# taz.de -- Selbstmatern wie die Christen: Revolution zu coolem Jazz | |
> 1968 wurde nicht nur in Berlin, Prag, und Paris rebelliert, sondern auch | |
> in Tokio: Das Internationale Forum des Jungen Films zeigt Wakamatsu Koji | |
> neues Werk, "United Red Army". | |
Bild: "United Red Army" lässt ratlos zurück | |
Fast jedes Jahr präsentiert das Internationale Forum des Jungen Films einen | |
neuen japanischen Altmeister. 2006 war es der 1905 geborene Nakagawa Nobuo, | |
2007 der 1924 geborene Okamoto Kihachi. | |
In diesem Jahr ist es der 1936 geborene Wakamatsu Koji, dessen neuer, auf | |
der Berlinale im Forum gezeigter 190-Minuten langer Film "United Red Army" | |
die Geschichte der gleichnamigen japanischen linksradikalen Terrorgruppe | |
rekonstruiert und von drei weiteren alten Filmen Wakamatsus begleitet wird. | |
Langsam nähert man sich also der Gegenwart. | |
Als zorniger junger Mann war Wakamatsu von der Schule geflogen und hat seit | |
1963 in mehr als hundert Filmen Regie geführt. Zusammen mit seinen Kollegen | |
Masao Adachi, Nagisa Oshima und Fumio Watanabe gilt er als Begründer der | |
linksgerichteten japanischen Art Theater Guild. | |
Bekannt wurde Wakamatsu durch seinen Film "Secrets Behind The Wall", der | |
von einem schwermütigen, voyeuristischen jungen Mann erzählt und 1965 im | |
Wettbewerb der Berlinale für Skandal und diplomatische Verwicklungen | |
gesorgt hatte. Zu freizügig und krass erschien der Film in einer Zeit, als | |
Spielfilme auf großen Festivals wie die Athleten bei Olympiaden ihr | |
Herkunftsland würdig zu repräsentieren hatten. | |
Der Skandal um "Secrets" ermöglichte es dem Regisseur, eine eigene | |
Produktionsfirma zu gründen und unabhängig von großen Studios zu arbeiten. | |
Er drehte viele Filme provozierenden und erotischen Inhalts, die von der | |
jungen Generation großen Zuspruch erhielten und die man insofern "links" | |
nennen könnte, als dass die ProtagonistInnen in ihrer Sexualität nicht | |
idealistisch, romantisch und frei agieren, sondern, ob Männer oder Frauen, | |
Getriebene sind. | |
Einige dieser Filme, wie etwa "Go, Go Second Time Virgin" von 1969, sind | |
durchaus verstörend. In einem seltsamen Wechsel aus viel edlem Schwarzweiß | |
und ein bisschen Bunt erzählt der Film von einer jungen Frau, die auf dem | |
Dach eines Tokioter Hochhauses von einer Bande hippiesk wirkenden | |
Herumtreibern vergewaltigt wird. Ein junger Mann beobachtet hilflos die | |
Szene. Ohne viele Worte finden die beiden Gefallen aneinander und erzählen | |
einander von furchtbaren Vergangenheiten. Der junge Mann bringt die Gruppe | |
der Vergewaltiger mit einem Messer um. Das Mädchen bittet ihn, auch sie | |
umzubringen, doch er gehorcht ihr nicht und lehnt es auch ab, mit ihr zu | |
schlafen. Am Ende springen beide hintereinander in den Tod. Verstörend sind | |
hier die Szenen sexueller Gewalt und eine seltsame, das Körperliche | |
transzendierende Teilnahmslosigkeit der beiden Helden. | |
Der Wechsel zwischen Schwarzweiß und Bunt, der in "Second Time Virgin" noch | |
der Not geschuldet war - Schwarzweiß war billiger -, wurde von Wakamatsu in | |
"Ecstasy of an Angel" (1972) dann ganz bewusst als künstlerisches Mittel | |
eingesetzt. | |
Zu jener Zeit stand Wakamatsu den militanten Linksradikalen nahe. Mit | |
seinem Kollegen und Mitarbeiter Adachi Masao drehte er 1971 den | |
Agitationsfilm "Red Army/PFLP - Declaration of World War" in | |
Palästinenserlagern. "Ecstasy of an Angel", bei dem Mitglieder der | |
japanischen RAF mitwirkten, erzählt von einander bekämpfenden | |
