# taz.de -- Medienwunder Rainer Langhans: "Wir haben gewonnen" | |
> Warum kommt Rainer Langhans immer mit den Themen an die Öffentlichkeit, | |
> die nicht besonders spannend sind? Er sagt: Weil man ihn immer danach | |
> fragt. | |
Bild: In der Kommune 1 war er für das Dichten von Slogans zuständig: Rainer L… | |
Nach vielen Jahren trafen sich Mitglieder der Kommune 1 im letzten Sommer | |
erstmals wieder. Das Geld hatte sie aus ihren Löchern gelockt. Der Spiegel | |
war bereit, für ein gemeinsames Foto zu bezahlen. Aparterweise auf einem | |
Berliner Friedhof. 1.000 Euro pro Exkommunarde. Danach ging man in ein | |
Lokal und versuchte zu kommunizieren. | |
"Dieter", sagte Rainer Langhans zum Exkommunarden Kunzelmann, "du warst | |
doch immer der Chef, setz dich an den Kopf des Tisches." | |
"Bist du verrückt", habe Kunzelmann geantwortet, "ich setz mich doch nicht | |
mit dem Rücken zum Fenster. Da können die mich doch von hinten erschießen." | |
Wirklich traurig, depressiv und superprekär seien diese Menschen, die 1967 | |
mit Langhans die Berliner K 1 gründeten, um neue und bessere Formen des | |
Lebens und Zusammenlebens zu erkunden und damit nachhaltigen Einfluss auf | |
die westdeutsche Gesellschaft, Mediengesellschaft und Identitätsbildung zu | |
nehmen. Spiegel-Mann Matthias Matussek zählte Ulrich Enzensberger die | |
Scheine in die Hand, der kranke Fritz Teufel lachte in sich hinein, dann | |
waren sie wieder weg. "Wie Dealer auf dem Friedhof", sagt Langhans. Mit | |
Matussek redete nur einer: er. | |
Es ist ein richtig schöner Tag in München. Wir sitzen auf einer Bank im | |
Luitpoldpark, ein paar Schritte entfernt von Langhans Schwabinger Wohnung. | |
Er, sagt Langhans, habe Kunzelmann unter anderem gefragt, wie das nun war | |
mit der Bombe, die 1969 am Jüdischen Gemeindehaus in Berlin gelegt wurde. | |
"Oh", habe der gesagt, und dass er öffentlich nicht drüber sprechen wolle. | |
"Wir konnten kaum miteinander reden, großes Misstrauen mir gegenüber, weil | |
ich ja eine Medienhure bin, die dieses Zeug von ihnen verramscht." Langhans | |
hatte den Eindruck, dass seine ehemaligen Freunde "nicht mehr richtig | |
leben". Irgendwie, sagt Langhans, seien sie mittlerweile "fast wie ihre | |
Nazi-Eltern". Sie verweigerten das Gespräch darüber, was sie damals gemacht | |
haben. | |
Seine These ist, dass sie 40 Jahre nach 1968 so traurig sind, weil sie den | |
anderen und sich selbst nicht vergeben können, verloren zu haben, sogar die | |
Welt noch schlimmer gemacht zu haben. Er sieht das Gegenteil: "Wir haben | |
gewonnen, wir wissen es nur noch nicht." Das Missverständnis über 1968 ist | |
Folgendes: "Wir dachten damals, wir seien nur links", sagt Langhans. "Dabei | |
war 1968 eine spirituelle Bewegung." | |
Auf der Leipziger Buchmesse ist Sex das größte Thema, 1968 das zweitgrößte. | |
Es ist nur konsequent, dass Langhans nach der Fernsehmoderatorin und | |
Neu-Schriftstellerin Charlotte Roche das größte Publikum zieht. Eigentlich | |
hatte er ein 500-Seiten-Manuskript geschrieben, aber der Blumenbar-Verleger | |
Wolfgang Farkas warf es in den Papierkorb und ließ ihn Kassetten | |
besprechen. Langhans gibt sich hin und wieder ein bisschen gekränkt, dass | |
dem Vorurteil Nahrung gegeben wird, er könne eigentlich nicht schreiben. | |
Herausgekommen ist: "Ich bins". Langhans nennt es eine "geistige | |
Biografie", deren vermeintliche Schwäche vielleicht ihre Stärke ist: Sie | |
richtet sich nicht an den Inner Circle oder das Feuilleton, sondern ist | |
