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# taz.de -- Neues aus der deutschen Toiletten-Szene: Mein Herz ist rein, der Po…
> Ist das nicht putzig? Seit der gigantischen Aufrüstung der Nasszellen im
> Osten ist ganz Deutschland analfixiert. Ist die German Toilet
> Organization ein Klowitz oder gar eine brave "Bürgerinitiative"?
Bild: Aufs Klo muss wirklicher jeder mal!
Die UNO kürte 2008 zum "Jahr der Toiletten". Ihr Generalsekretär Ban Ki
Moon erklärte dazu am "Weltwassertag", der seit 2003 jährlich am 22. März
stattfindet: "Knapp vierzig Prozent der Weltbevölkerung, 2,6 Milliarden
Menschen, haben keinen Zugang zu ordentlichen Toiletten. Alljährlich
sterben deswegen fünfzehn Millionen - an ansteckenden Krankheiten wie
Durchfall." Der Leiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), David
Heymann, ergänzte: "Die Zahl der Todesopfer könnte durch Verbesserungen bei
Wasserversorgung und sanitärer Ausstattung um zwei Millionen gesenkt
werden."
In Deutschland ist eher das Gegenteil zu befürchten: Dass weitere
"Verbesserungen" zu irreversiblen Schäden in der Bevölkerung führen. Hier
sind aus den Klos im Zuge der Fitness- und Wellnessbewegung wahre
"Wohlfühloasen" geworden. Mit der Folge, dass sich immer mehr Menschen bei
der Ausgestaltung ihrer narzisstischen Nasszellen pekuniär verausgabten.
Auf der inzwischen sämtliche Hallen füllenden Frankfurter Sanitärmesse, die
2007 von 215.000 Interessierten besucht wurde, wurde zum Beispiel das
"Dusch WC" von Designer Uli Witzig am "Balena"-Stand geradezu umlagert:
"eine Kombination aus Klo und Bidet - mit einem ausfahrenden Duscharm für
sanfte Reinigung, weiters mit Geruchsvernichtung, Fernbedienung und einem
Föhn ausgestattet." Der Preis - neunhundert Euro - schien keinen
abzuschrecken.
Noch extremer ging und geht es in Ostdeutschland zu, wo sofort nach der
Wende Privatkredite in Höhe von mehreren Milliarden D-Mark primär zur
Modernisierung von Bädern und Latrinen ausgegeben wurden und sich ganze
Kommunen mit dem Bau von utopisch überdimensionierten Kläranlagen sowie
neuer Kanalisation ruinierten. Der Journalist Wolfgang Sabath schreibt in
seinem Buch "Das Pissoir" über das Ostberliner Intelligenzblatt Sonntag, wo
er Redakteur war, dass zwei seiner Kollegen 1991 plötzlich anfingen, das
Klo zu putzen, als der Zeit-Herausgeber Bucerius sich zu einem Besuch
ansagte. Sie hofften, er würde den Sonntag übernehmen, der damals noch dem
Kulturbund gehörte. Bucerius ließ sich dort jedoch überhaupt nicht blicken,
nachdem ihm der neue Chef des Kulturbunds die Abokartei verkauft hatte.
Ich selbst erinnere mich, dass man in dem an die Treuhand gefallenen
Batteriewerk in Oberschöneweide das gerade geräumte Büro des
Parteisekretärs als Erstes zu einem dort so genannten Investorenscheißhaus
umbauen ließ. Der Raum wurde eierschalenfarben gekachelt und mit Topfpalmen
dekoriert. Die Spülung der Pissbecken funktionierte fortan automatisch über
Lichtsensoren. Dieser Einzug der Hightech in den "stillen Ort" galt dem
Philosophen Jean-François Lyotard als Signum der Postmoderne. Er begegnete
ihm bereits 1980 auf der Toilette des Fachbereichs Informatik der dänischen
Universität Aarhus, wo er ihn als "neue Aussage" begriff sowie als eine
"Gewissheit" darüber, "dass es keine Ohnmacht gibt, außer durch
Depression".
