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# taz.de -- Mathe trifft Kunst in Wien: Magische Quadrate
> Wie mathematische Fragestellungen die Avantgarden des 20. Jahrhunderts
> beeinflusst haben: "Genau+anders" im Museum Moderner Kunst, Stiftung
> Ludwig, Wien
Bild: Menschen und Quadrate im Museum Moderner Kunst
Während in Deutschland das Wissenschaftsjahr der Mathematik ausgerufen
wurde, gibt im südlichen Nachbarland diese Königsdisziplin Anlass für eine
groß angelegte Kunstausstellung im Museum Moderner Kunst in Wien. Weniger
die Relevanz ästhetischer Prinzipien oder kreativer Vorgehensweisen für die
mathematische Forschung als vielmehr die umgekehrte Beeinflussung der
bildenden Kunst durch die Wissenschaft stehen im Vordergrund der Schau,
wobei die im Titel anklingende Chronologie jedoch eher in die Irre führt,
beschränkt sich die Bestandsaufnahme doch primär auf einige, freilich
bedeutende Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts.
Am Beginn des Parcours allerdings besinnt man sich recht eingehend auf den
berühmten Stich "Melencolia I" (1514) von Albrecht Dürer, in dem der
Künstler als Universalgelehrter auch als der paradigmatische Vertreter der
ohne Übertreibung als revolutionär zu bezeichnenden neuzeitlichen
Erforschung der Zentralperspektive auftritt. Und so steht eingangs also
jene grübelnde, in introvertierter Haltung sitzende Figur mit den für ihren
mächtigen Körper unproportional kleinen Flügeln, die von allerlei
wundersamem Werkzeug flankiert ist. Sie stimmt ein, in jene Form der
Vertiefung, die ganz vom gedanklichen Experiment getragen wird, kaum aber
von unmittelbaren Sinneseindrücken. Just dieser Umstand garantiert nun den
Reiz dieser Schau, handelt es sich bei der Zusammenführung von Mathematik
und Kunst doch um eine durchaus kontrastreiche Gegenüberstellung.
Erfreulicherweise wurde es vermieden, die Artefakte auf eine bloße
Illustration rechnerischer Phänomene zu reduzieren. Manche Zusammenstellung
oder auch die Hängung wirken allerdings mitunter etwas unscharf. So
erscheinen die Kinobilder von Hiroshi Sugimoto oder eine übereck gestellte
Spiegelkonstruktion von Michelangelo Pistoletto als Beiträge zum Thema
Unendlichkeit doch arg platt. Anregender ist da schon die manische Seite
der Beschäftigung mit Zahlen: Die (Lebens-)Werke von Hanne Darboven, On
Kawara und Roman Opalka legen in ihrer ungeheuerlichen Rigorosität Zeugnis
ab für ein geradezu existenzielles Bedürfnis nach Ordnung und Systematik,
die, wenn auch hermetisch, mit ihrer Intensität beeindrucken.
Der Großteil der über 300 gezeigten Arbeiten aber lässt sich auf eine
Auseinandersetzung mit einem geometrischen Formenvokabular zurückführen.
Natürlich bildet das Quadrat hierbei einen Schwerpunkt, innerhalb dessen
von Kasimir Malewitsch über Bruce Nauman bis hin zu Peter Weibel implizit
eine Art Genealogie vorgeschlagen wird. Ebenso unverzichtbar wie kaum
überraschend ist die Minimal Art mit ihren raumgreifenden, jede
Abbildungsfunktion negierenden und dafür völlig in der Objekthaftigkeit
verbleibenden Werken von Carl Andre, Donald Judd oder Sol LeWitt vertreten.
Spannend wird die Ausstellung dort, wo dem nach wie vor weniger bekannten
Oeuvre von Ruth Vollmer auffallend viel Raum gewidmet wird. Ihr
künstlerischer Ansatz speist sich aus einer profunden Auseinandersetzung
etwa mit der Riemannschen Vermutung, einem der bedeutendsten ungelösten
Probleme der Mathematik, oder auch vormodernen mathematischen
Vorstellungen. Ein weiteres Beispiel für einen tatsächlich
interdisziplinären Diskurs liefern die nicht minder eindrucksvollen,
farbenprächtigen Rasterbilder von Vertretern der Konkreten Kunst wie Theo
van Doesburg, Johannes Itten oder Richard Paul Lohse, die sich der Malerei
mathematisch, nämlich "mit den Mitteln des Denkens" nähern.
Ein kleiner kuratorischer Coup gelingt dieser Schau mit einem Rekurs auf
eine surrealistische Ausstellung von 1936, bei der "Objets Mathématiques",
modellhafte Übersetzungen von Formeln ins Dreidimensionale, gezeigt wurden,
die Man Ray und Max Ernst im Pariser Institut Poincaré entdeckt hatten. In
Wien nun werden ähnlich große Plastiken von Vollmer, Kurt Schwitters oder
Max Bill in egalitärer Weise mit Objekten aus den Beständen
naturwissenschaftlicher Institute in einer Vitrine arrangiert und so in
Dialog gesetzt. Anhand der in unmittelbarer Nachbarschaft aufgestellten
konstruktivistischen Arbeiten der Brüder Naum Gabo und Antoine Pevsner
(etwa "Konstruktion für einen Flughafen", 1934) lässt sich darüber hinaus
das bis in utopische Sphären reichende Potenzial solcher vom Abstrakten
ausgehenden Formexperimente vorstellen, so wie Robert Musil den
Mathematiker dachte als "eine Analogie für den geistigen Menschen, der
kommen wird". Angesichts der gebotenen Fülle an heterogenen Positionen
bleibt letztlich die Einsicht, dass nicht nur der künstlerische Umgang mit
mathematischen Fragestellungen von einer mitunter geradezu kryptischen
Sinnlichkeit ist, sondern selbst für diese ungemein exakte Wissenschaft
fernab der Empirie Gleiches gelten kann.
17 Apr 2008
## AUTOREN
Naoko Kaltschmidt
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
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