santa Maria, sein etwas älterer Bruder Detlef folgte zwei
Jahre später. Sie mieteten das kleine Haus, entrümpelten es und fanden
dabei eine 400 Jahre alte Holzplatte, die jetzt als Tresen dient. Im
Dezember 2006 war die Eröffnung. 32 Gäste drängelten sich in der Bar, in
der es 97 verschiedene Whiskys gibt - und Guinness, zwar nicht vom Fass,
aber fast. Detlef Sommer holt eine Dose aus dem Kühlschrank und gießt die
schale Flüssigkeit in ein Glas. Dann stellt er es auf eine Apparatur, die
an eine Kaffeemaschine erinnert. Durch Knopfdruck sendet das Gerät
Ultraschallwellen ins Guinness, das in Sekunden wie ein gezapftes Bier
aufschäumt und beinahe auch so schmeckt.
Wenn man zur Toilette will, muss man den Kopf einziehen. Hinter der
niedrigen Tür wartet eine Überraschung: eine komplette Nasszelle mit
Dusche, wie man sie auf Kreuzfahrtschiffen findet. Und dafür war sie
eigentlich auch gedacht. "Die Prager Firma, die Schiffe mit diesen
Fertigkabinen ausgerüstet hatte, ging pleite, und so haben wir sie billig
bekommen", sagt Sommer.
Die kleine Bar hat große Pläne. Die Sommers vergeben Partnerlizenzen. In
Samadan gibt es bereits eine Filiale, demnächst kommt eine in St. Gallen
und eine schwimmende Bar auf dem Gardasee hinzu. "Wir wollen das Starbucks
auf Whiskybasis werden", sagt Sommer. Für die "Highlander-Woche" im August
haben sich die Sommers etwas einfallen lassen. Auf dem Piz Umbrail soll in
3.033 Meter Höhe eine Whiskyprobe stattfinden. Der Berg und seine Umgebung
haben während des Ersten Weltkriegs eine wichtige Rolle gespielt. Dort oben
standen sich drei Armeen gegenüber.
Die Schweizer Soldaten beobachteten das Geschehen an der
österreichisch-italienischen Frontlinie und hatten den Auftrag, einen
Übergriff auf Schweizer Boden abzuwehren. Zwar kam es nicht zu
Kampfhandlungen, aber 2.000 Soldaten verhungerten oder erfroren im Eis.
Noch heute findet man im Sommer wegen der Gletscherschmelze Leichen und
Geschütze aus dieser Zeit. In Santa Maria gibt es eine Ausstellung zu
diesem Thema, das Museum liegt nur ein paar Meter von der Whiskybar
entfernt.
Dort ist es inzwischen eng geworden, um Mitternacht sind vier weitere Gäste
gekommen. Die Sommers schließen ihre Bar erst dann, wenn niemand mehr etwas
trinken will und der letzte Gast ins Schneegestöber hinausgewankt ist. Aber
in Santa Maria ist man nie weit von seinem Bett entfernt.
Ralf Sotscheck lebt als Irland-Korrespondent der taz in Dublin - und ist
schon deshalb ein hervorragender Whiskykenner
2 Feb 2008
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Reiseland Schweiz
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.