# taz.de -- Alfred Grosser zu Merkels Israelreise: "Meine Lehre aus der Nazizei… | |
> Israel baut eine Mauer und bombardiert Gaza. Morgen besucht Merkel | |
> Premier Olmert - und wird kein Wort darüber verlieren. Das ist Feigheit | |
> vor dem Freund, sagt Publizist Alfred Grosser. | |
Bild: "Ich bin als kleiner Jude 1933 in Frankfurt gedemütigt worden. Ich kann … | |
taz: Herr Grosser, Angela Merkel fährt morgen zu den 60-Jahr-Feiern nach | |
Israel. Sie wird dort ihre Verbundenheit mit Israel zum Ausdruck bringen. | |
Spricht etwas dagegen? | |
Alfred Grosser: Nein, es ist gut, dass Deutschland sich Israel verpflichtet | |
fühlt. Aber was mich stört, ist, dass Merkel und ihre Minister | |
wahrscheinlich kein Wort zu Gaza und den besetzten Gebieten sagen werden. | |
Es gab Kriegsverbrechen in Gaza - doch das anzusprechen, traut sich | |
niemand, weil Schuldgefühle dominieren. Vor 17 Jahren kam ein israelischer | |
Minister nach Chambon-sur-Lignon, einen Ort, in dem in den 40er-Jahren | |
viele jüdische Kinder von Franzosen gerettet wurden. Der Minister | |
überreichte dem ansässigen Pastor die Medaille der Gerechten. Und der | |
Pastor sagte: Wir haben damals bedrohte Kinder gerettet - aber heute sind | |
die bedrohten Kinder Palästinenser, deren Häuser und Schulen zerstört | |
werden. | |
Aber hat Deutschland nicht auch 63 Jahre nach Kriegsende zu Recht noch eine | |
besondere Haltung zu Israel? Sollten sich Deutsche nicht besser mit Kritik | |
an Israel zurückhalten? | |
Das kommt drauf an. Ich denke, dass die Lehre aus der Ablehnung des | |
Hitlerismus eine universelle ist. Überall wo Menschenrechte eklatant | |
verletzt werden, sollte man im Namen des Antinazismus protestieren. Das ist | |
jedenfalls meine Schlussfolgerung aus der NS-Zeit. | |
Nun argumentiert Israel, mit Blick auf Gaza, mit dem | |
Selbstverteidigungsrecht. Und es werden ja Raketen von Gaza auf | |
israelisches Gebiet abgefeuert. | |
Ja, sicher. Aber Israel hat in Gaza genauso wie im Libanon systematisch, | |
absichtlich und massiv zivile Ziele wie Elektrizitätswerke zerstört. Und es | |
ist doch zum Verzweifeln, dass die israelische Regierung seit Jahrzehnten | |
nicht begreift, dass die massive Zerstörung, die Israel anrichtet, stets | |
neue Terroristen erzeugt. Damit bleibt der Kreislauf der Gewalt in Schwung. | |
Daniel Barenboim, der das israelische-palästinensische Jugendorchester | |
gegründet hat, sagte kürzlich am Ende eines Interviews: "Olmert könnte nie | |
Dirigent sein, weil er nicht zuhören kann." | |
Aber völkerrechtlich ist es legitim, wenn Israel sich gegen Angriffe | |
militärisch vereidigt. | |
Nur wenn es verhältnismäßig ist. Und die Zivilbevölkerung zu bestrafen, ist | |
nicht verhältnismäßig. Und fremdes Gebiet zu besetzen, ist nicht legitim. | |
Genau das tut Israel seit Jahrzehnten. | |
Würden Protestnoten der EU oder Deutschlands an Israel denn etwas nutzen - | |
oder wäre das nur Symbolpolitik? Was soll die EU denn real fordern? | |
Mindestens dass Israel nicht wie im Libanon, im Westjordanland und Gaza | |
zivile Infrastruktur zerstört, die die EU bezahlt hat. Ich verstehe auch | |
nicht, warum die Deutschen, die doch leidvolle Erfahrungen mit Mauern | |
haben, nicht empfindlicher auf die Mauer reagieren, die Israel iim | |
Westjordanland baut. | |
in israelischer Lesart ist dies ein Zaun, der für Israels Sicherheit | |
notwendig ist. | |
Das stimmt nicht. Das ist eine Grenze, die Palästina durchschneidet und die | |
Bevölkerung ebenso demütigt wie die Checkpoints. | |
Sind Sie nicht einseitig? | |
Ich bin als kleiner Jude 1933 in Frankfurt gedemütigt worden. Ich kann | |
nicht verstehen, dass Juden demütigen. Es geht auch um das Verständnis für | |
das Leiden der anderen. 1953 habe ich in Paris mein erstes Deutschland-Buch | |
veröffentlicht, in dem es auch viel um deutsches Leid, um Dresden und die | |
Vertreibung ging. Warum? Weil ich glaubte, dass wir von einem jungen | |
Deutschen nur verlangen konnten, das Ausmaß von Hitlers Verbrechen zu | |
begreifen, wenn wir auch Verständnis für das Leid der Seinen zeigten. Und | |
ich glaube eben auch nicht, dass man von einem jungen Bewohner Gazas | |
verlangen kann, dass er den Horror der Attentate in Israel begreift, wenn | |
man keinerlei Verständnis für seinen Hunger und seine Aussichtslosigkeit | |
erkennen lässt. | |
Welche Druckmöglichkeiten hat die EU denn? | |
Natürlich wirtschaftliche, es gibt ja viel Handel. Aber die EU wird Israel | |
nicht mit Sanktionen drohen. Aber wie wäre es, mit der israelische | |
Regierung ganz offen über die Angriffe auf Gaza und die Mauer zu sprechen? | |
Und über all die Resolutionen der UN, die Israel missachtet hat und noch | |
immer missachtet, obwohl Israel doch ständig darauf hinweist, dass es durch | |
eine UN-Resolution entstanden ist. Mehr schlage ich gar nicht vor. | |
Was sollte Angela Merkel also Ihrer Meinung nach in Jerusalem tun? | |
Genau dies Olmert sagen. Unter vier Augen Klartext reden, im öffentlichen | |
Auftritt moderat sein. Wäre das unter befreundeten Staaten zu viel | |
verlangt? Es gibt außerdem doch eine Kluft zwischen Moral und Realpolitik | |
zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier in Bezug auf China. Kann | |
man sich so einen Dissens nicht auch in Bezug auf Israel vorstellen? | |
15 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Stefan Reinecke | |
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Deutschland | |
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