einfach aufgeschrieben, weist über den 68er-Schlussverkauf dieses Jahres | |
hinaus und möchte deutlich spürbar Nachgeborene erreichen. | |
Auf einem blauen Sofa erklärt er in Leipzig den Unterschied zwischen der | |
von Rudi Dutschke angeführten politischen Studentenbewegung und den | |
ungleich größeren, weil menschlicheren Zielen der Kommune: "Uns war es | |
nicht genug, so ein bisschen die Produktionsverhältnisse zu ändern." Er | |
redet vom Pudding-Attentat auf US-Vizepräsident Hubert H. Humphrey, über | |
seinen "Freund", den RAF-Anführer Andreas Baader ("Baby Baader war unser | |
Schüler") und auf Nachfrage auch über seine Exfreundin Uschi Obermaier, die | |
er einst als Prototyp des natürlichen "Neuen Menschen" gegen Che Guevaras | |
Modell der Umerziehung positionierte. | |
Selbstverständlich geht es auch um den Sinn der Vermeidung des | |
Samenergusses, ein weiterer Langhans-Klassiker. Sämtliche Frauen hätten es | |
gar nicht toll gefunden, dass er ihnen den Samen konsequent verweigert | |
habe. Der Andrang wird immer größer. Die Emotion im Publikum auch. | |
Irgendwann kommt die Stelle, an der Langhans sagt: "Es gibt etwas viel | |
Higheres als Orgasmen." | |
Die Moderatorin (tut neugierig): "Aber was ist das denn?" | |
Langhans (betont): "Der Geist." | |
Ein Mann im Publikum (kopfschüttelnd): "Verrückt." | |
So scheint es stets zu sein, wenn Langhans vor größerem Publikum auftritt. | |
Man hält ihn für einen Kasper. Die interessanten Sachen gehen unter. | |
Selbstverständlich muss man nicht weit fahren oder viel telefonieren, um | |
jemand zu finden, der Langhans für einen notorischen Schwätzer hält. Er sei | |
einer, der nichts auf die Reihe gekriegt habe, sagt einer. Der, wo immer er | |
hinkomme, nach fünf Minuten anfange zu nerven. Einer, dessen öffentliche | |
Wahrnehmung als Symbol der Außerparlamentarischen Opposition der späten | |
Sechziger falsch oder zumindest übertrieben sei. Dessen Sex- und | |
Haremgeschichten einen hohen Peinlichkeitsgrad hätten. "Dieser Witzbold da, | |
den wir damals immer für ein Mädchen gehalten haben", nennt ihn der | |
Regisseur und Zeitzeuge Klaus Lemke ("Brandstifter"). Die Nacktbilder der | |
Kommune, die provozieren sollten, hätten ausgesehen "wie frisch aus dem | |
KZ". Überhaupt sei "beim Frauenarzt mehr gelacht worden als in der | |
Kommune". In den späten Achtzigern hat Langhans Adolf Hitler als | |
"spirituellen Sinnsucher" besetzen wollen und wurde dafür von der moralisch | |
empörten Linken als "esoterischer Faschist" gebrandmarkt. 1985 schrieb er | |
in der taz über die Grünen, sie entwickelten sich "inhaltlich nach dem | |
gleichen Muster wie die Nazis". Langhans, sagt sein Verleger Farkas, "ist | |
ein Mensch, der Extreme vereint. Er ist eigensinnig und offenherzig, | |
befremdlich und liebenswürdig, verschroben und sexy zugleich." | |
Langhans hatte schon vor vierzig Jahren die Idee, einen "Popkonzern" zu | |
gründen. "Popkapitalismus", das sei "eine politische Überlegung" gewesen. | |
Nämlich: "Den Leuten mit dem ihnen viel vertrauteren Geld statt mit Waffen | |
beizubiegen, dass man besser leben kann." War nach dem Scheitern der | |
Bewegung sein Ansatz der Kommune: Wir verkaufen, was wir leben, der | |
Gesellschaft - zu deren Wohl. Aus dem Popkonzern wurde bis heute nichts. Es | |
war aber ein weiterer Grund, warum er wegen angeblichem Ausverkauf der | |
Revolte als "Verräter" aus der linken Gemeinschaft ausgestoßen wurde. Es | |
