| # taz.de -- Schriftsteller Alain de Botton über Architektur: "Unfassbar schrec… | |
| > Architektur kann man nicht entfliehen, sagt der schweizer Romanautor | |
| > Alain de Botton - und erzählt, warum Englangs hässliche Fassaden ihn zum | |
| > Architekten machte. | |
| Bild: Erst eine hässliche Umgebung machte ihn zum Architekten, sagt Alain de B… | |
| taz: Herr de Botton, der Originaltitel Ihres Buches heißt "The Architecture | |
| of Happiness". Macht gute Architektur glücklich? | |
| Alain de Botton: Die Auswirkungen von Architektur sind nicht unbedingt | |
| lebensverändernd. Es gibt verschiedene Gründe, glücklich zu sein. Unsere | |
| Stimmung wird von der Architektur in gleichem Maße beeinflusst wie vom | |
| Wetter. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, zufrieden zu sein, größer, wenn | |
| man das Glück hat, in einem schönen Haus zu wohnen. | |
| Im Alter von zwölf Jahren zogen Sie von der Schweiz nach Großbritannien. | |
| Wie hat sich, neben dem englischen Wetter, die gebaute Umgebung auf Sie | |
| ausgewirkt? | |
| Ich begann, mich für gute Architektur zu interessieren. Die Schweiz besitzt | |
| eine Tradition von außerordentlicher Architektur, nicht angeberisch und | |
| aufdringlich, sondern schlicht und klar. England war da eine fürchterliche | |
| Enttäuschung, ich fand meine Umgebung unfassbar schrecklich. Wären wir ins | |
| Zentrum von Paris gezogen, wäre mein Faible für Architektur wohl nicht | |
| entstanden. Das passiert erst, wenn man an einem hässlichen Ort wohnt. In | |
| Großbritannien ist man für moderne Architektur nicht sehr aufgeschlossen. | |
| Es ist das Ursprungsland der industriellen Revolution. Die dramatischen | |
| Umwälzungen damals haben meiner Meinung nach mit der heutigen | |
| Feindseligkeit der Briten gegen Modernes zu tun. Die Häuser sind daher | |
| entweder von vor 1945 oder so gebaut, dass sie alt aussehen. | |
| Sie schreiben, Häuser seien "Wächter der Identität". Was sagen Häuser über | |
| ihre Bewohner aus? | |
| Sie zeigen nicht das, was die Person liebt, sondern das, wovor sie sich | |
| fürchtet. Wer sich altmodisch einrichtet, mit viel Holz etwa, hat keine | |
| gefestigte Vorstellung von Geschichte. Minimalisten, die ihre Wände ganz | |
| weiß lassen, sich puristisch einrichten, sind womöglich unruhige Menschen, | |
| die schlecht runterkommen können. Architektur ist reine Kompensation. | |
| Eines Ihrer letzten Bücher befasste sich mit dem Thema Reisen. Was für eine | |
| Rolle spielt Architektur heutzutage, in einer Zeit ständigen | |
| Unterwegsseins, für den Menschen? | |
| Viele führen ein Leben, das sie von ihrer Umgebung entfremdet. Das | |
| Bedürfnis nach einem Rückzugsort wird immer wichtiger, das sieht man an den | |
| Hotels: Sie sind immer mehr darauf ausgelegt, ihre Gäste zu "pampern", zu | |
| verhätscheln. | |
| Die amerikanische Kulturwissenschaftlerin Elaine Scarry hat einmal gesagt, | |
| wir erschaffen, was wir erschaffen, weil wir durch das Gemachte selbst | |
| verändert werden wollen. | |
| Es gibt zwei Arten, ein Gebäude zu betrachten. Entweder es geht darum, | |
| woran es uns erinnert, etwa an das Zuhause unserer Kindheit, oder es geht | |
| darum, wie es aussieht. Übrigens ist die Idee vom Zuhause nicht unbedingt | |
| ein Haus, es kann auch eine Kirche oder ein Strand sein. Einem Zuhause | |
| gelingt idealerweise genau das, was einem fehlt: Es beruhigt oder regt an, | |
| je nachdem. | |
