# taz.de -- "New York Times"-Ökonom im Interview: "Die USA brauchen einen Refo… | |
> Paul Krugman, Starkolumnist, Ökonom und Bush-Kritiker, sorgt sich nicht | |
> nur um die Wirtschaftspolitik. Er wünscht sich radikale Reformen im | |
> Gesundheitssystem. | |
Bild: Offiziell darf Krugman seinen Favoriten nicht nennen. Wir tun es auch nic… | |
taz: Herr Krugman, die USA sind an der Schwelle zu einer Rezession. Wie | |
schlecht ist die Lage? | |
Paul Krugman: Niemand weiß das so genau. Die Daten sind düster. Und sie | |
werden zunehmend düsterer. Aber eines hellt das Bild auf - die Exporte | |
haben zum Teil kompensiert, was die Immobilienkrise an Ausfällen produziert | |
hat. Wenn man sich die Daten ansieht und auch die Ursachen für den Einbruch | |
des Wachstums, dann muss man allerdings leider sagen, dass es schwere | |
Rezessionen gab, die ähnlich begannen. Etwa in Japan 1992 und Finnland | |
1991. | |
Ihre Kritiker würden wohl sagen, das ist der übliche linksliberale | |
Pessimismus. | |
Oh, das sagen sie immer. Als ich darauf hinwies, dass wir eine riesige | |
Immobilienblase haben, meinten sie, dass ich dies nur sage, weil ich Bush | |
hasse. Aber ich hatte recht. Das war die größte Immobilienblase in der | |
US-Geschichte, und es ist absurd, zu sagen, dass das keine gefährlichen | |
Auswirkungen hat. | |
Können Sie mal erklären, warum eine Krise des Immobilienmarkts und in der | |
Folge der Kreditmärkte zu niedrigerem Wachstum und weniger Beschäftigung | |
führen muss? | |
Nun, grob gesagt aus drei Gründen: Erstens: Es wird praktisch nichts mehr | |
gebaut, und darunter leidet die Bauwirtschaft, die Millionen Menschen | |
beschäftigt. Zweitens: Es ist in den USA üblich, dass die Menschen | |
Hypotheken auf ihre Häuser aufnehmen, um sich andere Dinge zu kaufen. Das | |
passiert nun weniger, deshalb lässt der Konsum nach. Viele Leute haben | |
jetzt Schulden, die den Wert ihrer Häuser übersteigen. Drittens: Für die | |
Versicherungsinstitute ist das ein schwerer Schlag, weil es sehr, sehr | |
viele Leute geben wird, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, was | |
die Kreditversicherer trifft. Das führt zu einer schwierigen Lage auf den | |
Kapitalmärkten. Wir haben jetzt schon die schwerste Kreditkrise seit 17 | |
Jahren. | |
Also kann es zu spektakulären Zusammenbrüchen von Versicherungen kommen? | |
Ja, das ist möglich. Wir wissen gar nicht, wie schlecht die Lage der | |
Kreditversicherer wirklich ist. Aber wie auch immer, ein simpler Fakt ist: | |
Es gibt eine zunehmende Zurückhaltung, Geld zu verleihen. Und das hat | |
unmittelbare Folgen für Investitionen und damit für Wachstum und | |
Beschäftigung. | |
Wenn es in den USA zu einer Rezession kommt - muss das notwendigerweise | |
Auswirkungen auf Europa haben? | |
Notwendig ist das nicht. Europa exportiert nicht so viel in die USA, dass | |
sinkende Nachfrage einen großen Effekt auf die europäische Wirtschaft | |
hätte. Aber die Finanzmärkte sind eng verflochten, und die allgemeine | |
Zukunftszuversicht in Europa hängt sehr davon ab, wie es in den USA läuft. | |
Und das hat Auswirkungen auf Konsumenten- und Investitionsverhalten. Alle | |
historische Erfahrung lehrt, dass eine Rezession in den USA zu einem | |
Wachstumseinbruch in Europa führt. | |
Die Bush-Regierung hat nun ein Konjunkturprogramm aufgelegt, die | |
Zentralbank hat die Zinsen gesenkt. Hilft das? | |
Alles hilft, klar. Doch Bushs Konjunkturprogramm ist nicht massiv genug. | |
Die Steuererleichterungen helfen weitgehend den Wohlhabenden, und die | |
werden nur einen kleinen Teil des Geldes ausgeben. Das bringt höchstens | |
etwas im Bereich von einem Bruchteil eines Prozents des BIP - und das ist | |
viel zu wenig. Die Zinssenkungen helfen. Allerdings auch nur bedingt, weil | |