Chemnitzer und Rostocker fielen mit dieser "Aussage" jedoch bloß in eine
neue - postsowjetische - Depression. Der Osten kam damit quasi vom Regen in
die Traufe: "Früher hatten wir Gäste ohne Ende, aber keine Waren, jetzt
haben wir jede Menge Waren, aber keine Gäste mehr", so sagte es der Wirt
der Truckerstube bei Magdeburg, der 21.000 Mark allein in seine
Gästetoiletten investierte: "Jeder Klodeckel ist anders!"
In manchen Ostbaumärkten gibt es bis zu fünfzig verschiedene
Toilettendeckel. Besonders beliebt sind dort durchsichtige Plastikdeckel
mit eingegossenem Stacheldraht. In Thüringen verkaufte eine
Westsanitärfirma vielen Kneipen Klobrillen zum Auflegen auf die Klobrillen.
Die Aufleger hingen nach Art von Rettungsringen über den Becken an der
Wand. Die Erfindung war ein Flop, aber noch heute sieht man dort in vielen
Abtritten diese inzwischen leeren Halterungen an den Wänden. Vollends
verarscht fühlten sich die Ostler, als auch noch überall auf den
öffentlichen Plätzen farbig illuminierte "City-Toiletten" auftauchten, die
"Challenge", "Campo", "Avenue", "Helios" oder "Streetline" hießen. Und von
der Privatfirma Wall AG aufgestellt wurden, die dafür bis in alle Ewigkeit
alles drum herum mit Reklame zuscheißen darf. Der Klobesitzer Hans Wall
bekam für diese tolle Idee das Bundesverdienstkreuz, während gleichzeitig
die Klofrauen in den ganzen DDR-"Pachttoiletten" abgewickelt wurden. Der
"Wall"-Wahn ist schon so weit gediehen, dass etwa die Redakteure der
Kreuzberger Schülerzeitung Borsign in ihrem Artikel über einen Wandertag,
der sie nach Tegel führte, diese Klos als einzige dortige Sehenswürdigkeit
lobten: Wegen Regen hatten sie sich in eine dieser neuen musikbeschallten
"City-Toiletten" verdrückt - und sich darin prächtig amüsiert.
Weil Bucerius den Sonntag nicht übernahm, durften wenig später einige
seiner Redakteure, die ganz umsonst das Klo für ihn geputzt hatten, ein
Zeitmagazin ("Start ins neue Deutschland") füllen. Sie schrieben darin:
"Die Werbung überzieht das Land flächendeckend wie früher die Stasi!" Und
bekamen dafür sofort Ärger - vom "Zentralausschuss der Werbewirtschaft".
Dieser hat nebenbei bemerkt seit 2003 auch noch die Klowände in Gaststätten
als Werbeflächen entdeckt. Dem Vernehmen nach experimentiert er gerade mit
akustischer Werbung, die beim Hochheben des Klodeckels aus dem Becken tönt.
Das neueste Album der Berliner Popband Die Türen mit dem Titel "Popo"
eignet sich dafür. Die Musiker verweisen damit bereits auf das "Jahr der
Toiletten", wobei sie sich jedoch nicht auf den UNO-Generalsekretär,
sondern auf die in Berlin ansässige German Toilet Organization (GTO)
berufen, die sich für "nachhaltige Abwassersysteme" einsetzt. Eine ihrer
Forderungen: "Das ,Toiletten-Tabu' muss gebrochen werden!"
Aus seinen Analysen der - von allen Exkrementen säuberlich abgesonderten -
Psyche gewann Sigmund Freud einst die Erkenntnis, dass bürgerliche
Kindererziehung, speziell in der frühkindlichen analen Phase, zu einer
fatalen Identifizierung von Scheiße und Geld führe - beides halten sie als
Erwachsene später zwanghaft zurück. Noch in der Studentenbewegung
bezeichnete man deswegen nervige Zwangscharaktere, die übergroßen Wert auf
Sauberkeit und Ordnung (bis ins Demografische und Biologische hinein)
legen, als verschissene "Analkacker".
Schon früher war Deutschland das Land mit den meisten Analschimpfwörtern.