| Schön oder nicht. Was ist schön? | |
| Viele werden sagen, das ist subjektiv. Das sehe ich anders: Es ist eine | |
| Wahrheit wie etwa die Aussage, dass Goethe ein talentierter Autor war. | |
| Venedig ist schön. Frankfurt ist hässlich, genauso wie etwa Detroit. | |
| Weil sie nicht natürlich gewachsen sind? | |
| Die Welt heute ist hässlicher als vor 150 Jahren. Ich meine damit nicht, | |
| dass diese Städte schmutzig sind. Sie sind Zeugnisse von Dummheit: Die | |
| Stadtplanung ist auf der bestimmenden Rolle der Autos aufgebaut, die | |
| Fußgänger wurden vergessen. | |
| Das war die Stadtplanung einer bestimmten Phase. Was sagt die Architektur | |
| einer Ära über die jeweilige Gesellschaft aus? | |
| Die meisten Zeitalter sind geprägt von einer typischen architektonischen | |
| Ausdrucksform. Nehmen Sie den deutschen Neoklassizismus, der von der | |
| griechischen Antike inspiriert war. Das schien damals zur deutschen Kultur | |
| zu passen. | |
| Inwiefern? | |
| Um sich aufgehoben zu fühlen. Als Ideal galt Athen, also das Ideal einer | |
| zivilisierten Gesellschaft. Man dachte wohl, es sei eine gute Idee, auf | |
| diese Weise eine neue Form gesellschaftlicher Realität voranzubringen. Es | |
| ist eher rührend, aber sie haben es versucht. | |
| Was ist denn mit der typischen Architektur der Trabantenstädte wie etwa der | |
| Banlieues in Paris? | |
| Die Architekten dachten damals wirklich, sie bauen das Paradies! Aber diese | |
| Bauten machen aggressiv. Wenn man Gefängnisse entwirft, will man ja auch | |
| gezielt Angst und Schrecken evozieren. Die Gebäude in jenen Vorstädten | |
| drücken aus, dass man sich nicht um die Bewohner kümmert, die reinste | |
| Gleichgültigkeit und Feindseligkeit. Es ist eine politische Geste. In | |
| vielen solcher Fälle zeigt sich: Da hat man 100 Millionen Euro in ein | |
| Gebäude investiert - und die Kids sind immer noch unglücklich. | |
| Dekonstruktivistische Architektur von Daniel Libeskind und Frank O. Gehry | |
| oder die von Norman Foster prägt Metropolen wie Berlin, London oder, ganz | |
| aktuell, Toronto. Es gibt Reaktionen der Bevölkerung gegen diese krasse | |
| Veränderung der Stadtlandschaft. Werden sich die Bewohner durch die | |
| Architektur auch verändern? | |
| Sie können der Architektur nicht entfliehen. Wenn die Gebäude um mich herum | |
| auf einmal aggressiver aussehen, bekomme ich den Eindruck, dass meine | |
| Umwelt aggressiver geworden ist. Auch die Entwürfe der iranischen | |
| Architektin Zaha Hadid sind eher aggressiv. Aber warum sind sie momentan so | |
| populär? Ihre Bauten stehen für einen romantischen Blick auf Maschinen, sie | |
| verkörpern die Versprechungen der Technologie. Die, die über Hadids | |
| Entwürfe entscheiden, sitzen an der Spitze großer Unternehmen, sie sind die | |
| Elite. Die Technologie des Fortschritts finden sie aufregend. Andere | |
| fürchten sich eher davor. Sie lässt viele von uns unbefriedigt zurück. | |
| Ist Ihr Arbeitszimmer hübsch? | |
| Ehrlich gesagt, mein Büro ist hässlich. Ich halte mich ja sowieso in erster | |
| Linie in meinem Kopf auf, da ist das egal. Wenn man sich an einem schönen | |
| Ort befindet, was soll man dann noch schreiben? Diese Unzufriedenheit ist | |
| für mich eine Notwendigkeit. | |
| INTERVIEW ANNE HAEMING | |
| 27 Mar 2008 | |
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| Balkan | |
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