# taz.de -- Bundestag billigt neuen EU-Vertrag: Ja zur kleinen EU-Verfassung | |
> Donnerstag stimmte der Bundestag dem Lissabon-Vertrag zu - in dem Wissen, | |
> dass er die "zweitbeste Lösung" ist. Linke und Rechte wettern gegen die | |
> neue EU. | |
Bild: Berlin kann künftig aktiver Einfluss auf Brüsseler Politik nehmen. | |
Plötzlich wurde es noch mal richtig aufregend und laut. Am | |
Donnerstagvormittag sollte der Bundestag den Lissabon-Vertrag | |
verabschieden, das ist so etwas wie die abgespeckte Variante der | |
EU-Verfassung. Niemand hatte mit größerem Widerspruch gerechnet. Doch | |
plötzlich wetterte der ehemalige Unions-Rechtsaußen Harry Nitzsche los. | |
Der Vertrag sei ein "neues Ermächtigungsgesetz" sagte Nitzsche, ein aus der | |
Unionsfraktion ausgeschlossener Abgeordneter. So wollte er das Vertragswerk | |
mit der Beseitigung der Demokratie durch die Nationalsozialisten im Jahre | |
1933 auf eine Stufe stellen. Das Parlament protestierte genau wie | |
Präsidentin Susanne Kastner, die Nitzsches Aussagen undemokratisch nannte. | |
So weit wie Nitzsche wollte Lothar Bisky nicht gehen. Aber auch er machte | |
mit markigen Worten gegen den Vertrag mobil. Die EU leiste "Beihilfe zum | |
Sozialdumping, sagte der Parteichef der Linken. Er verpflichte die | |
Mitgliedstaaten der EU zu "ständiger Aufrüstung" und sei eine Ermutigung zu | |
militärischen Interventionen. | |
Die 515 Abgeordneten, die zustimmten, waren sich in ihrem Lob recht einig. | |
Europa werde stärker (Angela Merkel), Europa bekomme mehr Bürgerrechte | |
(Kurt Beck), Europa werde "demokratischer" (Jürgen Trittin), hieß es. Am | |
nächsten war vielleicht FDP-Chef Guido Westerwelle dran. Er sagte mit Blick | |
auf die gescheiterte Verfassung: "Wenn man das Beste nicht erreichen kann", | |
müsse man das "Zweitbeste machen". | |
In der Tat wurde statt einer lesbaren, bürgernahen Verfassung lediglich ein | |
"Änderungsvertrag" zum Nizzavertrag beschlossen, den selbst Experten kaum | |
verstehen. Er wurde in langen Gipfelnächten hinter verschlossenen Türen | |
ausgehandelt. Auch die größten Europa-Enthusiasten wollen von dem Thema | |
nichts mehr hören. Und da die irische Verfassung ein Referendum zwingend | |
vorschreibt, könnte nach einem negativen Votum der irischen Bürger am 12. | |
Juni alles doch wieder von vorn beginnen. | |
Stimmen die Iren mit Ja, kommt die EU künftig zumindest in ihren | |
Alltagsgeschäft rascher voran. Einstimmigkeit ist dann nur noch in wenigen | |
Politikbereichen wie der Außenpolitik, der Steuer- und Sozialpolitik | |
erforderlich. Die qualifizierte Mehrheit wird zur Regel. Sie wurde bislang | |
nach einem unübersichtlichen System errechnet, das jedem Staat eine | |
bestimmte Zahl an Stimmen zuwies. Künftig gilt sie als erreicht, wenn 55 | |
Prozent der Staaten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung | |
repräsentieren. Dieses Prinzip wird allerdings erst ab 2014 angewandt. | |
Die nationalen Parlamente sollen in Zukunft mehr in die Brüsseler | |
Gesetzgebung einbezogen werden. Sie können prüfen lassen, ob die | |
EU-Kommission ihre Kompetenzen überschreitet und zu sehr in nationale | |
Zuständigkeiten eingreift. In der Kommission wird nicht länger jedes | |
Mitgliedsland vertreten sein. Ab 2014 werden rotierend jeweils zwei Drittel | |
der Mitglieder einen Kommissar nach Brüssel entsenden. Schon jetzt wird | |
darüber spekuliert, ob große Länder wie Deutschland oder Frankreich den | |
Verzicht auf diese wichtige Einflussmöglichkeit klaglos hinnehmen werden. | |
Auch andere spannende Personaldebatten stehen ins Haus. Nach der Europawahl | |
im Juni 2009 wird der Kommissionspräsident von der Mehrheit des | |
EU-Parlaments gewählt. Der portugiesische Konservative Manuel Barroso macht | |
sich Hoffnung auf eine zweite Amtszeit. Im Gegenzug werden die Osteuropäer | |
ebenfalls einen prestigeträchtigen Posten verlangen. Dafür ist der | |
ehemalige polnische Regierungschef Jerzy Buzek im Gespräch, der aber | |
ebenfalls den Konservativen angehört. Auch Jean-Claude Juncker, der Favorit | |
für das Amt des Ratspräsidenten, ist Christdemokrat. Die Sozialisten werden | |
dieses Paket nicht akzeptieren. Außerdem wächst die Zahl derer, die | |
wenigstens eine Frau in der europäischen Führungsspitze sehen wollen. | |
Zwar wandert der Ratsvorsitz - anders als in der Verfassung vorgesehen - | |
weiter alle sechs Monate in ein anderes Mitgliedsland. Doch parallel dazu | |
wird der Ratspräsident für zweieinhalb Jahre die EU nach außen vertreten. | |
Seine Jobbeschreibung ist bislang vage. Ob er nur repräsentative Aufgaben | |
hat oder künftig das politische Programm der Union vorgibt und damit die | |
rotierende Ratspräsidentschaft an Einfluss übertrumpft, ist noch völlig | |
offen. Offizielle Bewerber für den Posten gibt es noch nicht. | |
Aussichtsreiche Kandidaten wie der Luxemburger Premier Juncker warten wohl | |
ab, ob es sich lohnt, für den Job in Brüssel das heimische Amt aufzugeben. | |
25 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
D. Weingärtner | |
G. Baltissen | |
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