Inzwischen wird in den Autobahntoiletten jede etwa zweistündige Reinigung
schriftlich an der Tür festgehalten. Und weit über Deutschland hinaus gibt
es kaum noch Outdoor-Events, auf denen keine "Dixi-Klos" stehen, die von
der Ratinger Firma ADCO hergestellt werden - und das in solchen Mengen,
dass sie damit inzwischen laut Wikipedia ein "umgangssprachliches
Begriffsmonopol" etablierte. Weltweit einzigartig ist auch
[1][www.toilette.oglimmer.de]: die "1.Webseite, die sich ausschließlich mit
dreckigen und verschissenen Toiletten beschäftigt" - und zwar mit Fotos und
in Farbe! Typisch deutsch dürfte auch sein, dass die neue Mode, seine
Arsch- und Schamhaare abzurasieren, sich hier sofort bis in die untersten
Klassen durchsetzte. Dazu gehört auch der beliebte "Flachspüler", den die
Nazis als echt deutsch favorisierten, und der sich noch immer nicht gegen
die "Tiefspüler", wie ihn alle anderen Völker benutzen, durchsetzen konnte.
Der korsische Nasszellenforscher Guillaume Paoli spricht deswegen bei
dieser Form der fäkalen Entsorgungszwischenlagerung, bei der man sein
"Geschäft" vor dem Wegspülen noch einmal kritisch beziehungsweise
begeistert begutachten kann, von einem "deutschen Sonderweg zum Gully", der
nur äußerst langsam - mit der Amerikanisierung - verschwindet. Wie
überhaupt das Wort "Zwischenlager" geradezu kerndeutsch ist. So wie auch
das einstige "Torfklo" für Arme, das sich heute bei den Hardcore-Ökos,
insbesondere auf dem Land und in Schrebergärten, als - nunmehr teure und
edle - "Komposttoilette" wieder durchsetzt.
Was den Umweltschutz angeht, ist Deutschland inzwischen führend. Am
ökologisch sauberen deutschen Wesen wird dereinst die Welt genesen. Der
ehemalige KZ-Häftling Wieslaw Kielar beschrieb 1979 Auschwitz als "Anus
Mundi". Diese Metapher vom "Arsch der Welt" griff später der Partisan und
Auschwitz-Häftling Primo Levi auf.
1918 war bereits ein großer Roman über die deutsche "Arschkriecherei"
erschienen - Heinrich Mann: "Der Untertan". Das Buch, von Kurt Tucholsky
als "Herbarium des deutschen Mannes" bezeichnet, löste auch noch in seiner
1951 von Wolfgang Staudte verfilmten Fassung heftige Kontroversen aus. Erst
recht dann Daniel Goldhagens Analyse des nazideutschen Untertanengeistes.
Der sich hier und heute auch unter Heteros immer größerer Beliebtheit
erfreuende "Arschfick" könnte eine postmoderne Verhaltensvariante dieses
spezifischen autoritären Charakters sein, der sich bis in die Systemzeit
meist noch mit Pornos begnügte, auf denen Frauen "anständig der Hintern
versohlt" wurde, um dann langsam in das massenhafte "Schleifen" von
Rekruten überzugehen - bis denen "das Arschwasser kochte".
Für "die deutsche Tiefgründigkeit" machte Nietzsche einst "eine harte und
träge Verdauung" verantwortlich. Jetzt gibt es dagegen für die "deutsche
Elite" in Frankfurt am Main einen Proktologen, der einen sündhaft teuren
Einlauf zusammengestellt hat, den er seinen Patienten vor
Entscheidungskonferenzen rektal verpasst - das Mittel sollte sie entspannen
und vitalisieren. Bald war es unter dem lokalen Führungspersonal derart
begehrt, dass er ein spezielles Klistier konstruierte sowie einen Bock, auf
den sich der Betreffende rüberlegen musste. Schließlich stellte er noch
einen Bademeister ein. Der Einlauf darf nicht zu oft gemacht werden, aber
seine Patienten bestachen den Bademeister schon bald mit immer höheren
Summen, um auf den Bock zu gelangen. Entscheidend ist, was hinten
reinkommt, um hier ein Bonmot des Restaurationskanzlers Kohl zu
paraphrasieren.
HELMUT HÖGE, Jahrgang 1947, ist taz-Autor. Zuletzt erschien von ihm "WPP.
Wölfe - Partisanen - Prostituierte" (Kulturverlag Kadmos , 2007). Sein
Sanitärbereich ist bescheiden
15 May 2008
## LINKS
[1] http://www.toilette.oglimmer.de/
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Schule
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