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# taz.de -- Kabarettist Reinald Grebe über 68: "Massenkompatibel werd ich nie"
> In seinem neuen Programm katapultiert der Kabarettist Rainald Grebe sein
> Publikum ins Jahr 1968 - und stellt sich vor, wie Janis Joplin mit einer
> Energiesparlampe zurecht käme.
Bild: Wenn einer raucht und denkt entstehen Rauchwolken
taz: Herr Grebe, in Ihrem aktuellen Programm "1968" singen Sie: "Die 68er
sind an allem schuld". Mögen Sie diese Zeit nicht?
Rainald Grebe: Im Gegenteil, heute wird so viel auf denen rumgeklopft, dass
ich es schön finde, es auch mal wieder positiv zu sehen. Und dann ist da
noch dieser Neid, den die immer bei mir erzeugt haben: Die haben etwas
gerissen - und ich nicht. Das hat sich bei mir im Hinterkopf festgesetzt.
War dieser Neid das Motiv, die 68er in Ihrem neuen Programm mal so richtig
in die Pfanne zu hauen?
Das mache ich doch gar nicht. Natürlich ging es mir auch um das Jubiläum;
ich wollte etwas machen, bei dem keine historischen Kenntnisse
vorausgesetzt werden müssen. Ich bin Jahrgang 1971, ich kenne die Zeit ja
selbst nicht, und musste mir das alles anlesen. Mir ging es darum, die
Themen dieser Zeit in Bezug zu heute zu setzen, Zeitsprünge zu machen. So
taucht dann etwa Janis Joplin mit der Energiesparlampe auf.
Die so genannten Helden der linken Szene sind in Ihren Texten meist zu
Revolutionskitsch verkommen: Andreas Baader ist Onaniervorlage für
Germanistinnen, es gibt Che Guevara-Aschenbecher. Ihre Helden waren das
offenbar nicht.
Sagen wir mal so: Wenn ich Rudi Dutschke reden höre, verstehe ich den gar
nicht, wie vieles von den 68ern. Anders als meine Freunde aus dem Osten -
die sind mit Marxismus-Leninismus großgeworden. Ich denke dann immer: Was
verstehe ich da wieder nicht? Die Revolutionierung der Revolutionäre und
fünf Fremdworte in einem Satz - diese Kaderkunde ist mir vollkommen fremd.
Sie hatten nie eine jungmarxistische Phase, in der Sie sich das "Kapital"
von Karl Marx aus der Stadtbibliothek ausgeliehen haben?
Nee, hatte ich nicht. Die aus den Klassen über mir, bei denen gab es das
noch, die waren so ... bewegt, Wackersdorf war das große Thema. Wir hatten
noch einen in unserer Klasse, der Anschläge auf McDonald's gemacht hat,
aber der galt schon als Verrückter. Meine Klassenkameraden wollten schnell
fertig werden, BWL oder Jura studieren, was eben Geld bringt, ganz
freudlos. Ich hing irgendwie dazwischen.
Sie sagen immer wieder, Sie haben keine politische Haltung.
Ja, ich könnte mich in der Parteienlandschaft schwer verorten und denke
eher: Warum gehe ich überhaupt noch zur Wahl? Ich lese Zeitung auch nur im
Internet, surfe da rum und sauge das auf. Aber es fällt mir bei diesen
großen Themen schwer, eine Haltung zu beziehen. Ich weiß dazu zu wenig.
Dennoch trauern Sie - verkleidet als "Bild"-Chef Kai Diekmann - Zeiten
hinterher, als "Bürgermeister noch hetero" waren. Das ist doch eine
Haltung.
Der Werteverfall, die Selbstverwirklichung - diesen lausigen Anti-68-Tenor
kann ich nicht ernst nehmen. Will ich auch nicht. Es gab ja gute Gründe,
einiges wegzusprengen. Mir geht es darum, die Themen von damals in Bezug zu
heute zu setzen: Recourcenschonung, Klimawandel - wenn heute Janis Joplin
davon reden würde! Oder nehmen Sie "Nachhaltigkeit": Damals hieß es "die
young" und: "Man kann schlafen, wenn man tot ist." 20-Jährige von heute
reden ganz anders, die sind schon so straight drauf.
Trotzdem, Sie sind nicht immer nur ironisch: In Ihrem Song "Guido Knopp"
haben Sie recht vehement gegen den TV-Historiker Stellung bezogen.