ist schon mehr als eine Ironie der Geschichte, dass er heute nicht in einer | |
Villa in Berlin-Zehlendorf lebt, dass er nicht um die Welt jettet, und | |
eigentlich kaum etwas verkauft, sieht man von seinen Persönlichkeitsrechten | |
am letztjährigen Obermaier-Film "Das wilde Leben" ab und jetzt dieser | |
Autobiografie sowie dem Fotoband "K 1 - Das Bilderbuch der Kommune", den er | |
mit seiner langjährigen Vertrauten Christa Ritter herausgegeben hat. | |
Er lebt seit Mitte der 70er in einem 29-Quadratmeter-Apartment in | |
Schwabing. Allein. | |
"Seine" fünf Frauen, der sogenannte Harem, sind eine Gruppe, die sich seit | |
mehr als 35 Jahren regelmäßig trifft und aktuelle Themen debattiert, vor | |
allem aber sich nachhaltig selbst analysiert. Langhans Erfahrung: Frauen | |
scheinen eher bereit, die innere Welt wichtig zu nehmen, Männer dagegen | |
eher nicht. Außerdem wollten die Frauen nicht zu viele Männer, um nicht in | |
eine Art Duldungsstarre zu verfallen. Deshalb seien außer ihm keine anderen | |
Männer in der Gruppe. Männer sind allerdings auch schnell genervt von | |
Langhans und neigen dazu, das für "Geschwätz" zu halten, was er sehr ernst | |
die "Arbeit" einer "Sinnsuchergemeinschaft" nennt. Ist er die Vaterfigur | |
oder der Lehrer der Frauen? Nein, sagt er, er sei ja selbst Schüler. "Ein | |
Mann für mehrere Frauen", formuliert er in seinem Buch, "ist ein Mann in | |
einer sehr abgeschwächten Form", also ein besserer Mann. Gab es auf der | |
"körperlichen Triebebene" Bedürfnisse nach "herkömmlichem Sex", dann holten | |
sich seine Frauen dafür temporär einen schwachen Mann: einen "Lakaien". Die | |
Lakaien sehen das selbstverständlich anders. | |
Langhans wird im Juni 68, er kriegt 190 Euro Rente: Er war Anfang der 60er | |
Zeitsoldat. Und als er in den späten Siebzigern Regieassistent von Rainer | |
Werner Fassbinder war, hat er in die Künstlersozialkasse eingezahlt. Hat | |
keine Rücklagen. Wenn er Zahnweh hat, geht er in die Zahnklinik, in der | |
Zahnmedizinstudenten sich ausprobieren. | |
Lebt er so, weil er kein Geld hat, kein Geld will oder hat er kein Geld, | |
weil er so lebt? "Einerseits habe ich nicht viel getan, um in dieser Welt | |
diese Spiele mitzumachen. Deswegen lebe ich auf einem so niederen Level. | |
Aber ich will es auch nicht." Als Konsument sei er eine Katastrophe. Sein | |
Rainer-Langhans-Outfit lässt er sich aus Indien mitbringen. Trägt die | |
Sachen, bis sie auseinanderfallen. Geht kaum aus. Tägliche Wege legt er zu | |
Fuß oder mit seinem Fahrrad zurück. Er gehe, sagen Menschen, die ihn | |
kennen, auch nicht ins Café. Er liest täglich mehrere Zeitungen. In der | |
Bibliothek und im Netz. Manchmal spielt er Tennis oder Squash. "2,50 Euro, | |
da ist dann aber auch die Sauna drin." Ansonsten gilt: "Ich konsumiere | |
nichts, außer so ein bisschen essen. Biologisch. Vegetarisch." | |
Ist er Öko? "Natürlich." Kein Fleisch, kein Fisch, keine Eier. Das letzte | |
Huhn hat er vor 35 Jahren gegessen. "Das ist erst mal die gröbste Form von | |
Gewaltlosigkeit." Gewalt verrohe, auch Gewalt gegenüber Tieren und | |
Pflanzen, und falle auf einen selbst zurück. Zum Beispiel: Wer Pflanzen | |
vergifte und sie dann esse, vergifte auch sich selbst. Das sei aber | |
lediglich ein Nebenthema. "Wenn du versuchst menschlicher oder geistiger zu | |
werden, wirst du selbstverständlich ökologischer." Sein Ziel ist es, "so | |
wenig körperlich und so wenig materiell wie möglich in dieser Welt | |
vorzukommen". Erst dadurch könne sich der Geist entfalten. Zudem sei das | |