Terrorgruppen, die einen Anschlag auf Tokio planen. Wie die vom | |
französischen Frühsozialisten Blanqui organisierten sozialistischen | |
Geheimbünde sind die Gruppen und Kämpfer nach Jahreszeiten, Monaten und | |
Wochentagen benannt, was zu vielen poetischen Sätzen führt. Sex und Bars | |
mit cooler Jazzmusik spielen auch eine große Rolle. | |
Dass 1968 nicht nur in Berlin, Prag, Berkeley und Paris Studenten und | |
Jugendliche gegen das System rebellierten, vergisst man im Westen nur allzu | |
oft. Auch in Japan, dem asiatischen Hauptverbündeten im Vietnamkrieg, | |
rebellierten nicht nur die Studenten gegen den Staat, der entschlossen | |
reagierte: Ein Student starb 1967 bei den Auseinandersetzungen. 8.500 | |
Polizisten wurden allein aufgeboten, um im Januar 1969 die Aufrührer an der | |
besetzten Universität in Tokio unschädlich zu machen. Im Juni 1970 | |
demonstrieren 770.000 Menschen vergeblich gegen die Verlängerung des | |
Beistandspakts zwischen den USA und Japan. | |
Die Revolte endete ähnlich wie etwa in Deutschland mit der Entstehung | |
unterschiedlicher linksterroristischer Gruppen. Man überfällt Banken, | |
Postämter, Polizeistationen und Waffengeschäfte und entführt Flugzeuge, um | |
Genossen freizupressen. Zwei dieser Gruppen, die RLF und die RAF, schließen | |
sich im Sommer 1971 zur United Red Army zusammen. In einem beeindruckenden | |
Selbstreinigungs-, also -zerfleischungsprozess auf der Flucht vor der | |
Polizei bringen sich deren Mitglieder größtenteils selber um. 14 von 26 | |
Mitgliedern fallen den eigenen Leuten zum Opfer; werden hingerichtet in | |
stalinistischen Selbstbezichtigungsprozessen, bevor es Anfang 1972 zum | |
Showdown in einer Skihütte in der Nähe eines Ferienorts kommt, in die sich | |
die überlebenden Revolutionäre mit einer Geisel verschanzt haben. Die | |
zehntägige Belagerung durch die Polizei endet mit der Erstürmung und ist | |
ein Medienereignis von bis dahin ungeahntem Ausmaß. | |
Wakamatsus neuer, im Stile eines jitsuroku, eines Tatsachenberichts, | |
inszenierter Film ,"United Red Army", zu dem Jim ORourke die Musik | |
beisteuerte, erzählt die Geschichte der United Red Army. Teils wie eine | |
Dokumentation mit viel historischem Footagematerial, teils reinszeniert. | |
Letztere Passagen finden kammerspielmäßig in der klaustrophobischer Enge | |
eines Lagers statt, in das sich die Revolutionäre zurückgezogen haben. | |
Schockierend ist nicht nur, wie sich die Gruppe selbst verstümmelt, sondern | |
vor allem vielleicht, dass Wakamatsu auf individuelle Psychologisierungen | |
verzichtet, dass er die Führer der Gruppe nicht als kleinbürgerliche | |
Sadisten zeigt, sondern als religiöse Revolutionäre, die durch Folter zu | |
wirklichen Kommunisten werden wollen und sich in barocken Szenen wie frühe | |
Christen teils auch selbst martern. | |
Im Programm heißt es, "United Red Army" sei der aufrichtige Versuch, die | |
Motivation der militanten Studenten zu begreifen. Wie schon Kazuyoshis | |
Kumakiris No-Budget-Film "Kichiku Enkai" (1998), der sich im Stil eines | |
Splatterfilms mit der gleichen Geschichte beschäftigte, lässt einen auch | |
"United Red Army" ratlos zurück - nicht nur, weil oft unklar bleibt, was | |
Fiktion und was Dokumentation ist. Die japanische RAF, die Teil der United | |
Red Army war, löste sich erst im März 2001 offiziell auf. | |
9 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Detlef Kuhlbrodt | |
## TAGS | |
Terrorismus | |
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