Damals hatte ich noch einen Fernseher. Dieses Historytainment, das mag ich
nicht. Ich war mal in Großbritannien, da lief Guido Knopp im Fernsehen -
der verkauft unser Bild nach Australien, in die ganze Welt, der hat ein
Monopol!
Was regt Sie daran auf?
Allein diese Hitler-Vermarktung. Da werden Szenen nachgestellt, eine Hand
kommt ins Bild, wie bei Aktenzeichen XY. Und alles wird vereinfacht. Fünf
Minuten stehen für ein Jahr, die Bilder sind immer die gleichen: So, liebe
Kinder, da stehen so ein paar nackte Männer und Frauen an der Wand, daneben
ein Kind, das ist 1968. Mehr müsst ihr darüber nicht wissen. Wenn es um
1945 geht, sieht man den Führerbunker und einen GI mit Kaugummi.
Haben Sie deshalb den Fernseher abgeschafft?
Nein, ich bin fernsehsüchtig. Wenn ich einen habe, dann schaue ich
ununterbrochen.
Sie rauchen auch sehr viel - Sie sind wohl eher ein Suchttyp?
Ja. Jetzt surfe ich halt im Internet. Irgendwas ist immer.
In der verknappten Wahrnehmung der Spätgeborenen steht Berlin für die
deutsche 68er-Revolte. Geht Ihnen das auch so?
In der Verknappung sehe ich in San Francisco die Rock'n Roller stehen - und
in Berlin die Dutschkes, diese Feuerköpfe mit ihren Büchertaschen, die
alles so ernst nehmen. Von denen gab es 1990/1991 auch noch viele, als ich
hierher kam.
Warum sind Sie denn damals nach Berlin gekommen?
Ich wollte vor allem in den kaputten Osten, Neuland entdecken. Da bot sich
Berlin halt an. Bloß weit weg von Köln, wo ich herkomme. Ich weiß noch,
ganz am Anfang, 1990, war ich mal in Magdeburg. Und mitten auf dem
grau-braunen Bahnhofsvorplatz stand ein leuchtender EC-Automat und auf der
anderen Seite leuchtende Bierwerbung. Ich fand: Die fangen neu an, ich
fange auch neu an.
Wie sah Ihr Anfang im Neuland Berlin aus?
Ernüchternd: Ich war einen Tag lang Straßenkünstler. Auf dem Ku'damm vor
der Gedächtniskirche habe ich Reliquien verkauft. Versiffte Eierschneider
und was man auf der Straße halt so findet. Als Wunderheiler bin ich da
aufgetreten. Ich habe sogar extra auf Karten dazu geschrieben, wogegen die
Reliquien helfen, und Gedichte von mir kopiert. Das Dumme war nur: Die
Leute wollten die Geschichten gerne hören, nur kaufen wollten sie nichts.
Dabei hatte ich mir das so toll vorgestellt! Ich dachte, ich kann damit in
Serie gehen und davon leben. Mit dem Geld wollte ich mir einen VW-Bulli
kaufen und durch Deutschland ziehen.
Das hatten Sie doch überhaupt nicht mehr nötig - Sie waren doch bereits als
Abiturient von dem Comedian Thomas Hermanns entdeckt worden!
Ja, bei einem Talentwettbewerb in Köln mit meiner Schülercombo Harakiri
Eleyson. Fürchterlicher Name. Wir machten Kabarett mit Musik, eigentlich
wie heute. Thomas Hermanns kam da an mit seinem Köfferchen und holte einen
Vertrag raus. Er gründete gerade den Quatsch Comedy Club in Hamburg, eine
Bühne für Comedians. Dafür suchte er Solisten. Das machte ich drei Jahre.
Als dann das Fernsehen einstieg, hätte ich sehr schnell Geld und Karriere
machen können. Aber ich wollte nicht in meiner eigenen Suppe kochen, ich
wollte etwas lernen.
Was denn?
Zuerst habe ich ein Jahr lang Russisch studiert, der Osten hat mich einfach
fasziniert. Ich hatte damals auch mit einem Bulgaren zusammengewohnt, mit
dem bin ich oft in seine Heimat gefahren. Früher war das ja alles Ostblock
- und auf einmal waren da so viele einzelne Länder. Und mit Russisch konnte
man sich diese Kulturen erschließen. Das fand ich toll. An der Uni waren
drei Russenmuttis, die uns ihre Sprache beigebracht haben. In unseren
Abrissbuden haben wir Pelmeni gekocht und Wodka getrunken. Dann ging das
Hauptstudium los: Ein Riesenhörsaal, vorne steht ein Typ und erzählt was
über Stabreime - das war so unpersönlich. Ich bin ich einen Tag hingegangen
und wusste: Der Zauber ist weg.
