# taz.de -- Deutsche Filme auf der Berlinale: Wider die Fernseh-Versuppung | |
> Eltern, Nebenjobs, Filmstiftung: Es gibt viele Möglichkeiten, Kinofilme | |
> zu finanzieren. Das beweisen die jungen Regisseure auf der Berlinale. | |
Bild: Filmgeld-Schnorrer? Nein, Darsteller aus "Berlin - 1.Mai". | |
Als Filmemacher bedarf es eines hohen Maßes an Eigeninitiative. Man muss ja | |
nicht gleich so weit gehen wie Robert Rodriguez, der das Budget für sein | |
Debüt "El Mariachi" zusammenbekam, indem er seinen Körper für | |
Medikamententests zur Verfügung stellte. Setzt man sich mit den | |
Entstehungsgeschichten jener Filme auseinander, die in diesem Jahr in der | |
"Perspektive Deutsches Kino" zu sehen sind, fällt aber auf, dass auch in | |
Deutschland junge Filmemacher sehr einfallsreich sein müssen, um ihre Filme | |
realisieren zu können. | |
Iris Janssen etwa hat die Dreharbeiten zu ihrem Abschlussfilm "Die Dinge | |
zwischen uns" in ihre niederrheinische Heimatstadt verlegt, wo sich die | |
Möglichkeit bot, ohne großen bürokratischen Aufwand zu drehen: Das Rathaus | |
im Film ist das Rathaus von Kevelaer, das Haus, in dem ihre Protagonisten | |
leben, gehört Bekannten. Die Einrichtung wurde zum Nulltarif von einem | |
ortsansässigen Möbelhaus gestellt. | |
Nur so konnte sie das Wagnis eingehen, mit einem Budget von 79.000 Euro | |
einen Neunzigminüter zu drehen. Die Hochschule stellte 4.000 Euro zur | |
Verfügung, die restlichen 75.000 kamen von der Filmstiftung | |
Nordrhein-Westfalen. "Das war mein Glück", sagt Janssen. "Als Studentin | |
einen Fernsehsender ins Boot zu holen, ist aufgrund der langen | |
Vorlaufzeiten eher schwierig." | |
Herausgekommen ist ein ungewöhnlicher Film über eine Frau, die entdeckt, | |
dass ihr Mann regelmäßig zu Prostituierten geht. Anstatt ihn zur Rede zu | |
stellen, beginnt Myriam (Daniela Wutte), in einem Bordell zu kellnern, und | |
verliert sich allmählich selbst in einer seltsamen Zwischenwelt. | |
Ursprünglich, so Iris Janssen, hatte aus dem Stoff ein Kurzfilm werden | |
sollen. "Doch mein Betreuer an der Kunsthochschule für Medien in Köln | |
meinte, die Geschichte habe Spielfilmformat." | |
Ihren Lebensunterhalt bestreitet Iris Janssen hauptsächlich durch ihre | |
Arbeit als freie Grafikerin. Wer als unabhängiger Filmemacher kein zweites | |
Standbein hat oder regelmäßig an Auftragsarbeiten - Imagefilme, Cutter- | |
oder Kamerajobs - herankommt, steht vor der Frage, wovon er oder sie | |
eigentlich leben soll. Aus diesem Grund ist Jovan Arsenic, Regisseur der | |
schrägen Komödie "Die Helden aus der Nachbarschaft", schon einmal von | |
Berlin zurück nach Köln gezogen: In der Hauptstadt fehlten ihm schlichtweg | |
die Möglichkeiten, nebenher noch Geld zu verdienen. | |
Arsenics Situation ist nicht ungewöhnlich. Auch Jakob Ziemnicki, Carsten | |
Ludwig und Jan-Christoph Glaser, Koregisseure von "Berlin - 1. Mai", können | |
vom Filmemachen noch nicht leben. Einzig Sven Taddicken, der Vierte im | |
Bunde, hat 2006 mit "Emmas Glück" einen kleinen Kinoerfolg gefeiert. Viele | |
Filmemacher sind, zumindest vorübergehend, auf Hartz IV angewiesen. | |
Dass aller Voraussicht nach niemand etwas an der Auftragsarbeit "Berlin - | |
1. Mai" verdienen wird, hängt mit der branchenüblichen Praxis der | |
Rückstellungsverträge zusammen: Um einen Dreh zu ermöglichen, erklären sich | |
Crew und Schauspieler bereit, für kein oder ein sehr geringes Gehalt zu | |
arbeiten. Erst wenn ein Film eine bestimmte Summe eingespielt hat, werden | |
die vollen Löhne ausbezahlt. "Allerdings", so Carsten Ludwig, "geht man in | |
der Regel schon vorher davon aus, nie etwas herauszubekommen." | |
So hangelt man sich von Projekt zu Projekt - wenn man nicht wie David und | |
Marlene Assmann das Glück hat, von den eigenen Eltern 50.000 Euro | |
vorgestreckt zu bekommen. Gemeinsam mit dem aus Teheran stammenden | |
Regisseur Ayat Najafi haben die beiden von dem Geld ein Fußballspiel | |
zwischen Marlenes Kreuzberger Fußballklub und der iranischen | |
Frauennationalmannschaft organisiert - und das Ganze gefilmt. | |
Herausgekommen ist die Dokumentation "Football Under Cover". | |
Spricht man die Filmemacher der "Perspektive Deutsches Kino" auf ihre | |
Erfahrungen mit Fernsehsendern an, werden trotz überwiegend positiver | |
Erlebnisse auch kritische Töne laut. Einer spricht von "einer Tendenz zur | |
Fernsehversuppung", ein anderer erzählt, wie ihm von einem Redakteur | |
nahegelegt wurde, "den Abschaltimpuls in den ersten zehn Filmminuten zu | |
reduzieren". Um sich künstlerischen Zwängen gar nicht erst unterordnen zu | |
müssen, hat Sebastian Heidinger "Drifter" seinen Abschlussfilm an der | |
Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin komplett unabhängig finanziert, | |
indem er mit seinem Kommilitonen Nils Boekamp eine eigene | |
Produktionsgesellschaft gegründet hat. Die entstandenen Freiräume haben es | |
ihm "ermöglicht, ohne Druck zu arbeiten", was bei einem Film, der im | |
Strichermilieu angesiedelt ist, wohl auch unerlässlich ist. Die Akribie hat | |
sich ausgezahlt: "Drifter" hat eine ganz besondere Ästhetik, die sich | |
meilenweit von der einer durchschnittlichen TV-Reportage unterscheidet. | |
6 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Andreas Resch | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Berlinale | |
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