# taz.de -- Pro und Kontra: Brauchen wir türkische Schulen? | |
> Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan will eigene Schulen für | |
> Türken in Deutschland. Ein kluger Vorschlag, meinen die einen. Keine gute | |
> Idee, sagen die anderen. | |
Bild: Fordert türkische Schulen: Der türkische Premierminister und Tayyip Erd… | |
Ja | |
Der Vorschlag des türkischen Ministerpräsidenten, in Deutschland türkische | |
Gymnasien und Hochschulen einzurichten, ist integrationspolitisch | |
weitsichtig, bildungspolitisch sinnvoll und schon aus Gerechtigkeitsgründen | |
nicht abzulehnen. | |
Kulturelle Rückständigkeit ist das Attribut, das türkischen Deutschen | |
hierzulande wohl am häufigsten angeheftet wird. Kulturell rückständig und | |
auf diffuse Weise nicht zu Europa gehörig ist in den Augen vieler deutscher | |
Altbürger auch die Türkei. Die Äußerungen des türkischen | |
Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan vom Freitag waren allerdings alles | |
andere als rückständig. Mit seinem Vorschlag, in Deutschland türkische | |
Schulen und Universitäten einzurichten, und seiner Mahnung, kulturelle und | |
sprachliche Vielfalt als gesellschaftlichen Reichtum anzuerkennen, ist er | |
fortschrittlicher und weitsichtiger als große Teile des politischen | |
Establishments in Deutschland. | |
Integrations- und bildungspolitisch gibt es mindestens drei gute Gründe für | |
seinen Vorschlag: | |
Zum einen existieren in Deutschland seit Jahrzehnten griechische Lyzeen. | |
Schulen, deren Lehrpläne vom griechischen Staat entwickelt werden, in denen | |
ausschließlich auf Griechisch unterrichtet wird. Viele Kinder der ersten | |
griechischen Arbeitsmigranten haben neben deutschen diese griechischen | |
Schulen besucht. Sicherlich sollte man mit kausalen Schlüssen vorsichtig | |
sein, die schulischen Leistungen griechischer Schülerinnen und Schüler in | |
Deutschland sind jedoch deutlich besser als die ihrer türkischen | |
Altersgenossen. Teilweise schneiden sie sogar besser ab als deutsche | |
Schüler. Die Möglichkeit, ihre Kinder neben den deutschen auch in | |
griechische Schulen schicken zu können, nimmt den Familien die Angst vor | |
dem Verlust der eigenen kulturellen Tradition. Damit wird auch die | |
Akzeptanz der deutschen Schulen gefördert. Der Kontakt auch mit deutschen | |
Schulen und deutschen Lehrern entspannt sich. Warum sollte dies bei | |
türkischen Familien anders sein? | |
Die frühe Erziehung zur Bilingualität fördert zudem die Sprachkompetenz der | |
Kinder. Sie lernen, sich in unterschiedlichen Sprachuniversen zu bewegen. | |
Ihr Gefühl für den Gebrauch von Sprache wird besser. Kinder, die zwei | |
Sprachen gut beherrschen, können nicht nur sprachlich, sondern auch | |
kulturell als Übersetzerinnen und Übersetzer fungieren - eine für | |
globalisierte und kulturell vielfältige Gesellschaften zunehmend wichtige | |
Kompetenz. Gerade Angehörige der deutschen Mittelschichten, die ihre Kinder | |
auf deutsch-englische oder deutsch-spanische Schulen senden, sind sich der | |
Vorteile einer bilingualen Erziehung sehr bewusst. Warum sollte türkischen | |
Migranten etwas vorenthalten werden, das für das deutsche Bürgertum | |
zunehmend zur kulturellen Norm wird? | |
Zum Dritten wäre die Einrichtung türkischer Schulen in Deutschland ein | |
wichtiger Schritt zur kulturellen Anerkennung der Ausdrucksformen und | |
Lebensweisen der hier ansässigen türkischen Gemeinschaft. Allzu oft wurden | |
in den letzten Jahren Türken und deutsche Türken offen oder verdeckt | |
diskriminiert: angefangen bei der Kampagne gegen die doppelte | |
Staatsangehörigkeit im Jahr 1999 bis zu den jüngsten Verschärfungen des | |
Zuwanderungsgesetzes, wodurch nunmehr vor allem türkischen Staatsbürgern | |
der Nachzug ihrer Ehepartnerinnen und -partner erheblich erschwert wird. | |
Diese und viele weitere Beispiele haben das Vertrauen vieler türkischer | |
Deutscher in ihren Staat gestört. Türkische Schulen oder Schulen, an denen | |
auf Türkisch unterrichtet wird, wären ein klares Zeichen der Anerkennung | |
einer sprachlich-kulturellen Tradition, die seit mittlerweile mehr als 40 | |
Jahren fester Bestandteil des öffentlichen Lebens in Deutschland ist. | |
Recep Tayyip Erdogan hat seine Vorschläge nicht konkretisiert. Daher sind | |
sie für Interpretationen offen. Bei genauem Hinsehen erweisen sie sich als | |
eine zeitgemäße Antwort auf die Herausforderungen globalisierter und | |
sprachlich-kulturell heterogener Gesellschaften. | |
Deutschland hat mittlerweile akzeptiert, dass es ein Einwanderungsland ist. | |
Die zumeist negativen Reaktionen auf Erdogans Vorschläge zeigen aber: Die | |
Erkenntnis, dass mit der Einwanderung auch gesellschaftlicher Wandel und | |
kultureller Pluralismus einhergeht, muss erst noch wachsen. | |
Nein | |