Den haben Sie dann ausgerechnet beim Puppenspiel-Studium wieder entdeckt?
Zufällig drückte mir ein Freund einen Wisch der
Ernst-Busch-Schauspielschule in die Hand. Das Fach Puppenspiel klang nach
einer Mischung aus Jahrmarkt, Zigeunertum und Hochschulstudium. Eine Art
Universaldilettantentum. Das habe ich danach mit Studienkollegen am
Theaterhaus Jena praktiziert: Klassisches Theater und Puppenspiel.
Jena, Magdeburg -in Ihren drei bekanntesten Liedern besingen Sie Thüringen,
Brandenburg und Mecklenburg. Fällt Ihnen zum Westen der Republik nichts
ein?
Es würde mir schwer fallen, ein Lied über NRW zu schreiben oder über Köln.
Ich hab da keinen Bezug mehr zu. Aber Jena fand ich toll. Als ich zurück
nach Berlin zog, wollte ich eigentlich eine Berlin-Hymne schreiben...
...aus der dann eine Brandenburg-Hymne wurde, in der es heißt: "Es gibt
Länder, in denen richtig was los ist. Und es gibt Brandenburg." Wenn Berlin
in Ihren Liedern mal direkt vorkommt, etwa in "Castingallee" über die
Kastanienallee in Prenzlauer Berg, klingt das, als fänden Sie Berlin doof.
Irgendwie mag ich es schon. Dieses Krude, dass man sich hier nicht
begreift, dass immer alles so viel ist. Aber ich kann einfach nicht sagen:
Ich bin hier in Berlin! Total geil, Berlin! Ich habe immer nah der Grenze
gewohnt, mal im Wedding, mal weiter unten, immer an der Umbruchstelle. Um
die Kapelle der Versöhnung rum.
Daher auch der Name Ihrer Band?
Ja, ich bewege mich hier seit zehn Jahren, aber es ist mittlerweile alles
sehr schick und renoviert. Neulich habe ich mich mit einem Freund
gestritten, der sich gefreut hat, dass endlich mal die ganzen Freiflächen
wegkommen. Das mochte ich gerade, diese komischen Plätze, nicht überall
Einfamilienhäuser. Ein anderer Freund ist jetzt nach Rügen gezogen. In ein
ausgebautes Bauernhaus. Ich kann das nicht: Irgendwie ist es doch schön,
keinen wirklichen Ort zu haben.
Aber Sie wohnen immerhin seit 16 Jahren in Berlin.
Ja, aber richtig heimisch bin ich hier nicht. Ich bin ja fast nur weg.
Immerhin darf ich jetzt hier arbeiten, das macht schon was aus.
Sie singen: "Alle wollen nach Berlin, ich auch, ich auch." Sind Sie nun
endlich im Mainstream angekommen?
Ja, wo sollte ich auch sonst hin? Es ist doch auch schön, endlich mal
irgendwo dazu zu gehören, irgendwo dabei gewesen zu sein. Ich war nicht auf
der Love Parade, ich hab die im Fernsehen gesehen.
Aber jetzt sind Sie Teil des Comedy-Booms
Ja, stimmt, jetzt bin ich voll drin.
Aber so ganz glücklich wirken Sie dabei auch nicht.
Nee. Das liegt am "Katzeklo"-Effekt: Wie bei meinem Kollegen Helge
Schneider wollen alle nur noch den Hit hören. Früher dachte ich: Ich komm
auf die Bühne und mach was Neues, das Publikum ist überrascht. Jetzt kennen
die Zuschauer vieles aus dem Radio, fordern bestimmte Lieder und singen
mit. Das ist Gift. Im Theater ist das undenkbar: "Mach doch nochmal deinen
Faust-Monolog!"
Aber Ihr letztes Programm hieß doch "Volksmusik". Gehört denn da
Mitschunkeln nicht dazu?
Für mich ist Popmusik heute Volksmusik, Sätze wie "Wir sind gekommen, um zu
bleiben" von Wir sind Helden hat man dauernd im Ohr, das sind
Lutschformeln: Große Situationen, in einfachen Texten beschrieben, Lieder
für einen zersplitterten Alltag. Trotzdem: So richtig massenkompatibel,
dass es für "Wetten dass..?", Bild-Zeitung und Kai Diekmann taugt, werd ich
wohl nie.
INTERVIEW: NINA APIN & ANNE HAEMING
31 Mar 2008
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Schaubühne
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