# taz.de -- Tibetische Fußballnationalmannschaft: Die Füße Gottes | |
> Tibet, eine Nation ohne eigenen Staat, hat eine eigene | |
> Fußballnationalmannschaft. Doch, wirklich! Am Wochenende besuchte sie | |
> Deutschland. | |
Bild: Die kickenden Exil-Tibeter bei einem symbolischen Fackellauf in Wien. | |
Die tibetische Nationalmannschaft hat offensichtlich den Pfiff nicht | |
gehört. Die junge Frau in Schiedsrichterkleidung bläst erneut in ihre | |
Trillerpfeife, aber nichts passiert. Das Spielfeld, das innerhalb von | |
Sekunden auf dem Bebelplatz im Zentrum Berlins errichtet wurde, bleibt | |
leer. Zwei kleine Tore stehen, vier Männer mit Tibetflaggen bilden die | |
Eckfahnen, mehr braucht es nicht für ein kurzes Fußballspiel, wie es hier | |
stattfinden soll. Aber die Spieler fehlen. | |
Namri Dagyab wird nervös. Der Mitarbeiter der International Campaign for | |
Tibet ist verantwortlich für das Gelingen dieses Flashmobs, doch die | |
Fußballer haben dessen Prinzip wohl nicht verstanden. Scheinbar spontan und | |
auffällig hat dieses Happening zu sein, um eine möglichst große | |
Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber für diesen Effekt fehlt hier gerade | |
eindeutig die Dynamik. Zwei lang gezogene Pfiffe wartet er noch ab, dann | |
sprintet er laut rufend Richtung Hedwigsdom. Und plötzlich tauchen sie | |
dort, an der südöstlichen Ecke des Platzes, auf: Zehn joggende junge Männer | |
in Sportkleidung. Schlaksig und unsicher wirken sie, wie die Schüler eines | |
Sportgymnasiums auf Klassenfahrt. Sportelite sieht sonst anders aus. | |
Die tibetischen Fußballer sind keine Profis. Sie tragen keine | |
hochtechnologische Sportkleidung, kein Zeugwart putzt ihre Schuhe und auch | |
in einem Entmüdungsbecken lag noch keiner von ihnen. Statt um | |
Sponsorenverträge und Egopflege geht es ihnen um das Repräsentieren ihres | |
Landes weltweit, gerade weil sie eine Mannschaft ohne Staat bilden. | |
Seitdem die chinesische Volksarmee 1959 auf dem Hochplateau das Regiment | |
übernahm, gilt Tibet als autonome Region des Riesenreiches. Regiert wird | |
sie aus Peking, und ebenso wie Bayern als Mannschaft nicht an | |
Europameisterschaften teilnehmen darf, ist es Tibet untersagt, | |
international mitzuspielen. Dass es dennoch eine Nationalmannschaft gibt, | |
liegt an der besonderen politischen Situation, die auch eine Exilregierung | |
Tibets im indischen Dharamsala zulässt: Tibet sieht sich als eigenständige | |
Nation, und während die Chinesen das eigentliche Land besetzen, übernehmen | |
die Exiltibeter alle Funktionen, die einen richtigen Staat ausmachen. Eine | |
Fußballmannschaft der Besten ist dabei immer ein wichtiger Bestandteil, wie | |
man gerade in Deutschland seit der Weltmeisterschaft im eigenen Land nur zu | |
gut weiß. | |
Auf dem Bebelplatz nehmen die Spieler nun endlich ihr Feld ein, Rot gegen | |
Schwarz, der Ball springt über die Pflastersteine. Eine Touristengruppe, | |
die eben noch ihrem Reiseführer am Mahnmal der Bücherverbrennung lauschte, | |
nähert sich zögernd, ansonsten schaut niemand. Die Berliner scheinen nach | |
dem großen Fußballfest 2006 an spontane Straßenkickerei gewöhnt. | |
Zwei Minuten später lässt Namri das Spiel abpfeifen. Tore und Ball werden | |
