# taz.de -- Gesammelte Werke von Clemens Eich: Abstoßende Romanhelden | |
> Gesamtausgaben bergen die Gefahr, dass die öden Werke die brillanten | |
> "beschädigen". Die Bände von Clemens Eich bieten sehr Gelungenes, Ekliges | |
> und auch pathetisch Verunglücktes. | |
Bild: 1952 während der Tagung der Gruppe 47: Ilse Aichinger mit Heinrich Böll… | |
Knappe biografische Anmerkungen; bis 1982 arbeitete der 1954 in Rosenheim | |
geborene Sohn von Ilse Aichinger und Günther Eich als Theaterschauspieler. | |
Dann wurde Clemens Eich Schriftsteller. 1980 "debütierte" (was für ein | |
bescheuertes Wort) er mit einem Gedichtband. 1987 erschien ein Band mit | |
Erzählungen; 1995 sein einziger, vielbeachteter Roman "Das steinerne Meer", | |
1999 posthum ein Bändchen mit Reiseaufzeichnungen aus Georgien. Die | |
zweibändige, knapp 800-seitige Gesamtausgabe seines Werks, die nun bei | |
Fischer erschienen ist, enthält all die veröffentlichten Dinge sowie dies | |
und das aus dem Nachlass; auch die Gedichte, die der damals 13-Jährige 1967 | |
für seinen Papa schrieb, dessen Gedicht von dem Sand im Getriebe der Welt, | |
das wir sein sollen, in den 70er-Jahren sehr beliebt war. | |
Begleitet wird die Gesamtausgabe von einem lobenden Nachwort von Ulrich | |
Greiner, einem germanistischen Text, in dem leider kaum etwas über das | |
Leben des Frühverstorbenen steht. Dass er etwa eine drei Jahre ältere | |
Schwester hatte oder dass sein Vater starb, als der Sohn 17 war, wird nicht | |
für erwähnenswert gehalten. Wenigstens in der FR steht, wie der Dichter zu | |
Tode kam: Vor zehn Jahren stürzte er in der Wiener U-Bahn eine Treppe hinab | |
und starb später an den Folgen dieses Unfalls. | |
Man könnte mit vielen Nichts beginnen, die die Lektüre oft anstrengend | |
machen: Der Dichter besaß keinerlei Humor; Ironie oder doppelbödige Sätze | |
sind ihm fremd, Gegenwarts-, also Popkultur gibt es kaum in seinem Werk. | |
Als jemand, "der im Begriff stand, in die erste Reihe der deutschen Autoren | |
zu treten", wird Clemens Eich vom Zeit-Literaturchef Ulrich Greiner etwas | |
diffus beschrieben. Keine Ahnung, wer damals in der ersten Reihe der | |
deutschen Autoren gestanden hat, wer sie da hingestellt hatte. Beim Lesen | |
der unveröffentlichten Dinge fragt man sich auch, ob es sinnvoll ist, die | |
gesammelten Werke eines vor zehn Jahren verstorbenen Autors | |
herauszubringen, von dem der Herausgeber meint, man könne sich vielleicht | |
vorstellen, wie das Werk ausgesehen hätte, wenn es fertig geworden wäre. | |
Wenn man das Gelungene - den ländlich düsteren Roman "Das steinerne Meer" - | |
neben soviel Uninteressantes, Maniriertes, Affektiertes stellt, kann das, | |
was gelungen war, "beschädigt" werden, wie man so hochgestochen zu sagen | |
pflegt. | |
In der FAZ hieß es, das schriftstellerische Ich des Autors entwerfe sich | |
selbst "als ein Gegenüber, das Übelkeit verursacht, mit dem es zu kämpfen | |
gilt". In dies Gefühl der Übelkeit gerät man manchmal auch selber beim | |
Lesen; nicht weil das Werk nun schlecht wäre - "Das steinerne Meer" ist ein | |
ziemlich guter Roman -, sondern weil die Menschen so abstoßend in ihrer | |
Körperlichkeit beschrieben sind. Sie stinken, sind grob, oft dumm, bösartig | |
und gewalttätig. Es ist 1963. Die Geschichte spielt in einem Dorf zwischen | |
