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# taz.de -- Doku über Abu-Ghraib-Gefängnis: Ganz normale Menschen
> Errol Morris Doku-Fiction "Standard Operating Procedere" sucht nach dem
> Motiv für die Taten der US-Soldaten im Militärknast von Abu Ghraib im
> Irak.
Bild: Erst recht das, was nicht auf dem Bild zu sehen ist, ist wichtig, um es z…
Lynndie England schaut auf dem Foto teilnahmslos zur Seite. Auf dem Boden
liegt ein gekrümmter nackter männlicher Körper. Um seinen Hals ist ein Band
geschlungen, das die Soldatin in der Hand hält.
Dieses Foto ist weltberühmt. Es symbolisiert das Unrecht, das die USA in
dem Kampf gegen den Terror und dem Irakkrieg begingen. Es zeigt dieses
Unrecht auf spektakuläre Weise. Der Krieg der USA erscheint als eine Geste
sexueller Demütigung mit vertauschten Rollen: die junge "unschuldige" Frau
als Täterin, der anonyme Mann als Opfer. Ikonisch wurde dieses Foto dabei
aber nicht, weil es das Typische des Krieges der USA gegen den Irak zum
Ausdruck brachte, sondern weil es etwas Untypisches, Überraschendes zeigt.
Dieses Bild erschien wie ein Zitat einer sadomasochistischen Inszenierung,
wie der Nachbau einer Szene aus Pasolinis "Salò oder Die 120 Tage von
Sodom".
Lynndie England trägt ihr Haar heute länger und wirkt erwachsener als auf
jenem Foto aus Abu Ghraib 2003. Manche Medien stilisierten sie damals zum
Monster, zu einer Wiedergängerin sadistischer KZ-Aufseherinnen. So war es
nicht. Lynndie England war 20, unerfahren und leicht zu beeindrucken. Der
Regisseur und Fotograf der SM-Arrangements war ihr damaliger Freund, der
34-jährige Gefreite Charles Graner. "Diese Bilder haben ihn amüsiert", sagt
England in Errol Morris Dokumentation "Standing Operating Procedere". Als
sie schwanger wurde, verließ Graner sie. "Its a mans world", sagt Lynndie
England.
Morris versucht in dieser zweistündiger Doku-Fiction, die im Wettbewerb der
Berlinale läuft, anhand der Fotografien und der Aussagen der Täter zu
rekonstruieren, was in Abu Ghraib 2003 geschah. Er beleuchtet den Kontext
der Fotos, macht sie lesbar und lässt ihre schiere Evidenz fragwürdig
werden. Knapp außerhalb jenes berüchtigten "Hundebildes" stand zum Beispiel
die Soldatin Megan Ambuhl, mit der Graner ebenfalls eine Beziehung hatte.
Auf dem Foto ist Ambuhl nicht zu sehen, weil, so Englands Vermutung,
"Graner sie schützen wollte". Dieses Beispiel illustriert, worauf "Standard
Operating Procedere" hinauswill. Um die Bilder zu verstehen, müssen wir
wissen, was jenseits des Bilderrahmens passiert. "Standard Operating
Procedure" ist eine politische Untersuchung, eine Kritik an George W. Bushs
Krieg, aber ebenso eine Reflexion über Fotos: ihre Wirkungen und ihre
trügerischen Gewissheiten. Von den schlimmsten Dinge, die 2003 in Abu
Ghraib passierten, sagt der Soldat Javal Davis, "gibt es keine Bilder".
Morris verschachtelt die Fotos mit Interviews mit den Beteiligten und
nachgespielten, stets in verwaschenen Farben gehaltenen, verwackelten
Spielszenen. Es gibt keinen Off-Kommentar - die Frage, die verhandelt wird,
liegt auf der Hand: Wie kam es zu diesen Exzessen?
Die USA jagten damals Saddam Hussein. Diesem Ziel wurde alles
untergeordnet. Die Grauzone, was bei Verhören erlaubt und was verboten war,
wuchs. Die Misshandlungen, die die Bilder dokumentieren, waren nicht, wie
das US-Militär behauptet, bedauerliche Einzeltaten von sieben moralisch
minderbemittelten Soldaten, sondern das logische Ergebnis des entgrenzten,
regellosen Krieges der USA gegen den Terror. Das Besondere war nicht, dass
in Abu Ghraib gefoltert wurde. Das Besondere war, dass es Bilder davon gab.
So wurden Lynndie England und Co. zu Sündenböcken. Allerdings waren sie
nicht das, sie waren mehr. Zur Wahrheit über Abu Ghraib gehört auch die
individuelle Verantwortung der Täter. Warum verwandeln sich recht
gewöhnliche Zeitgenossen in Folterknechte? Warum halten Menschen es für
normal, Hunde auf nackte Gefangene zu hetzen und Zigaretten auf ihren
Körpern auszudrücken?
Die Antwort lässt Errol Morris aus dem Geflecht der Aussagen der
Interviewten entstehen. Sie ist wie ein Leitmotiv, das verschwindet und
immer wiederkehrt: Gewöhnung. Lynndie England sagt: "Als ich nach Abu
Ghraib kam, gab es die Demütigungen der Gefangenen schon. Am Anfang fand
ich sie falsch. Aber so war es halt." Der Soldat Javal Davis fand es
anfangs auch nicht richtig, dass die US-Armee Kinder von Gesuchten nach Abu
Ghraib verschleppte, um die Verdächtigten so zu zwingen, sich zu stellen.
Davis hielt das für Kidnapping. Dann berichtet er, wie er Gefangene unter
Psychostress setzte, indem er sie stundenlang dröhnend laut mit
Metallica-Songs beschallte. "Country & Western war aber wirksamer", sagte
er fröhlich.
Die Soldaten wussten oder spürten, dass es Unrecht war, Gefangene zu quälen
oder Kinder zu entführen. Aber sie gewöhnten sich daran. Der nächste
Schritt war die Rechtfertigung des Systems, dessen Akteur man war. Es war
doch notwendig, Gefangene, die immerhin verdächtig waren, Terroristen zu
sein, hart anzufassen, sagt ein Wachsoldat aus Abu Ghraib. Wir mussten doch
"das Leben unserer Leute retten". So verflüchtigte sich anfängliches
Unbehagen in Gewöhnung und mündete in Selbstrechtfertigung. Keiner der
Protagonisten, die für den Film interviewt werden, fühlt sich heute
wirklich schuldig.
"Standard Operating Procedere" zeigt keine Monster, sondern ganz normale
Menschen. Der Schrecken, der diesem Film innewohnt, speist sich nicht aus
den sadomasochistischen Bildern. Er kommt aus den Worten, der Auflösung der
Grenze zwischen Normalität und Terror.
13 Feb 2008
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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