# taz.de -- Zweiklassensystem Bildung: Halb Madrid lernt privat | |
> Knapp die Hälfte aller Schulen um Madrid sind in privater Hand. | |
> Öffentliche Ausgaben für Bildung liegen derweil auf einem Tiefstand. Die | |
> Auswirkungen sind nur schwer messbar. | |
Bild: Sechs von sieben Neueingeschulten gehen auf Privatschulen - 80 Prozent de… | |
MADRID taz An Madrids Schulen hängt der Haussegen schief. Die konservative | |
Landesregierung unter der regionalen Vorsitzenden der Partido Popular (PP), | |
Esperanza Aguirre, bringt mit ihrer neoliberalen Schulpolitik, die sie | |
gerne als Vorbild für Gesamtspanien verkauft, Lehrer und Eltern gegen sich | |
auf. Vergangene Woche streikten 80 Prozent des Schulpersonals für einen | |
Tag. Es ging dabei nicht um mehr Lohn, sondern gegen die zunehmende | |
Privatisierung des Schulsystems. "Die Bildung verkauft man nicht!", heißt | |
das Motto der Proteste. Für Ende des Monats ist ein weiterer Streiktag | |
angesetzt. | |
"Die Schulbildung ist in Madrid zu einer Ware verkommen", beschwert sich | |
Isabel Galvín, Aktionssekretärin der Madrider Lehrerverbandes der größten | |
spanischen Gewerkschaft CCOO. Nirgends in Spanien gibt es so viele | |
Privatschulen wie im Land Madrid. Über 40 Prozent der Grund- und | |
Hauptschulen werden von privaten Unternehmen betrieben. Die | |
Regionalregierung finanziert sie - anders als in Deutschland - zu 100 | |
Prozent. In der Hauptstadt selbst sind sogar sechs von zehn Schulen in der | |
Hand von meist religiösen Unternehmern und Verbänden. Zum Vergleich: In | |
ganz Spanien liegt der Anteil der Privatschulen bei knapp 24 Prozent - mehr | |
als dreimal so viel wie in Deutschland. | |
Der Anteil der öffentlichen Schulen nimmt gleichzeitig stetig ab. Wo neue | |
Stadtteile entstehen, vergibt die Regierung Aguirre Baugelände an | |
kirchliche Organisationen, um Schulen zu errichten. Der Preis liegt weit | |
unter dem Marktwert. Oft werden die Grundstücke sogar kostenlos überlassen. | |
"Wahlfreiheit für die Eltern", heißt das Schlagwort, mit dem die | |
Konservativen diese Politik anpreisen. Es würde die Qualität der Ausbildung | |
erhöhen, wenn die Eltern zwischen öffentlichen und privaten Schulen wählen | |
könnten. | |
Das Schulsystem wird so zum Zweiklassensystem. Die Privatschulen wählen | |
ihre Schüler aus. Immigrantenkinder und die Sprösslinge aus armen | |
Elternhäusern bleiben außen vor. Ihnen steht nur das öffentliche | |
Schulsystem offen, das so - vor allem in den städtischen Ballungsgebieten - | |
zum Ghetto verkommt. 80 Prozent der Einwandererkinder gehen auf die | |
öffentliche Schule. Während insgesamt sechs von sieben neuen Schülern in | |
der subventionierten privaten Einrichtungen eingeschult werden. | |
"Die Qualität des Schulsystems sinkt durch diese Politik", erklärt | |
Gewerkschafterin Galvín. "Denn wo die öffentlichen Schulen systematisch | |
demontiert werden, müssen die Privatschulen immer weniger tun, um | |
konkurrenzfähig zu sein." | |
Geringe Ausgaben im Bildungsbereich verschärfen die Entwicklung noch. | |
Während des Inlandsprodukt der Region Madrid über dem europäischen | |
Durchschnitt liegt, hinkt sie beim Bildungsetat rund 30 Prozent hinterher. | |
Gerade einmal drei Prozent des regionalen Sozialprodukts kommt den Schulen | |
zugute. Die OECD empfiehlt sechs Prozent. Madrid, Spaniens reichste Region, | |
liegt damit am unteren Ende des innerspanischen Rankings. Das Ergebnis ist | |
eine Schulabbrecherquote von 22 Prozent. In manchen Gegenden sind es bis zu | |
35 Prozent. Nirgends in Europa erreichen so wenige Schüler den | |
Hauptschulabschluss wie hier. | |
Dennoch sind die Ergebnisse privater und öffentlicher Schulen durchaus | |
paradox. Die Eltern glauben bis heute, dass die Zukunftschancen auf einer | |
katholischen Schule größer sind. "Das stimmt nur zum Teil", sagt Gimeno | |
Sacristán. Oft sei das Ergebnis der Privaten tatsächlich besser als das der | |
Öffentlichen - im Durchschnitt. Der Professor für Didaktik an der | |
Philosophiefakultät der Universität Valencia hat das Schulsystem in ganz | |
Spanien untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, "dass die wirklichen | |
Spitzenschüler, die an der Uni die besten Abschlüsse machen, meist aus dem | |
öffentlichen System kommen". Dies liege nicht zuletzt daran, dass die | |
Lehrer an den öffentlichen Schulen komplizierte staatliche | |
Aufnahmeprüfungen bestehen müssen, während die Privatschulen einstellen, | |
wen sie wollen. Da sie auch noch schlechter bezahlen, und die | |
Arbeitsbedingungen nicht mit denen eines Beamten zu vergleichen sind, geht | |
wer kann in den Staatsdienst. | |
"Die beiden Systeme unterscheiden sich nicht nur, was die soziale Herkunft | |
der Schüler angeht, sondern auch in der ideologischen Ausrichtung der | |
Bildung", weiß José Gimeno Sacristán. Über 90 Prozent der subventionierten | |
Privatschulen sind in der Hand von erzkatholischen Verbänden und | |
Unternehmen. "Das zweigeteilte Schulsystem ist ein Erbe der | |
Franco-Diktatur", erklärt Gimeno Sacristán. Die religiösen Privatschulen | |
entstanden einst, um die Eliten der Diktatur auszubilden. | |
Alonso Gutiérrez, verantwortlich für eine Bildungsreform in Kantabrien, | |
hingegen sagt: "Es geht auch anders als in Madrid." Seit fünf Jahren | |
regiert hier im spanischen Nordwesten die sozialdemokratische PSOE. "Wir | |
fördern gezielt die öffentliche Schulen", erklärt Gutiérrez. Die | |
Bildungsausgaben stiegen seit 2003 um knapp 40 Prozent. 1.000 neue Lehrer | |
wurden unter Vertrag genommen. Wo neue Stadtteile entstehen, werden | |
öffentliche Schulen gebaut statt private zu fördern. "Wenn wir die | |
Statistiken bereinigen, das heißt die Herkunft der Schüler mit in Betracht | |
ziehen, stehen die Schüler an den öffentlichen Schulen denen an den | |
Privatschulen um nichts nach", berichtet Gutiérrez. | |
Ein solcher Vergleich ist in Madrid nicht möglich und wohl auch nicht | |
gewünscht. Denn die Konservativen, die sich die Qualität der Schulbildung | |
auf die Fahnen geschrieben haben, setzten vor zwei Jahren die Beteiligung | |
der Madrider Schüler an der international anerkannten Pisastudie ganz | |
einfach aus. | |
13 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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