gepackt und die kleine Gruppe verschwindet hinter dem Dom. Der Bebelplatz | |
bleibt verlassen zurück, die Sonne bescheint ein überdimensionales | |
Werbeplakat, das "Freiheit, Gleichheit, Schönheit für alle" fordert. | |
In einer Seitenstraße hinter der Kirche wartet der Mannschaftsbus. Vor ihm | |
zerlegen die Spieler eifrig die Tore in ihre Einzelteile. Was für Poldi und | |
seine Freunde undenkbar wäre, erscheint hier mehr als verständlich; die | |
Stars legen selbst Hand an. Auf der Suche nach einem Ansprechpartner | |
verweist Namri an den Kapitän des Teams. | |
Tenzin Namgyal ist hörbar eben kein Chinese. Sein Englisch hat den harten | |
Akzent, der nach indischem Bollywood klingt. Denn Tenzin lebt seit seiner | |
Geburtin Nepal, in einem Flüchtlingscamp in Pokhara. Ebenso wie seine | |
Teamkameraden kennt er Tibet nur aus den Erzählungen seiner Eltern, die | |
Ende der 1950er dem Dalai Lama ins Exil folgten. "Seine Heiligkeit der | |
Dalai Lama", sagt Tenzin, denn der einfache Titel des spirituellen | |
Oberhauptes reicht ihm nicht. Tenzin Gyatso lautet der Mönchsname des Dalai | |
Lama, und Tenzin heißt auch die Hälfte der Spieler: Tenzin Cheyphel, Tenzin | |
Damdul, Tenzin Kachoe oder eben Tenzin Namgyal. | |
"Ich bin Kapitän der Mannschaft, weil ich im Tor stehe", sagt er: "Von dort | |
hat man einfach den besten Überblick, you know …" You know, du weißt schon, | |
so beendet er fast jeden seiner Sätze. Er formuliert vorsichtig, blickt | |
immer wieder zu Boden. "Wir wollen unser Land repräsentieren und die Welt | |
auf unsere Situation aufmerksam machen. Wir wollen nicht, dass die | |
Olympischen Spiele boykottiert werden. Wir gönnen den Chinesen gute Spiele. | |
Wir wollen nur Aufmerksamkeit, auch für die Menschenrechte, you know …" | |
In Nepal arbeitet Tenzin in einer Saftfabrik und spielt mit dem | |
halbprofessionellen Pokhara Football Club in der nepalesischen Liga. Seit | |
drei Jahren gehört der 29-Jährige zur tibetischen Auswahl. Wenn er, wie | |
zurzeit, für einen Monat mit der Nationalmannschaft unterwegs ist, muss | |
seine Familie auf sein Einkommen verzichten. "Meine Mutter hat einen Job, | |
auch meine Geschwister arbeiten immer wieder. Wir machen alle unsere | |
kleinen Geschäfte." | |
Eine Reise wie diese könnten er und seine Mitspieler, die in Nepal oder | |
Indien als Arbeiter und Studenten leben, sich niemals leisten. Die Kosten | |
übernimmt die Europasektion des Vereins International Campaign for Tibet. | |
Diese hat die Mannschaft eingeladen, einen Monat durch Europa zu reisen, | |
Freundschaftsspiele zu machen und einfach Aufmerksamkeit zu erregen. Für | |
Tenzin ist der Sport somit auch eine gute Möglichkeit, etwas von der Welt | |
zu sehen. "Das Wichtigste ist aber, Tibet zu repräsentieren", betont er. | |
Die Tore sind mittlerweile abgebaut und verstaut, Namri treibt seine kleine | |
Reisegruppe in den großen schwarzen Bus. In einer halben Stunde müssen alle | |
pünktlich zur Reichstagsbesichtigung vor Ort sein. Nach Spielen in den | |
Niederlanden, Italien, der Schweiz und Österreich stehen die vier Tage in | |
Deutschland im Zeichen der Erholung. Schließlich sind die Tibeter nur zu | |