Zinssenkungen üblicherweise am stärksten die Bauwirtschaft stimulieren. Und | |
der Hausbau hat sich erledigt im Augenblick. | |
Bei den Präsidentschaftswahlen dreht sich jetzt alles um die Wirtschaft - | |
hilft das den Demokraten? | |
Klar. Die Republikaner werden mit John McCain wohl jemanden aufstellen, der | |
über sich gesagt hat, er verstehe nichts von Ökonomie. | |
Glauben Sie, dass ein demokratischer Präsident das Land substanziell | |
verbessern würde? | |
Ehrlich gesagt, ich bin etwas besorgt. Die wichtigste Frage ist das | |
Gesundheitssystem. Wir haben noch immer keine allgemeine | |
Krankenversicherung. Trotzdem ist das Gesundheitssystem teurer als die | |
europäischen Systeme. Diese Lücke im US-Sozialsystem muss endlich | |
geschlossen werden. Aber keiner der demokratischen Kandidaten wirft sich | |
dafür ausreichend ins Zeug. Wer das aber nicht im Wahlkampf mit klaren | |
Konzepten durchkämpft, der kriegt eine solche Reform auch nicht durch den | |
Kongress - das ist die Lehre des Scheiterns von Bill Clintons Bemühungen in | |
den 90ern. Vor allem Obama laviert zu sehr. Dabei bräuchten wir einen | |
wirklichen Reformpräsidenten. | |
Warum so pessimistisch? | |
Na, wegen des Nominierungswettbewerbs der Demokraten. Obama redet wie ein | |
Prediger Wischiwaschi-Zeug, und alle reden über die Tränen von Hillary | |
Clinton, ob sie jetzt menschlich genug ist oder nicht. | |
Aber Hillary Clinton will schon sehr ähnliche Dinge wie Sie, oder? | |
Ja, wenn sie gewinnt und eine Mehrheit im Kongress hinter sich hat, dann | |
wird das für das Land sehr nützlich sein. Da bin ich ziemlich über Kreuz | |
mit vielen meiner Freunde und Bekannten. Alle finden Obama so toll, weil er | |
so toll redet, dass das Land den Wandel braucht. Und er ist bestimmt ein | |
klasse Kerl, aber ob er genug Ideen und genug Biss hat? | |
Und wer wäre Ihr Favorit? | |
Das darf ich nicht sagen. Das hat mir die New York Times verboten. Sie | |
müssen raten. | |
Hillary Clinton? | |
Das haben Sie gesagt. | |
Selbst der Super Tuesday hat keine Entscheidung gebracht. Wie geht es jetzt | |
weiter im Clinton-vs.-Obama-Wettbewerb? | |
Möglicherweise gibt es erst am Nominierungsparteitag im Sommer eine | |
Entscheidung. Gott weiß, wie das ausgeht. Vielleicht steigen beide aus und | |
sie geben Al Gore die Kandidatur. | |
Ihr neues Buch ist das Bekenntnis eines entschiedenen "Liberalen" - was in | |
Europa so viel heißt wie "Sozialdemokrat" oder "Linker". Aber Liberaler ist | |
doch in den USA noch immer ein Schimpfwort. | |
Ja, das ist ein Problem. Die Neocons haben erfolgreich die Liberalen | |
dämonisiert. Wenn man die Leute fragt: "Bist du ein Liberaler?", sagen die | |
meisten: "Um Gottes willen, nein!" Fragt man sie, ob sie für ein effektives | |
Gesundheitssystem für alle sind, dann sind sie dafür. | |
Haben sich die Linken zu sehr um Homoehe, Rassismus, Feminismus gekümmert | |
und zu wenig um soziale Fragen? | |
Es gibt Leute, die das sagen. Ich finde, das hängt zusammen. Vor allem der | |
Rassismus hat dazu geführt, dass es keinen voll intakten Sozialstaat in den | |
USA gibt. Warum haben arme weiße Arbeiter im Süden begonnen, Republikaner | |
zu wählen? Weil die Demokraten sich auf die Seite der Bürgerrechtsbewegung | |
gestellt haben. Die Republikaner haben den Rassismus benutzt, um den | |
Sozialstaat schlecht zu machen - das Geld würde ja nur den schwarzen | |
Müttern zu Gute kommen, die so viele Kinder kriegen, wurde getrommelt. | |
Die Menschen sind gegen den Wohlfahrtsstaat, wenn sie fürchten, die | |
ethnisch Anderen kriegen das Geld? | |
Dann sind sie sogar bereit, gegen ihre eigenen ökonomischen Interessen zu | |
stimmen. | |
7 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
## TAGS | |
USA | |
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