# taz.de -- Die Kuratoren der 5. Berlin Biennale: "Transparenz als sozialer Ged… | |
> Bei der 5. Berlin Biennale gibt es immer eine besondere Veranstaltung. | |
> Ihre Dramaturgie der Aufmerksamkeit von Kunst für die Tage und Nächte | |
> erläutern die Kuratoren Elena Filipovic und Adam Szymczyk. | |
Bild: Ausstellungsansicht, Louise Bourgeois, The Empty House, Schinkel Pavillon | |
taz: Erschöpft von den vielen Biennalen, Triennalen, Sieben- und | |
Zehnjahres-Ausstellungen 2007, fragt man sich, ob eine originelle | |
Ausstellung überhaupt noch vorstellbar ist? | |
Elena Filipovic: Ausstellungen gibt es bereits seit Jahrhunderten und es | |
gelingt ihnen doch immer wieder, außerordentlich attraktiv zu sein, | |
wenigstens einigen. Das hat natürlich mit der Auswahl der Künstler und dem | |
Charakter ihrer Arbeiten zu tun. Unabhängig von der Verpackung gibt es | |
einen Inhalt, der immer noch das Potenzial hat, das Publikum auf eine | |
andere Weise anzusprechen als die Ausstellungen, die Sie erwähnt haben. | |
Sie haben die Zahl der Künstler im Vergleich zu den vorhergehenden | |
Biennalen reduziert, wieso? | |
Adam Szymczyk: Wir haben die Zahl der Künstler nicht reduziert und das | |
Format der Biennale sogar erweitert. | |
Filipovic: Wir haben sie reduziert und auch nicht. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Szymczyk: Im Tagesprogramm sind rund 50 Künstler und damit weniger als auf | |
der letzten Biennale vertreten. Aber: Die 63 Nachtveranstaltungen | |
bestreiten mehr als 80 Künstler, Intellektuelle, Autoren und Produzenten, | |
mit verschiedensten Projekten - und damit sind insgesamt mehr Leute dabei. | |
Genug, um ein großes Publikum für zweieinhalb Monate zu beschäftigen. Wir | |
wollten, dass die nachfolgenden Abende genauso betriebsam sind wie die | |
Eröffnungsnacht. Daher auch der Titel: "Meine Nächte sind schöner als eure | |
Tage". | |
Nach welchen Kriterien wurden die Künstler der einen oder anderen Schiene | |
zugeordnet? | |
Filipovic: Es hing ein wenig von ihren Vorlieben ab. Manche nehmen an | |
beiden Programmen teil. Die Idee zum nächtlichen Teil der Ausstellung kam | |
uns im Gespräch mit den Künstlern, deren Projekte nicht in den normalen | |
Ausstellungsraum oder den zeitlichen Ausstellungsrahmen passten. Oder es | |
handelte sich um Konzepte, die am Rande ihrer Arbeit für das | |
Ausstellungsprojekt entstanden waren: Treffen mit Wissenschaftlern oder | |
Gespräche mit anderen Leuten außerhalb der Kunstwelt zum Beispiel. Es gibt | |
aber auch Künstler mit performativen Ansätzen, die nur im nächtlichen Teil | |
der Ausstellung vorkommen. | |
Man hat auch den Eindruck, dass an den Abenden sehr viel mit Film | |
gearbeitet wird. Es gibt zum Beispiel Filme aus dem Archiv der ungarischen | |
Béla Bálazs Studios, eine Diskussion über Zeichensprache im sowjetischen | |
Film, dann einen Abend zu Voodoo in den Filmen von Maya Deren und Jean | |
Rouch | |
Filipovic: Es gibt eine Reihe solcher Abende, sie sind aber nicht in der | |
Mehrheit. Viele dieser Abende sind von Künstlern kuratiert oder die | |
Künstler machen die Einführung. Die Debatten sind wichtiger als die | |
gezeigten Filme. Außerdem gibt es Musikabende, Performances, eine | |
Untergrund-Tour | |
Szymczyk: Tanz, einen TV-Abend etc. | |
Filipovic: Am 9. April gibt es im Einkaufszentrum Alexa am Alexanderplatz | |
eine Performance der finnischen Künstlerin Pilvi Takala. Sie wird eine | |
durchsichtige Tüte mit 1.000 Euro in bar mit sich herumtragen. Man muss sie | |
mitten unter den Leuten suchen. Sie hat diese Performance schon einmal | |
gemacht und es gab sehr lebhafte Reaktionen unter den Passanten, die nicht | |
wussten, dass es sich um eine Kunstaktion handelte. Denn es ist eine | |
ungeschriebene Regel, dass man nicht mit 1.000 Euro in der Tasche sichtbar | |
herum läuft. | |
Szymczyk: Es gibt eine Reihe solcher ambivalenter Performances. | |