elft unterwegs und keine durchtrainierten Profis, denen englische Wochen | |
wenig anhaben können. | |
Mehr Spieler haben diesmal kein Visum erhalten. Zu den Gründen, hinter | |
denen man die chinesische Regierung vermutet, möchte sich Tenzin lieber | |
nicht äußern, "du weißt schon …". Die Chinesen beobachten das Treiben der | |
Mannschaft seit Jahren misstrauisch und versuchen immer wieder, | |
Aufmerksamkeit bringende Auslandsauftritte zu verhindern. So lange kein | |
internationaler Verband das Team anerkennt, haben sie kaum Möglichkeiten. | |
Im Bus sieht es aus wie auf jeder Klassenreise. Schnell räumt Tenzin die | |
große blaue Ikea-Tasche mit den Wechselsachen vom Sitz neben sich. Kalsang | |
Dhondup, der Trainer, verteilt die Pässe und erklärt auf Tibetisch, dass | |
man sich beim Betreten des Reichstags ausweisen muss. Dick und weiß sind | |
die Pässe, auf ihnen prangen die Zeichen von Nepal und Indien. Als | |
Nationalität verzeichnen sie jedoch "tibetischer Flüchtling" und es ist | |
vermerkt, dass eine erneute Einreise nach Indien oder Nepal jederzeit | |
möglich ist. | |
Tenzin erzählt von Deutschland. Vor zwei Jahren war er schon einmal hier, | |
als Tibet am Fifi Wild Cup, einer inoffiziellen Weltmeisterschaft in | |
Hamburg, teilgenommen hat. "Ich mag die Häuser, die schöne Architektur. Und | |
das deutsche Ingenieurwesen." Dann deutet er aus dem Fenster: "Und das | |
finde ich beeindruckend." Der Bus passiert gerade das Holocaustmahnmal. | |
Menschen liegen auf den Stelen in der Sonne. "Ich weiß nicht viel von | |
deutscher Geschichte, aber das hier …" Er beendet den Satz nicht, und | |
scheint zu bereuen, dass er dieses Thema überhaupt angesprochen hat. | |
Schnell wechselt er zum Fußball im Buddhismus. "Das wollen immer alle | |
wissen, ob Buddhisten überhaupt ihren Wunsch nach Harmonie mit der Idee des | |
Wettkampfes vereinbaren können." Er schaut ernst: "Ich glaube an Karma, und | |
dass es bestimmt, wer siegt und wer verliert. Natürlich sind wir ehrgeizig, | |
wir wollen gewinnen. Aber das Karma lenkt." | |
Die kurze Bustour ist beendet, die Spieler stehen auf dem Platz vor dem | |
Reichstag. Niemand beachtet sie, als sie sich wie jede andere | |
Touristengruppe kurz vor den Stufen sammeln. Tenzin muss noch eben seinen | |
Namen diktieren. Was einen Michael Ballack völlig verstörte geschieht hier | |
ganz geduldig, "I, nicht e. N, nicht m. Neues Wort" - dann ergreift er den | |
Block und schreibt seinen Namen selbst. Groß und deutlich in | |
Druckbuchstaben und nicht als krakeliges Autogramm. | |
Zum Abschied organisiert er noch eine kleine Broschüre über den tibetischen | |
Fußballverband. "Friede durch Sport" steht auf dem Titel, und der Dalai | |
Lama, seine Heiligkeit, ist abgebildet. Auch er wird bald Deutschland | |
besuchen, aber im Gegensatz zu seiner Fußballmannschaft keinen Zugang zum | |
Reichstag erhalten. Lachend hält er das rot-blau gestreifte Trikot seiner | |
Mannschaft in die Kamera. Es trägt die Rückennumer 10, die der großen | |
Spielmacher. Darüber der Name: Dalai Lama. | |
12 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Juliane Wiedemeier | |
## TAGS | |
Tibet | |
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