Österreich und Deutschland, in Rückblicken teils auch in Wien. Der Held im | |
"Steinernen Meer", ein im Bett fiebernder Junge mit furchtbarem Ausschlag | |
an den Füßen, fantasiert von den anstehenden Olympischen Spielen in | |
Innsbruck, träumt davon, Erster im Abfahrtslauf zu werden. Die Eltern sind | |
fort. Der Opa bringt eine Frau um. Die Leiche verfault im Keller. | |
Man gruselt sich körperlich vor den Helden des Romans. Es ist nicht schön | |
zu lesen, wie sich diese geile, dicke, einsame Frau in einem Wiener | |
Säuferlokal an diesen aus Angst und Geiz depressiven, traurigen Mann | |
drängt, wie Misshandelte einander weiter misshandeln, wie ein besonders | |
widerwärtiger alter Mann, eine Mischung aus Nazi und Landjunker, getrieben | |
von Altmännergeilheit, die jungen, stumpfsinnigen Mädchen aus dem Dorf | |
schwängert, wie der Junge im Fieber davon träumt, einer Frau ins Gehirn zu | |
fassen und sie dabei stöhnt vor Lust Solche Sachen. | |
Auch Clemens Eichs Erzählungen sind sehr in Moll. Manchmal klingen sie so | |
sehr konstruiert und furchtbar nach Literatur, dass man an die Vorurteile | |
denkt, die man automatisch gegen neue E-Musik hegt. Nepomuk Hummel etwa. | |
Lyrik ist vielleicht Geschmackssache. Tendenziell bin ich dagegen. Verse | |
wie "Komm rüber, spring oder klettere, / aber komm! / Wir wollen durch die | |
Hohlwege rennen." ("Märzfragmente") finde ich aufgesetzt, und diese | |
beliebte Methode, sich selbst in Gedichten anzusprechen - "Nimm dein Gehn, | |
/ gib dir den Abschied / von dem Mädchen / mit dem weissen Hund" ("Aufstehn | |
und gehn") -, kommt mir doch recht pathetisch vor. Die "Gedichte für Papa", | |
die der 13-Jährige schrieb, sind wieder interessant in ihrer Tendenz zur | |
Günter-Eich-Parodie. | |
Als ich einem Freund erzählte, dass ich es erstaunlich und seltsam fände, | |
wie sehr die Lyrik des 13-jährigen Clemens Eich nach seinem Vater geklungen | |
hatte, erzählte er von seinem Sohn. Der wäre zehnjährig auf einem Fest mit | |
unserem bekanntesten Dichter gewesen und hätte den so sehr und überzeugend | |
in Zungen redend plagiiert, dass der Dichter ganz seine Fassung verloren | |
hätte. | |
Die "Aufzeichnungen über Georgien", Clemens Eichs letztes, unvollendetes | |
Buch, das in Folge einer Dichterverschickung entstanden war, gefällt mir | |
sehr gut. Einige Georgienkenner und -freunde verurteilten es wegen | |
Subjektivismus. Das Fragmentarische dieses Sammelsuriums aus | |
Tagebucheintragungen, Notizen, Aphorismen lässt einen aber vielleicht | |
besser an einer Reise teilnehmen, als es eine geschlossenere, | |
widerspruchsfreiere, politisch abwägende Schilderung vermögen könnte. Vor | |
allem ist es nicht mehr so durchgehend in Moll. Gern zitiert man auch einen | |
Satz, dem damals sicher viele westdeutsche Intellektuelle zugestimmt | |
hätten: "Ich habe keine Angst, nach Georgien zu fahren, aber ich habe | |
Angst, nach Ostdeutschland zu fahren." | |
Clemens Eich: Gesammelte Werke. Hrsg. von Elisabeth Eich und Ulrich | |
Greiner. 2 Bände; Band 1: "Das steinerne Meer"/"Aufzeichnungen aus | |
Georgien", Band 2: Prosa/Drama/Lyrik. Fischer, Frankfurt am Main 2008, zus. | |
768 Seiten, 29,90 Euro | |
27 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Detlef Kuhlbrodt | |
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Schriftstellerin | |
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