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# taz.de -- Fritz Ostermayer über Mariachis: "Da sei Huitzilopochtli vor!"
> Fritz Ostermayer ist ein Aficionado mexikanischer Volksmusik. Er erzählt,
> warum er der Hochzeit von Pop und Mariachi einen Sampler gewidmet hat.
Bild: Mariachis bei einem ökomenischen Gottesdienst.
taz: Herr Ostermayer, wie kommt man als Wiener dazu, einen Sampler mit
mexikanischer Mariachimusik zusammenzustellen?
Fritz Ostermayer: Als Aficionado mexikanischer Volksmusiken sammle ich das
Zeug schon seit Jahren. Da ist freilich auch Schrott darunter, aber immer
wieder finde ich im weiten Feld von Pop Mariachiassimilationen, die auf den
ersten Blick scheinbar nicht zusammenpassen, bei näherem Hinhören aber
gerade aus der Verschmelzung von zwei Uneigentlichkeitssystemen ihren Reiz
beziehen.
Ihr Sampler folgt der Frage, wie andere Musikkulturen Mariachimusik
adaptiert haben. Sie werden von englischen Folksängern der 70er bis hin zu
japanischen Avantgardetrompetern fündig. Wäre es nicht genug gewesen, die
vielfältigen Formen des mexikanischen Mariachi aufzuzeigen?
Wäre ich vergleichender Musikwissenschaftler, also das, was früher einmal
Musikethnologe hieß, dann hätte mir dieser Ansatz auch große Befriedigung
verschafft. Aber ich bin ein zu großer Popnarr, als dass ich mir die
diversen Verästelungen einer nationalen Tradition hinein ins internationale
Popgewusel entgehen hätte lassen. Was für mich ja auch den großen Reiz
darstellt ist, wie sich da - biologistisch gesprochen - zwei Schmarotzer zu
Wirten aufschwingen und beide Seiten gewinnen. Im besten Fall entsteht
tatsächlich so was wie eine Symbiose.
Ist Mariachi denn wirklich so eine globalisierte Musik wie Ihr Sampler
nahelegt?
In Japan, wo es ja alles in perfekt kopierter Ausführung gibt, bestreiten
sie regelrechte Mariachiwettkämpfe, in Russland lieben sie Mariachi als
nahen Verwandten der eigenen Klischees, von wegen "Himmelhoch jauchzend, zu
Tode betrübt". Ich glaube, dass von allen lokalen Volksmusiken Mariachi am
leichtesten als "kulturelles Missverständnis" absorbiert werden kann.
Vielleicht weil dieses Genre ja auch in Mexiko selbst so sehr touristisch
verwurstet wird, also sich selbst "entfremdet" ist. Nur der globale
Siegeszug des Balkansounds kann da noch mithalten.
Oft sind die Mariachiklischees, das Trompetengeschmetter, das
spaghettiwesternhafte dieser Musik, gar nicht mehr zu hören.
Ich bin ja ein großer Freund von Klischees als Konzentrat und
Zusammenballung von prinzipiell legitimen Stilmitteln. Wenn man bei einigen
Songs der Sammlung zweimal hinhören muss, bis sich die Mariachistereotypen
zu erkennen geben, dann spricht das nur für die hybride Kunst der
Interpreten, sich den Geist von Mariachi einzuverleiben, ohne auf dessen
Klangzitate angewiesen zu sein.
Ist der Mariachi ähnlich vital wie der Tango, der sich immer wieder
transformiert hat und dank Astor Piazzolla oder dem Gotan Project auch bei
uns heiß geliebt wird?
Da sei Huitzilopochtli, der aztekische Gott des Krieges, vor! Mariachi
funktioniert im Gegensatz zum akademisierten Tango ja nur als
Unterhaltungsmusik, sei es im texanischen Bierzelt oder bei einem
Kreuzberger Barbecue. Wenn ein ganz Großer wie Charles Mingus sich dieses
Stils annimmt und daraus das geniale "Los Mariachis" destilliert, dann hat
das mit dem Mariachi der Volksfeste ungefähr so viel zu tun wie Mescal mit
Eierlikör, also gar nichts. Bezeichnend auch, dass Chavela Vargas, die
Grand Dame der mexikanischen Folklore, sich weigert, Mariachis zu singen.
Das ist ihr zu ordinär und klischeeüberhäuft. So soll es aber bleiben, denn
die "Kulturbotschafter" mit ihrem Zwang zur Emporhebung des vermeintlich
Niedrigen lauern ja eh überall.
Kann man sagen, der letzte große Aufmerksamkeitsschub gegenüber Mariachi
kam von der Americana-Band Calexico, vermittelt mit Sombrero?
Ja, wenn man auch noch die Delinquent Habits dazuzählt, die für Mariachi im
Hiphop ebenso viel leisteten wie Calexico mit ihren Mariachiinjektionen
fürs Indiepublikum.
Ist in Mexico Ranchero, dieses mexikanische Abziehbild deutscher
Humpta-Musik, heute nicht weit populärer als Mariachi?
Bei den Mexikanern, vor allem der Landbevölkerung, ja, bei den Touristen
und den vom Tourismus lebenden Einheimischen nein. Aber herzlichen Dank für
diese neue Sampleridee.
Was genau macht den Mariachi so pathetisch, was macht ihn zum "Sound of
Hysteria and Heartache", wie ihr Sampler heißt? Liegt das in der Musik
selbst oder ist es der Anlass, zu dem er gespielt wird?
Wohl beides zusammen, wenn man die Tatsache nicht vergisst, dass sowohl
Hysteria als auch Heartache als große Theaterschmiere daherkommen. Die
vorgegaukelte Echtheit ist in diesem durch und durch artifiziellen Spiel so
authentisch wie hierzulande das Gejodel der Wildecker Herzbuben. Wenn ich
mich selbst aus dem Booklet zitieren darf: "Der scheinbar überbordende
Gefühlshaushalt vieler MariachisängerInnen gewährleistet wenigstens den
Anschein von Authentizität in einem Genre, das gerade von seiner
Gemachtheit und handwerklichen Perfektion lebt. Mariachi ist Schminke - so
dick aufgetragen, dass das wahre Gesicht darunter verschwindet".
17 Mar 2008
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Dokumentarfilm
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