Filipovic: Zum Beispiel am 6. April von Ahmet Ögüt, einem türkischen | |
Künstler, der auch tagsüber in den Kunst-Werken mit einer Arbeit vertreten | |
ist. Für das Nachtprogramm reinszeniert er eine Szene, die er in Istanbul | |
beobachtet hat, als der Strom ausfiel. Er sah ein Motorrad, dessen | |
Scheinwerfer von der dunklen Straße in ein Schaufenster leuchteten. Er kam | |
näher und sah, dass es ein Friseur war, der auf diese schlaue Weise seine | |
Arbeit fortsetzte | |
Wie sind Sie zu den verschiedenen Orten gekommen, an denen Sie die | |
Ausstellung präsentieren? Hatten Sie eine ideale Liste von Künstlern und | |
suchten nach den passenden Orten? | |
Szymczyk: Es stimmt, beim Nachtprogramm sind wir von den Belangen der | |
Künstlern ausgegangen und haben die passenden Orte für ihr spezielles | |
Projekt gesucht. Bei der Ausstellung am Tag verhält es sich andersherum. | |
Dort haben wir erst die Ausstellungsorte gesucht und dann begonnen, an dem | |
Programm zu arbeiten. | |
Diese Orte sind sehr konträr: Der Skulpturenpark Berlin_Zentrum liegt eher | |
am Rand, selbst viele Berliner waren dort noch nie. | |
Szymczyk: Er existiert aber, ich war erst heute dort. | |
und die Neue Nationalgalerie sitzt natürlich sehr prominent in der Mitte. | |
Ging es Ihnen um einen Zusammenstoß der Atmosphären? | |
Szymczyk: In der Mitte? Ich dachte sie läge im Westen. Sie haben auch viel | |
gemeinsam. | |
Was denn? | |
Filipovic: Auf den ersten Blick sind sie natürlich sehr verschieden. Aber | |
eines der Merkmale des Mies-van-der-Rohe-Baus ist die Transparenz. Die | |
Mauern sind aus Glas, als gäbe es gar keine Grenzen zwischen Innen und | |
Außen. Potenziell ist es ein endloser Ausstellungsraum, und die Außenanlage | |
des Skulpturenpark Berlin_Zentrum ist genau die Umsetzung davon. Das sind | |
kleinere, subtilere Verbindungen, die uns interessiert haben, trotz der | |
offensichtlichen Gegensätze. | |
Dann müssen Sie die Neue Nationalgalerie komplett offen halten. | |
Szymczyk: Das tun wir. Wir werden ein oder zwei von Mies entworfene Wände | |
für Gemälde benutzen. Aber wir zeigen ohnehin nicht viel Malerei. | |
Wirklich? Wir finden ja, das die Halle von Mies als Ausstellungsraum ein | |
kompletter Irrtum ist. Haben Sie damit nicht zwei Ausstellungsräume, die | |
keine sind? | |
Szymczyk: Nun ja, die Idee der Transparenz existiert ja auch als sozialer | |
Gedanke seit dem 19. Jahrhundert und er wurde wörtlich genommen von der | |
Bewegung, die das kommunistische Regime Ende des letzten Jahrhunderts zu | |
Fall brachte. Perestroika, Glasnost. Die Glasnostbewegung führte irgendwann | |
zum Fall der Berliner Mauer, die das Gegenteil von allem verkörperte, was | |
man mit Transparenz verbindet. Sie stand für Teilung und | |
Undurchsichtigkeit. Man versuchte das mit Aussichtsplattformen zu | |
unterlaufen. Auch das Axel-Springer-Haus, das so nah an der Mauer gebaut | |
wurde, dass es weithin zu sehen war, wollte ein Symbol der freien Presse | |
bis in den Osten hinein sein. All das schwingt mit, im Feld von Transparenz | |
und Sichtbarkeit in Berlin. Die Neue Nationalgalerie von 1968 ist selbst | |
eine Aussage in diesem Kontext. Sie wendet sich gegen den geschlossenen Bau | |
der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel. | |
Wie passt der Schinkel-Pavillon dazu? Ist er dann der traditionellste | |
Ausstellungsraum, wo er immerhin Wände hat? | |
Filipovic: Ja, aber er war ehemals eine Banketthalle, ein Achteck, er | |
öffnet sich mit großen Fenstern auf eine Art Terrasse und besteht aus einer | |
merkwürdigen Mischung von neoklassizistischer Außenhaut und modernistischem | |
DDR-Innendesign. Er heißt ja bloß Schinkel-Pavillon, hat aber bis auf ein | |
paar Teile, die aus der Bauakademie stammen, nichts mit Schinkel zu tun. Er | |
entstand 1969 und gehörte zum Kronprinzenpalais als dem eigentlichen | |
Ausstellungsgebäude. Diese komplexe Geschichte hat uns sehr interessiert. | |
