# taz.de -- Bürgerverein will Berliner Bezirk verschönern: Recht und Ordnung … | |
> Eine Gruppe von Anwohnern will in Form einer "Bürgerbeteiligung" | |
> Kreuzberg gestalten. Der Verein besteht ausschließlich aus Besitzern von | |
> Eigentumswohnungen. | |
Bild: Mehr deutsche Rentner am Oranienplatz - fordert Luisenstadt e.V. | |
Eine Gruppe von Kreuzberger Bürgern, die sich mehr "deutsche Rentner" auf | |
dem Oranienplatz und den Grünanlagen wünscht, verhandelt jeden Dienstag | |
über die Zukunft des öffentlichen Raums um den Oranienplatz. Sie nennen das | |
"Bürgerbeteiligung". Doch es scheint, dass nur wer eine Wohnung entlang des | |
ehemaligen Luisenstädtischen Kanals sein Eigentum nennen kann, manchmal | |
eine Einladung des Bürgervereins Luisenstadt e. V. im Briefkasten findet. | |
Der von Peter Joseph Lenné 1840 für die Schifffahrt geplante Kanal zog sich | |
einst vom Urbanhafen über den Oranienplatz bis zum Engelbecken und bog dann | |
zur Spree ab. Der Bau gilt als erste ABM-Maßnahme der Geschichte: Rund | |
5.000 Arbeiter waren dort zur Zeit der größten Unruhen 1848 ohne größere | |
technische Hilfsmittel beschäftigt. Später kam es zu blutigen | |
Ausschreitungen der Arbeiter aus Furcht, ihre Arbeitsplätze an Baumaschinen | |
zu verlieren. 1926 wurde der Kanal, da er eine zu geringe | |
Fließgeschwindigkeit aufwies und zu stinken begann, im Rahmen einer | |
weiteren Arbeitsbeschaffungsmaßnahme mit dem Aushub aus dem Bau der U8 | |
zugeschüttet und durch den Stadtgartendirektor Erwin Barth als vertiefte | |
Promenade angelegt. 1927 wurde für die vorgesehene Streckenführung der U8 | |
unter der Dresdener Straße der Bahnhof Oranienplatz errichtet, der zum Teil | |
heute noch existiert. Die Pläne wurden dann auf Druck des | |
Wertheim-Konzerns, der eine direkte Anbindung seiner Filiale am Moritzplatz | |
wünschte und dafür fünf Millionen Reichsmark zahlte, geändert. Die Familie | |
Wertheim verlor ihren Besitz im Zuge der "Arisierung". Die Rechtsnachfolge | |
Wertheims trat später Karstadt-Quelle an. In den Neunzigerjahren kam der | |
Konzern in massive finanzielle Schwierigkeiten und verkaufte zahlreiche | |
Grundstücke, wie etwa das ehemalige Wertheim-Gelände am Potsdamer Platz - | |
an den Metro-Konzern Otto Beisheims (der Gründer des Metro-Konzerns, war | |
SS-Mann der Leibstandarte Adolf Hitler). | |
Der jetzige Entwurf des Engelbeckens und der Promenade scheint vor allem | |
dazu zu dienen, viel Geld zu verballern. Und es geht noch weiter Richtung | |
Urbanhafen. Einer der edlen Spender für diese Maßnahmen - eigentlich war es | |
eine "Grünflächenausgleichszahlung" für die Bebauung am Potsdamer Platz - | |
war ausgerechnet Otto Beisheim. Eigentum verpflichtet. Wohl vor allem dazu, | |
Ansprüche des Eigentums oder der Einflussnahme an den Stadtraum zu stellen. | |
Die Arbeiten am ersten Abschnitt sind nun fast abgeschlossen. Nach dem | |
Motto "Viel hilft viel" und "in Anlehnung an die Pläne von 1928" entworfen: | |
das Becken begrenzt eine Betonkante, an der im vergangenen Frühjahr noch | |
gerne ein Graureiher saß, dahinter ein Grünstreifen (englisch), danach ein | |
Geländer vor einer Reihe kniehoher Büsche sowie eine umlaufende Pergola, im | |
Becken 16 Fontänen - da wurde es wohl selbst dem Reiher zu bunt, der ja im | |
Stadtraum eher sachliche Architektur bevorzugt. Anfang des Jahres waren | |
hier auch noch Schwäne, Enten, Frösche und sogar Schildkröten gesichtet | |
worden. In den 20er-Jahren lebten hier einmal zwei Karpfen, die die | |
Berliner "Max und Moritz" tauften, wonach sich später das Wirtshaus in der | |
Oranienstraße benannt hat. | |
"Historischer Bestand verpflichtet zur Rekonstruktion" entgegnete mir eine | |
Mitstreiterin des Bürgervereins Luisenstadt in einer Sitzung schnippisch | |
auf die Frage, warum es nun wieder die Barthsche Promenade sein müsse. | |
Archäologische Grabungen hatten ein Mäuerchen zutage gefördert und ich | |
erfuhr noch, dass man sich am Bethanien ("der Bezirksrumpelkammer") für die | |
Wiederherstellung Lennéscher "Brezelwege" stark mache. Dabei gefällt der | |
einst unter Bürgerbeteiligung gestaltete Park mit Spielplatz noch heute | |
allen Nutzern - besonders den Kindern, die meist aus alevitischen Familien | |
stammen. | |
Die Erlaubnis für den Namen "Max und Moritz" erhielt der Gründer des | |
gleichnamigen Wirtshauses in der Oranienstraße, Herr Fournier, 1902, von | |
Herrn Busch, "den er glühend verehrte", unter der Auflage, einmal | |
wöchentlich eine Armenspeisung zu veranstalten, wie seine Enkelin berichtet | |
hatte. Sie bemerkte noch, dass er ein preußischer Kavalier alter Schule | |
gewesen sei. Im Obergeschoss finden hier regelmäßig Lesungen, Kabarett und | |
Tangoabende statt. Ein Ort der "freien Rede". Doch Agitation und | |
Diskriminierung haben im "Max und Moritz" keinen Platz. Dagegen verstieß | |
jüngst einer der Gäste, als er den Wirt aufforderte, die Aschenbecher | |
wegzustellen. Weil sich Michele, der Wirt, jedoch uneinsichtig zeigte, | |
erhielt er böse E-Mails, in denen der Gast, ein Sozialdemokrat, ihn darauf | |
hinwies, dass "Eigentum verpflichte", und aufforderte, seine kriminellen | |
Machenschaften zu beenden und auf den "Pfad der Tugend" zurückzukehren. | |
Am Oranienplatz hing neulich ein Wohnungsgesuch einer Dame, die in "einem | |
der Szenebezirke" wohnen möchte. Unten stand in großen Lettern: "ABER KEINE | |
MIETE SONDERN EIGENTUHM!" Sie dachte dabei vielleicht an "Ruhm". | |
12 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Antonia Herrscher | |
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