Schule ist für Kinder der Ort mit überragender Bedeutung für den | |
Spracherwerb. Niemand zweifelt daran, dass das Beherrschen der | |
Verkehrssprache der Schlüssel für die gesellschaftliche und wirtschaftliche | |
Integration der Zuwanderer ist. Daher wäre es falsch, die Einrichtung | |
türkischer Schulen in Deutschland zu forcieren. | |
Ob man den Vorschlag zur Einrichtung von ethnischen Schulen befürwortet, | |
hängt davon ab, was man damit erreichen will. Alle wollen offenbar die | |
"Integration" - aber über deren nötigen Maßnahmen wird teilweise erbittert | |
gefochten. Dahinter steht ein alter und bis heute nicht beigelegter Streit | |
darüber: Was heißt eigentlich "Integration" - und wie kann man sie am | |
ehesten erreichen? Die eine Position setzt darauf, die ethnischen Gruppen | |
als sozusagen kollektive Einheiten "anzuerkennen". Das heißt dann auch: die | |
besondere Förderung ihrer kulturellen Besonderheiten als ganze Gruppierung. | |
Die andere Position sieht dagegen die Verbesserung der individuellen | |
Chancen als den Kern der Integration an - und bezieht das speziell auf den | |
Arbeitsmarkt. | |
Überall ist inzwischen anerkannt, dass der Erwerb der Sprache des | |
Aufnahmelandes der Schlüssel für die Integration sei. Und das ist auch ohne | |
Zweifel so, ganz bestimmt auf dem Arbeitsmarkt und dort gerade für die | |
qualifizierten und "kommunikativen" Tätigkeiten. Dahinter steckt die Schule | |
in doppelter Hinsicht: Hier werden die für den Arbeitsmarkterfolg nötigen | |
Bildungsqualifikationen vermittelt und sie ist für die meisten Kinder der | |
wohl wichtigste Ort, an dem auch die Zweitsprachkenntnisse verbessert oder | |
erst erworben werden könnten. (Was aber oft genug nicht geschieht, weil es | |
die entsprechende Umgebung dazu nicht gibt). Die Frage lautet also: Was für | |
Folgen hätte die Einrichtung ethnischer Schulen mit einer besonderen | |
Förderung der Muttersprache und der Herkunftsorientierung für die Chancen | |
auf dem Arbeitsmarkt? Vor allem wenn damit mehr gemeint sein sollte als die | |
Gründung spezieller Bildungseinrichtungen - etwa Privatschulen für die | |
ethnischen Eliten? | |
Die Antwort ist nach dem, was man an wissenschaftlich gesicherten Befunden | |
annehmen kann, eindeutig: Spezielle muttersprachliche Fertigkeiten bringen | |
(wie auch ethnische Netzwerke oder "multikulturelle" Gewohnheiten und | |
Orientierungen) auf dem Arbeitsmarkt praktisch nichts - sieht man vom | |
Englischen und gewissen, aber meist verschwindend kleinen Nischen ab. | |
Alles, was dort bei der "Bilingualität" zählt, ist die Sprache des | |
Aufnahmelandes. Die Beherrschung der Muttersprache ist nicht viel mehr ein | |
zusätzlicher netter Luxus. Das gilt selbst für das gelobte Aufnahmeland | |
Kanada: Dort muss man Englisch und/oder Französisch können, sich also | |
sprachlich "assimilieren", um die Kurve zu kriegen. Was sonst noch ist, | |
zählt nicht viel. In Hinsicht auf den Erwerb der wichtigen Qualifikationen | |
ließe sich gegen ethnische Schulen (zunächst) natürlich nichts einwenden, | |
wohl eher im Gegenteil: Da es dann das Zweitsprachproblem nicht gibt, wäre | |
das schon eine Erleichterung bei der Stoffvermittlung. | |
Aber davon unabhängig: Die erworbenen Qualifikationen müssen später auch | |
wieder sprachlich umgesetzt werden, so dass es jetzt erst recht darauf | |
ankommt, ob es nicht zu Problemen beim Zweitspracherwerb kommt. Und davon | |
ist wohl auszugehen. Anders als lange Zeit geglaubt und propagiert worden | |
ist, sind muttersprachliche Kompetenzen nicht nötig, um eine Zweitsprache | |
gut zu lernen. Viel wichtiger sind möglichst frühzeitige interethnische | |
Kontakte im Alltag, und hier müssen gerade die Vorschulen oft erst | |
ausgleichen, was im normalen Alltag oft genug nicht möglich ist. Ethnische | |
Schulen würden das Problem mit großer Wahrscheinlichkeit eher verschärfen. | |
Das Problem der Einrichtung spezieller ethnischer Schulen weist sicher weit | |
über die recht enge Frage nach den objektiven Lebenschancen der | |
Migrantenkinder hinaus. Aber das ist gerade der für die Integration | |
wichtige Punkt. Es geht eben nicht um die Frage, was sich für die | |
ethnischen Eliten noch tun lässt: Die haben in vielfacher Hinsicht nicht | |
die Probleme, mit denen es gerade die türkischen Familien, und nicht nur | |
die, in aller Regel in den Schulen zu tun haben. Und dazu gehören vor allem | |
der Zweitspracherwerb und die dazu nötigen interethnischen Kontakte. | |
HARTMUT ESSER | |
12 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Raiser | |
Hartmut Esser | |
## TAGS | |
Türkei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Türkische Schulen in Deutschland: Besser nicht | |
Die Türkei möchte Schulen in Deutschland, wie es deutsche Schulen in der | |
Türkei gibt. Ob man das gewährt, sollte man sich gut überlegen. |