Wir werden dort fünf verschiedene Ausstellungen von Künstlern zeigen, die | |
das Werk von fünf älteren Künstlern kuratieren werden, die für sie wichtig | |
sind. | |
Gibt es einen besonderen Grund für diese Ausstellungseröffnung zwei Wochen | |
vor der eigentlichen Biennale-Eröffnung? | |
Szymczyk: Alle Erwartungen richten sich natürlich auf die Eröffnung der | |
Biennale und die ersten Tage danach. Diese Erwartungen wollten wir ein | |
wenig unterlaufen, indem wir im Schinkel-Pavillon früher eröffnen und die | |
letzte Ausstellung zehn Tage nach der offiziellen Biennale enden lassen. | |
Wir versuchen die üblichen Zeitstrukturen etwas zu verflüssigen. | |
Auf der Berlin Biennale kuratieren sehr viele Künstler Ausstellungen und | |
Vorträge und Diskussionen. Wollen Sie damit die Rolle des Kurators zur | |
Diskussion stellen? | |
Filipovic: Uns interessierte vielmehr die historisch weit zurückreichende | |
Geschichte des Künstlers als Ausstellungsmacher. Sie wollten wir wieder ins | |
Bewusstsein rufen. Und die Tatsache, dass es Künstler waren, die viele der | |
ganz wichtigen Ausstellungen kuratiert haben, mit denen einmal Neuland | |
erschlossen wurde. Der Kurator ist in der Kunst eine noch relativ junge | |
Erscheinung. Microsoft-Word zeigt beim Begriff Kurator immer einen Fehler | |
an. Gibt es die Profession überhaupt, wenn sie Microsoft nicht kennt? | |
Wie haben Sie und die Künstler sich über die verschiedenen Aufgaben | |
verständigt? Gab es mehr Kommunikationsbedarf als sonst üblich? | |
Filipovic: Zunächst einmal waren alle Künstler, die jetzt im | |
Schinkel-Pavillon eine Ausstellung organisieren, als Teilnehmer auf die | |
Biennale eingeladen. Sie entwarfen für die Biennale neue Arbeiten und | |
Projekte und in der Diskussion darüber stellte sich dann heraus, dass sie | |
sich gerne auf andere Künstler beriefen, die sie beeinflusst hatten. | |
Dadurch kamen wir auf die Idee, zu sagen, zeigt doch diese anderen | |
Künstler, die euch interessieren. Wir hatten den Ausstellungsraum, aber | |
alle anderen Parameter bestimmten die Künstler selbst, die Auswahl der | |
Arbeiten, das Design und das Ausstellungsdisplay. Im Fall der 1971 in | |
Isfahan geborenen Künstlerin Nairy Baghramian, die in der ersten | |
Pavillon-Ausstellung die 96-jährige Schweizer Designerin Janette Laverrière | |
vorstellt, haben die beiden das Ausstellungsdesign gemeinsam entwickelt. | |
Die Auguststraße als Ausstellungsachse der letzten Biennale veranlasste | |
viele Besucher, diese lineare Abfolge gewissermaßen als Kapitelfolge eines | |
Romans zu interpretieren. Sie agieren nun an vier weit entfernten Orten. | |
Möchten Sie eine solche Lesart verhindern? | |
Szymczyk: Natürlich ergab die Straße unwillkürlich eine Art von Erzählung. | |
Aber Erzählungen können ganz unterschiedliche Formen haben. Unsere ist | |
sicher nicht episch. Wir plädieren für die Kurzgeschichte, das Fragment. | |
Bei Ihrer Biennale muss man nun über zweieinhalb Monate lang am Ball | |
bleiben, weil die Ausstellung erst über die ganze Dauer der Zeit sichtbar | |
wird. Macht sie - um mit Karl Valentin zu sprechen - nicht zu viel Arbeit? | |
Filipovic: Ich denke, es ist nicht falsch, wenn die Leute ein wenig | |
arbeiten. Aber es war keinesfalls unsere Absicht, die Biennale | |
undurchschaubar und opak zu machen. Sie will nicht befremden. Wir strebten | |
im Gegenteil eine größere Offenheit an. Üblicherweise finden bei großen | |
Ausstellungen nur am Anfang besondere Events statt. Wir wollten nun, dass | |
jeder Besucher, wann immer er oder sie nach Berlin kommt, an einer | |
besonderen Veranstaltung teilnehmen kann, dass die Biennale immer noch in | |
vollem Gange ist. | |
INTERVIEW: HENRIKE THOMSEN & BRIGITTE WERNEBURG | |
19 Mar 2008 | |
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zeitgenössische Kunst | |
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