gut für den Körper. Der alternde Körper werde nicht zuletzt dadurch krank, | |
weil man glaube, ihm die alten hedonistischen Anstrengungen zumuten zu | |
müssen. Es gehe darum, die alten Genusstechniken durch neue zu ersetzen. | |
Zum Beispiel: Viel essen durch weniger essen. | |
Zudem ist er Trendsetter. Die Gesellschaft bewege sich, auch durch Verlust | |
der Arbeit und Verarmung, gezwungenermaßen weg vom Materiellen hin zum | |
Geistigen. Er, Langhans, verstehe es als "Luxus", dass er wenig Dinge habe, | |
die er zunächst besorgen, dann bedienen, pflegen, schön finden und wieder | |
entsorgen müsse. | |
Im Prinzip sei das Zurückdrängen des Körpers auch ein Teil der | |
68er-Bewegung, nur brauchte man damals Drogen oder Demonstrationen dazu, um | |
den Geist freizulegen, also "zeitweilige Vergiftung oder Begeisterung". | |
"Es geht darum, dass wir verstehen, dass wir nicht der Körper sind, sondern | |
eigentlich Geist. Den Körper haben wir nur für eine bestimmte Zeit und | |
bestimmte Aufgaben." Es geht um die Beschäftigung mit sich, die politisch | |
sei - und von den meisten durch Ausweichbewegungen (Konsum, Beziehungen, | |
Beruf, Kinder) vermieden werde. | |
Selbstverständlich ist Langhans Leben seit den mittleren Siebzigern besser | |
zu verstehen, wenn man weiß, dass er nach dem Ende der Bewegung und | |
Aufregung die damals häufig folgende schwere Lebens- und Sinnkrise hatte - | |
und diese mit Hilfe eines Meisters überwand, des indischen Gurus Kirpal | |
Singh. Er begleitete ihn in seiner materiellen Form auf seiner letzten | |
Weltreise durch Europa. Bald darauf verließ der Meister den Körper. | |
Langhans sagt: "Ich wäre auch nicht mehr im Körper, wenn ich nicht diesen | |
Weg gefunden hätte." Es sei der Weg des Spirituellen, den der Osten kennt | |
und den der Westen verlernt hätte zu sehen, "durch dieses: Ihr seid alle | |
erlöst, weil einer mal vor 2.000 Jahren was gemacht hat und braucht also | |
nichts mehr zu tun in dieser Richtung." Das habe er "denen" mal verdammt | |
übel genommen, "aber inzwischen sage ich: okay." | |
Man hat manches, was Langhans sagt, schon gelesen bei der | |
Gesprächsvorbereitung, im Buch oder anderswo und gedacht: Na ja. Aber wie | |
er da so unaufgeregt, fast beiläufig redet, klingt es überhaupt nicht | |
wichtigpopichtig und auch nicht verrückt. | |
Zum Beispiel, wenn er sagt: Geistig werden heißt jünger werden, weil man | |
dann weniger alternder Körper ist. Langhans sagt, er übe sich darin, "immer | |
weniger im Körper zu sein, bevor er mich wirklich verlässt". | |
Übersetzungsversuch: Er ist bereits vor dem Tod ins jenseitige Leben | |
aufgebrochen, und das kommt richtig gut. Der Grundirrtum besteht für ihn | |
darin, dass die Energie der Leute häufig komplett in den Versuch mündet, | |
"körperlich bleiben zu wollen", also Anti-Aging mit allen Mitteln statt | |
sich weiterzuentwickeln. Wenn man ihn richtig versteht, hat Langhans 1968 | |
die gute Jugend erfunden und ist 2008 dabei, auch das gute Alter zu | |
erfinden - oder zumindest intensiv zu suchen. | |
Der Sonne folgend, wechselt Langhans an diesem Nachmittag im Luitpoldpark | |
von Parkbank zu Parkbank. Einmal geht eine Frau vorbei, so Anfang 60. Sieht | |
seine Locken, seine weißen Kleider. Bleibt stehen, kommt zurück, lächelt | |
und sagt dann: "Darf ich fragen, wie Sie heißen?" | |
"Rainer Langhans", sagt Rainer Langhans freundlich. | |
Darauf sie: "Ah. Sogar im Bayerischen Wald kennt man Sie." | |
