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# taz.de -- Die Unmöglichkeit eines Olympia-Boykotts: Es geht ums Geschäft
> IOC und Fifa sind längst Großkonzerne. Und während die Politik die
> Wünsche der großen Verbände erfüllt, verbitten sich die Sportfunktionäre
> jede Einmischung.
Bild: Nicht zu stoppen: Olympia 2008.
Neulich hat sich Altbundeskanzler Helmut Schmidt bei einer Zigarette noch
einmal daran erinnert, wie es dazu kam, dass die Bundesrepublik Deutschland
die Olympischen Spiele 1980 in Moskau boykottierte. US-Präsident Jimmy
Carter habe ihn angerufen und gesagt, die Amerikaner würden nicht nach
Moskau fahren und "wir sollten das auch nicht machen". Schmidt, der nach
eigenem Bekunden kurz zuvor noch den Sportverbänden mitgeteilt hatte, dass
nichts für einen Boykott spreche, gab die neue Weisung weiter. Der Boykott
wurde beschlossen. Die Sportverbände führten aus, was die Politik vorgab.
Westdeutsche Sportler mussten den Spielen fernbleiben. Ganz einfach war das
1980.
Fragt man verantwortliche Politiker heutzutage, wie sie es mit einem
Olympiaboykott halten, machen sich die Gefragten ganz klein. Die Politik
habe das gar nicht zu entscheiden, sagte am Mittwoch Christoph Bergner, der
für Sport zuständige parlamentarische Staatssekretär im
Bundesinnenministerium. Nicht, dass sein Ministerium wegen der Unruhen in
Tibet und der chinesischen Reaktion darauf einen Boykott befürworten würde.
Aber man will sich nicht einmal in diese Entscheidung einmischen: Der Sport
sei autonom, der Staat könne bei einer derartigen Frage gar nicht mitreden,
meinte Bergner im Sportausschuss des Deutschen Bundestags. Die Politik
duckt sich - der Sport kann fast alles machen, was er will.
In der Tat hat sich der internationale Sport, allen voran das
Internationale Olympische Komitee (IOC), seit den Moskauer Boykottspielen
enorm gewandelt. 1980 war das IOC ein schwächelnder Altherrenklub, in dem
viel vom Frieden auf der Welt die Rede war, von der Kraft gesunder Körper
und der Liebe zum Sport. Profisport war verpönt. Es wurde dem Amateurstatus
gehuldigt. Und beinahe amateurhaft wurden auch die Geschäfte des Komitees
geführt.
1980, als der vormalige spanische Diplomat Juan Antonio Samaranch in Moskau
zum Präsidenten gewählt wurde, stand das IOC kurz vor dem Bankrott. Mehr
als ein Anlagevermögen von 2 Millionen US-Dollar war der Organisation nicht
geblieben, und auch das schien gefährdet. Die Außendarstellung des IOC war
erbärmlich. Es war leicht, politische Konflikte auf dem schwachen Rücken
der olympischen Bewegung auszutragen. Die Politik hatte Macht über den
Sport und nutzte diese Macht.
Heute ist das IOC ein überaus erfolgreich wirtschaftender Privatkonzern.
Bei den letzten Olympischen Sommerspielen in Athen erwirtschaftete es
Einnahmen von 4,1 Milliarden Dollar. Für die Spiele in Peking hat das IOC
allein für die Übertragungsrechte im Fernsehen 1,74 Milliarden Dollar
kassiert. Die zwölf Hauptsponsoren, darunter Coca-Cola, Samsung, Visa und
der chinesische Hardwareproduzent Lenovo, spülen weitere 866 Millionen
Dollar in die Kasse.
Längst geht es nicht mehr allein um das Veranstalten eines großen
Sportfestes, es geht ums Geschäft. Und die Interessen der Sponsoren haben
Vorrang vor allem anderen. Als es beispielsweise darum ging, den
Austragungsort für die Jubiläumsspiele 1996 zu vergeben, entschied sich das
IOC nicht für Athen, wo 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit
stattgefunden hatten, sondern für Atlanta - jene Stadt im Süden der USA, wo
Coca-Cola seine Zentrale hat. Das Wort von den "Coca-Cola-Spielen" machte
die Runde. Die IOC-Oberen zuckten darüber nur mit den Schultern und
organisieren weiter ihre Geschäfte, zum letzten Mal im Winter 2006 bei den
"Fiat-Spielen" in Turin.
Die Olympia-Funktionäre werden hofiert, wo immer sie hinkommen. Die
Bewerbungskampagnen der Städte, die sich um die Ausrichtung der Spiele
bewerben, umschmeicheln die Entscheider vom IOC nicht selten mit
Geldscheinen und einer luxuriösen Rundumversorgung während ihrer Besuche.
