# taz.de -- Österreich erinnert sich: Gedenken ohne Seitenhiebe | |
> Beim Festakt anlässlich des 70. Jahrestages des Anschlusses an | |
> Hitler-Deutschland betont Österreichs Bundeskanzler Gusenbauer auch die | |
> Mitverantwortung seiner Landsleute. Doch es gibt auch Stimmen, die weiter | |
> am Opfermythos festhalten. | |
Bild: Kanzler Gusenbauer am Mittwoch vor dem Parlament in Wien. | |
WIEN taz Ein Meer von Hakenkreuzfahnen in den großen österreichischen | |
Städten, deutsche Truppen, die durch die Straßen defilieren, und johlende | |
Menschen mit zum Hitlergruß ausgestreckten Armen. Die Ereignisse von 1938 | |
werden seit einigen Tagen im österreichischen Fernsehen eindringlich in | |
Erinnerung gerufen. "Bilder, die uns mit Scham und Trauer erfüllen", so | |
Bundeskanzler Alfred Gusenbauer bei einer Gedenkfeier am Mittwoch. | |
70 Jahre nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht und dem Anschluss | |
Österreichs an Hitler-Deutschland versammelten sich am 12. März die Spitzen | |
der Politik im Reichsratssaal des Parlaments in Wien, um der Ereignisse zu | |
gedenken. Geladen waren auch ehemalige Widerstandskämpfer und | |
Holocaust-Überlebende, also jene, die sich von Bundespräsident Heinz | |
Fischer angesprochen fühlen durften. Dieser sagte, es hätte "vom ersten Tag | |
an Täter und Opfer gegeben". Österreich sei zweifellos Opfer "der | |
Aggression eines wortbrüchigen Diktators" geworden. Doch ohne die Mitarbeit | |
zigtausender Österreicher wäre das nicht möglich gewesen. | |
Die Auffassung entspricht dem Geschichtsbild, das 1991 vom damaligen | |
Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) im Namen der Republik anerkannt wurde. | |
Bis dahin hatte man sich auf die "Moskauer Deklaration" der Siegermächte | |
des Zweiten Weltkriegs berufen, die Österreich als "erstes Opfer" Hitlers | |
anerkannten, um seine Souveränität wiederherstellen zu können. | |
Umso überraschender kamen die Worte des 95-jährigen Otto Habsburg, Sohn des | |
letzten österreichischen Kaisers Karl I., der bei einer Gedenkveranstaltung | |
der ÖVP am Montag verkündete: "Wenn es immer wieder blamable Diskussionen | |
darüber gibt, ob die Österreicher Mitschuldige oder Opfer waren, muss ich | |
sagen, dass es keinen Staat in Europa gibt, der mehr Recht hat, sich als | |
Opfer zu bezeichnen!" Die begeisterte Kundgebung auf dem Wiener | |
Heldenplatz, wo Adolf Hitler den Anschluss seiner Heimat ans Deutsche Reich | |
erklärte, verglich der Aristokrat mit einem Fußballspiel. "Wenn irgendwo | |
ein großer Rummel ist, kommen viele und jubeln." Untragbar fand | |
SPÖ-Verteidigungsminister Norbert Darabos diese Geschichtsklitterung und | |
verlangte eine deutliche Distanzierung des Koalitionspartners. | |
ÖVP-Fraktionschef Wolfgang Schüssel sah sich schließlich bemüßigt, diese | |
Darstellung zu korrigieren. | |
Bei den Festreden am Mittwoch verzichteten Bundeskanzler Gusenbauer (SPÖ) | |
und Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) weitgehend auf Seitenhiebe gegen den | |
jeweils anderen. Dennoch ist das Koalitionsklima so schlecht, dass | |
Bundespräsident Fischer Neuwahlen in diesem Jahr nicht mehr ausschließt. | |
13 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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