Ein anderes Mal bleibt eine Frau stehen, auch so Anfang 60, und sagt - ohne | |
sich vorzustellen: "Es war schön. Aber damals waren wir jung." Dann geht | |
sie weiter. Langhans lächelt. | |
Warum kommt Rainer Langhans immer mit den Themen an die Öffentlichkeit, die | |
nicht besonders spannend sind? Er sagt: Weil man ihn immer danach fragt. | |
Wie war das mit Uschi? Was läuft im Harem? Wie ist das mit dem Samenerguss? | |
Unlängst widmete Springers Bild sich wieder dem Thema. Sein Verleger habe | |
zum Interview geraten. "Mit der Überlegung: Spermablatt, die interessieren | |
sich dafür." Taten sie auch. Langhans kriegte eine Dreiviertelseite. Aber: | |
"Ich habe schon während des Gesprächs gemerkt, dass das nichts wird. Da | |
habe ich gesagt: Lassen Sie das lieber, Sie bringen das nicht." Es war dann | |
im Prinzip eine Statistik, auf der man die Entwicklung von Langhans | |
Ejakulationen pro Jahr seit den Siebzigern verfolgen konnte. "Es war | |
schlecht. Aber es hätte gut werden können." | |
Langhans, das merkt man schnell, ist das, was man im Mediengeschäft einen | |
Blattmacher nennt. Das war eine Stärke der Kommune: das Blattmachen, das | |
Inszenieren, das Dichten von Slogans. Zusammen mit dem Stern war man ein | |
kongeniales Team. Die Journalisten kamen und fragten: "Könnte man | |
vielleicht sagen, dass wer zweimal mit derselben pennt, schon zum | |
Establishment gehört?" Könnte man, brummten die Kommunarden. Sagen kann man | |
viel. | |
So wird Geschichte gemacht. | |
Den Kommunen-Jahrestag letzten Sommer hatte der Spiegel mit seiner | |
Mitarbeit als Titelgeschichte geplant. Das Titelblatt war auch schon | |
fertig, doch dann "haben uns die RAFs noch abgefangen, auf den letzten | |
Metern, wieder einmal, immer wieder: Diese negative Schattengeschichte | |
fängt das Licht ab." Er hatte mit dem damaligen Spiegel-Chef Stefan Aust | |
geredet, weil der ihn für seinen ARD-Mehrteiler über die RAF interviewen | |
wollte. | |
"Stefan, du bist doch der RAF-Experte. Überleg doch mal, woher dieser | |
faszinierende Schatten kommt, vor dem ihr alle in die Knie geht, vor allem | |
die alten 68er." | |
Aust wusste es nicht. | |
"Dieser tiefe Schatten kommt von einem starken Licht." Das Licht war das | |
eigentliche 1968. Daraufhin habe Aust ihm gesagt, dass er sich das so noch | |
nie überlegt habe, es aber irgendwie stimme. Er machte dann doch den | |
RAF-Titel, weil gerade die Entlassung zweier langjähriger RAF-Häftlinge | |
anstand. Langhans These ist: Man muss auf das Licht schauen, wenn man | |
seinen Schatten verstehen will. "Das ist auch ein Punkt bei dieser | |
Hitlerei." | |
Falls die These stimmte, dass 1968 gewonnen hat, aber nicht als politische | |
Idee, sondern als Pop, dann wäre der nachhaltig wirkende Kitzel der | |
Oberflächen-Opern RAF und Obermaier doch nur konsequent; dann hätte der | |
Sieger Langhans sich selbst geschlagen. "Wieso? Finde ich nicht. Pop ist | |
für mich nie nur Oberfläche, sondern immer Hinweis auf einen tieferen Kern. | |
Aber das Bewusstsein braucht vielleicht jahrzehntelang Pop, bis es sagen | |
kann: Da steckt etwas Tieferes dahinter." | |
Rainer Langhans kann man praktisch alles fragen. Das sei das Erbe von 68. | |
Er ziert sich nicht, taktiert nicht, weicht nicht aus, kokettiert kaum. | |
Sind Sie glücklich, Herr Langhans? | |
"Ja. Ich bin noch nicht großartig glücklich. Aber ich bin glücklicher denn | |
je in meinem Leben, weil ich mir näher gekommen bin, als ich das je vorher | |