Das Bewerbungskomitee von Salt Lake City hat etliche IOC-Mitglieder
geschmiert. Als Gegenleistung erwartete man ein positives Votum der
Funktionäre. Es funktionierte. Salt Lake City erhielt den Zuschlag für die
Winterspiele 2002. Als der Skandal aufflog, war kurz von einer Krise des
IOC die Rede. Dort ergriff man zwar einige halbherzige Maßnahmen und
suspendierte sechs Mitglieder. Doch so richtig bange musste es den
Funktionären nicht werden.
Für die Bewerbungskampagnen möglicher Olympiastädte treiben die
Organisatoren Millionensummen auf - Sponsorengelder, aber auch
Steuergelder. Politiker schwadronieren von der Bedeutung der olympischen
Idee, betreiben damit aber nichts anderes als Standortpolitik. Sie geben
Geld aus, damit sich ein internationaler Großkonzern für die Zeit der
Wettkämpfe in ihrem Land oder in ihrer Stadt niederlässt. Auch sie denken
an den ökonomischen Nutzen, den die Spiele bringen.
Um den wichtigen Herren im IOC zu gefallen, werden sogar eigens Gesetze
verabschiedet. Als sich Leipzig aufmachte, Bewerberstadt für die
Sommerspiele 2012 zu werden, beschloss der Bundestag ein Gesetz, das die
Verwendung der Olympischen Ringe und des Begriffs Olympia unter einen
besonderen Markenschutz stellte.
Das sogenannte Olympiagesetz ist kein Einzelfall. Die Politik kuscht
regelmäßig vor den mächtigen Sportorganisationen. Als der
Weltfußballverband Fifa 1999 die hohen Steuern bemängelte, die bei der WM
2006 in Deutschland fällig gewesen wären, wurde prompt ein Steuererlass
gewährt. Sponsoreneinnahmen und TV-Gelder flossen steuerfrei an den
Fußballverband.
Inzwischen lässt sich der Staat regelrecht erpressen. Jahrelang war kein
deutsches Stadion von der Europäischen Fußballunion (UEFA) für ein Endspiel
eines Europapokal-Wettbewerbs ausgewählt worden. Darüber müsse man sich
nicht wundern, hieß es bei der UEFA, dem Deutschen Fußball-Bund und den
Stadionbetreibern. Kaum beschloss der Bundestag vor ein paar Wochen eine
Regelung zur Steuerbefreiung, erhielt Hamburg Ende März den Zuschlag für
das UEFA-Cup-Finale 2010.
Während die Politik regelmäßig den Wünschen der großen Sportorganisationen
nachkommt, verbitten sie sich jede Einmischung staatlicher Stellen in die
Autonomie des Sports. Die Fifa droht jedem Verband mit dem Ausschluss, der
sich von der Politik ins Alltagsgeschäft hineinreden lässt. Als der
spanische Sportrat Mitte Februar beschloss, dass alle Sportverbände, die
sich nicht für Olympia qualifiziert haben, eine neue Führung wählen sollen,
was auch den Fußballpräsidenten Ángel María Villar betroffen hätte, meldete
sich flugs Fifa-Präsident Sepp Blatter aus Zürich und drohte dem Verband
mit einem Ausschluss von der bevorstehenden Europameisterschaft. Damit ja
niemand auf die Idee käme, dies für eine leere Drohung zu halten, fügte er
hinzu: "Wir sind mächtiger als die UNO."
Das Hohelied auf die Autonomie des Sports wird längst auch von der Politik
angestimmt. Flehend schaut man auf die Fifa und das IOC und hofft auf das
Wohlwollen, darauf, dass die Hohepriester des Sports Segnungen verteilen
und dereinst Wettbewerbe in ihrem Land ausrichten mögen. Staatssekretär
Bergner und andere Politiker tun so, als hätten sie in der Frage eines
Boykotts keine Einflussmöglichkeiten.
Dabei ist ein Großteil des Leistungssports von der staatlichen Förderung
abhängig. Allein in Deutschland kassiert der Leistungssport in diesem Jahr
180 Millionen Euro Steuergelder. Doch dieses potenzielle Druckmittel wird
nicht eingesetzt, weil es sich niemand mit dem IOC verderben will. Mit
München will sich Deutschland um die Winterspiele 2018 bewerben. Da braucht
es einen "nationalen Schulterschluss von Sport, Politik und Wirtschaft",
sagt der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Es geht um
die zeitweise Ansiedlung eines Konzerns. Es geht ums Geschäft. Ein
Olympiaboykott wäre geschäftsschädigend.
11 Apr 2008
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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