# taz.de -- Tempelhof: Volksentscheid in der Einflugschneise | |
> Flugzeuge machen Lärm, Flugzeuge faszinieren. Am Tag des Volksentscheids | |
> über den Flughafen Tempelhof erhitzen sich noch einmal die Gemüter. Die | |
> einen glotzen in Tempelhof, andere schimpfen in Tegel. Die Mehrheit aber | |
> bleibt der Abstimmung fern | |
Leinestraße, Neukölln: "Wir gehen Flugzeuge gucken, kommt", sagt der | |
arbeitslose Bauarbeiter zu seinen Söhnen. Gerade hat er seinen Stimmzettel | |
in die Urne geschmissen. Sein Kreuzchen hat er bei Ja gemacht - für den | |
Erhalt des Flughafens Tempelhof. Das ist für den 49-Jährigen mit dem | |
gewaltigen Bauch "Ehrensache". | |
Seine Frau findet, dass "der Wowereit nach China zum Reiszählen geschickt | |
werden müsste". Dabei wedelt sie mit der BZ. Das Boulevardblatt titelte am | |
Sonntag: "Heute Tempelhof wählen. Berlin stimmt ab." | |
"Flugzeuge gucken" ist in Neukölln ein beliebte Freizeitbeschäftigung. An | |
der Südostecke des Flughafens gibt es das Rondell. Die Holzplattform mit | |
der wunderbaren Aussicht auf das Rollfeld ist bei schönem Wetter wie heute | |
richtig voll. Väter fachsimpeln mit der Bierflasche in der Hand, Kinder und | |
Hunde tollen durch die Gegend. Der Geruch von frisch gemähtem Gras liegt in | |
der Luft. Wenn ein Kleinflugzeug leise brummend direkt über den Köpfen zur | |
Landung ansetzt, richten sich alle Blicke gen Himmel. Er sei nur einmal | |
geflogen, erzählt ein Elfjähriger, das aber mit dem "Rosinenbomber" am Tag | |
der offenen Tür. | |
Der weite Blick und die schöne Aussicht haben auch zwei Neuköllnerinnen, | |
die eher den Grün-Wählern zuzurechnen sind, bewogen, für den Erhalt zu | |
votieren. "Wenn es den VIP-Flughafen nicht mehr gibt, entsteht hier ein | |
VIP-Wohngebiet", sind die Frauen überzeugt. | |
Götzstraße, Alt-Tempelhof: Die Menschen stehen vor dem Wahllokal Schlange. | |
Das sei nun seine siebte Wahl, bei der er assistiere, sagt ein Mitarbeiter. | |
Eine Warteschlange habe er noch nie erlebt. 20 Minuten habe es gedauert, | |
bis er sein Kreuzchen machen konnte, erzählt ein pensionierter Studienrat. | |
Mit seinem Nein - "der Weiterbetrieb ist weder ökologisch noch | |
wirtschaftlich zu rechtfertigen" - scheint er hier in der Minderheit. "Den | |
Flughafen zuzumachen wäre das Gleiche, wie den Funkturm abzureißen", empört | |
sich ein 38-jähriger Maler. Natürlich sei er fürs Offenhalten, schnauft | |
auch der Rentner, der seine Frau im Rollstuhl zur Urne schiebt. "Alle, die | |
dagegen sind, müssten ungesehen eingesperrt werden." | |
Kurt-Schumacher-Platz, Tegel: Wenig Interesse an der Abstimmung über | |
Tempelhof zeigen die Leute am Kurt-Schumacher-Platz. Über ihren Köpfen | |
fliegen die Flugzeuge im Fünf-Minuten-Takt ein. Kaum erholt man sich vom | |
Höhepunkt des Lärmschmerzes, bei dem sich für den Bruchteil einer Sekunde | |
alles zusammenzieht, Fleisch und Gefühl, Gedanken und Sinne, kündigt sich | |
schon das nächste Flugzeug an. | |
Im Hotel Bärlin ist direkt am Platz ein Wahllokal untergebracht. Drei | |
Sterne hat die Herberge, in der weniger betuchte Geschäftsleute absteigen. | |
Vor gar nicht allzu langer Zeit war das Haus ein Asylbewerberheim. Dabei | |
hat es eine große historische Vergangenheit, die auf dem Foto im gelb | |
gestrichenen Treppenhaus dokumentiert ist: Am 26. Juni 1963 fuhren John F. | |
Kennedy, Willy Brandt, Konrad Adenauer im offenen Wagen winkend am Haus und | |
den davorstehenden Menschen vorbei. | |
Heute aber ist nicht viel los auf dem Platz. Im überheizten Wahllokal | |
warten fünf Helfer. Bis Mittag haben erst ungefähr 12 Prozent der | |
Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. | |
Ähnlich sieht es im Dorint-Hotel unweit davon aus. Auch im dortigen | |
Wahllokal kommt ganz selten jemand zur Stimmabgabe. Ein einzelner Mann in | |
schlecht sitzendem Anzug etwa. "Das tut mir doch weh, wenn die CDU erst | |
sagt, sie machen den Flughafen zu, und dann sind sie plötzlich fürs | |
Gegenteil. Ich habs gern solide", sagt er. Mehr sagt er nicht. Draußen hat | |
sich offenbar der Wind gedreht. Nun starten die Flugzeuge über dem Platz, | |
das macht den Schmerz größer. | |
Guineastraße, Wedding: Etwas weiter südlich bietet sich kurzzeitig ein | |
anderes Bild. Vor dem Wahllokal in der Anna-Lindh-Schule stehen Leute in | |
Gruppen und diskutieren. Die Weddinger Seele spuckt Feuer: "Für so was | |
haben die Bonzenheinis Geld. Fürs Klopapier in der Schule nicht", sagt eine | |
Frau mit Kinderwagen. "Ich muss mir n neues Auto kaufen wegen der | |
Emissionen, aber der Flugverkehr soll ausgebaut werden", schimpft ein | |
Gärtner dazu. Ein anderer bekennt, dass er mit Ja gestimmt hat. "Die | |
Argumente für die Schließung sind schlecht. Ich denke, die werden das | |
brachliegen lassen und dann für n Appel und n Ei verscherbeln." - "Das tun | |
sie doch auch, wenn er offen bleibt", echauffiert sich eine Frau mit | |
Fahrrad. "Bravo", mischt sich ein Mann ein, dem das Hertha-T-Shirt über dem | |
Bauch spannt, "hier is endlich wat los". | |
28 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
Waltraud Schwab | |
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