war. Mit meinen schwachen Kräften und dürftigen Bemühungen, die ich da | |
aufbringen kann. Dass man das kann, dass man von einer so großen Entfernung | |
sich so nahekommen kann, das hätte ich nicht für möglich gehalten." | |
Langhans These ist, dass die Entfernung, die mancher zur Welt zu haben | |
glaubt, letztlich die deprimierend endlose Entfernung zu sich selbst ist. | |
Es heißt, er habe keinen Funken Humor. Aber er lacht oft. Er schwärmt | |
bewusst naiv von Google. Er lehnt die Vorstellung von Gegenkultur ab, die | |
1968 folgte, weil man sich in Nischen zurückzog und damit den Anspruch | |
aufgegeben habe, "dass eine bessere Welt für alle möglich ist". Er glaubt | |
allerdings auch nicht, dass die materielle Welt so zu verändern ist, "dass | |
wir glücklich sind". Er sieht das Internet als geistige Welt und die | |
heutige Kommune, weil alle drin sein können. Er hofft, dass man lernen | |
kann, darin gut zu leben - und dadurch auch in der realen Welt. Er sieht | |
die Schere zwischen Reich und Arm größer werden, aber er glaubt, dass es | |
eine dominantere Entwicklung gibt, und das ist für ihn die Abkehr von der | |
westlichen Welt und "diesem ganzen alten, materiellen Scheiß. Der doch nur | |
unglücklich macht. Wir werden ärmer, und das ist gut für den Geist." | |
Er glaubt darüber hinaus an geistige Vererbung. Davon redet Langhans | |
allerdings stets im Konjunktiv. Reinkarnation sei schließlich "ein mentales | |
Konstrukt", das er nicht überprüfen könne. Er sagt: "Wenn ich einen | |
erweiterten Vererbungsbegriff in diese materielle Welt einführe, die nicht | |
sieht, dass es geistige Vererbung gibt, dann wäre es unmittelbar | |
verständlich, dass die Menschen sich angezogen fühlen von schöneren | |
Schicksalen, die aber bereits vor diesem Leben existierten." | |
Nehmen wir Uschi Obermaier. Sie war die schönste Frau der Welt und hatte | |
den wunderbarsten Körper der Welt. Das war so gedacht kein Zufall, sondern | |
Folge der Vererbung einer mentalen Situation. Er liebte also viel mehr als | |
die Oberfläche. Andererseits konnte gerade Obermaier vom Körperlichen nicht | |
loslassen. "Sie war die schönste und größte Liebesmöglichkeit, die man in | |
dieser Art von Welt haben kann." Aber: "Es hat mir einfach nicht gereicht." | |
Irgendwann kam ihm die Erkenntnis: "Große Liebe ist nicht im Körper | |
möglich." Anders gedacht: "Romeo und Julia. Uraltes Ding. Wenn du die große | |
Liebe willst, musst du aus dem Körper raus." So wie er die | |
Projektionsfläche Obermaier weiterentwickelt hat, ist sie kein Sexsymbol, | |
sondern ein Nachdenksymbol. | |
Später geht Langhans schnellen Schritts bei Rot über die Herzogstraße. Eine | |
Frau schreit redlich empört: "Sehen Sie nicht, dass hier Kinder stehen!" Er | |
dreht sich nicht um. Warum tut er das? "Weil ich es kann. Und sie nicht. | |
Sie brauchen nicht jedem Erwachsenen alles nachzumachen." | |
Das Beste an einem Gespräch mit Rainer Langhans ist, dass man danach klarer | |
sieht: dass Dinge auch anders sein können. Dass Ficken überschätzt wird. | |
Dass man der Sonne folgen muss, damit man nicht friert. Dass man jünger und | |
besser werden kann, wenn man nachdenkt. Dass man bei Rot über die Ampel | |
gehen kann, obwohl Kinder dabeistehen. Dass man menschlicher wird, wenn man | |
ökologischer lebt. Vor allem aber: dass die Revolution nicht anfängt, wenn | |
man sie nicht bei sich selbst beginnt. | |
19 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
68er | |
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