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# taz.de -- Kolumne Das Gericht: Schaut auf diese Insel
> Wollen die Engländer aus Sorge ums Klima noch schlechter essen? Glauben
> Sie das bloß nicht.
Jeden Frühling ist es dasselbe: Man hat sich am Spargel satt gegessen, an
den Erdbeeren eigentlich auch, noch bevor die Erdbeersaison richtig
begonnen hat. Ja, man hat in seiner Verzweiflung auch schon eins der vielen
Rezepte, die in diesem Frühjahr so en vogue sind, nachgekocht und
Spargel-Erdbeer-Salat gemacht, was meiner bescheidenen Meinung nach
eigentlich nur genießbar ist, wenn man die ganze Sache in Balsamico-Sirup
ertränkt, der ebenfalls gerade ziemlich in ist. Das ist dann genau der
Moment, da man sich nach normalen Sommergemüse sehnt, knackigem Salat,
feinen Zucchini und vielleicht mal wieder richtigem Paprika.
Wobei wir beim Thema sind: Paprika ist in meinem kulinarischen
Bekanntenkreis nämlich gerade das Thema bzw. die Preise dafür. "Jeden
Frühling dasselbe: 6,99 Euro das Kilo. Und dann ist das Zeug nicht mal
frisch. Haben die jetzt den Paprikapreis an den Ölpreis gekoppelt?" Das
sind so die Sätze, mit denen man beginnen muss, um die Empörung langsam und
genüsslich eskalieren zu lassen bis zu "Reine Abzocke. Nie mehr Paprika."
Die galoppierende Teuerungsrate für Paprika war für mich ein so spannendes
Rätsel, dass ich dort nachfragen musste, wo diese Preise gemacht werden,
nämlich auf dem Berliner Fruchthof, dem größten Obst- und Gemüse-Großmarkt
in Deutschland. Dort erklärte mir ein Händler, das sei ganz einfach:
Paprika sei jedes Jahr für etwa zwei Wochen so immens teuer, weil die Ernte
in Israel auslaufe und in Spanien die Paprika noch nicht reif seien. Es
gibt kaum Angebot, das treibt den Preis, schloss der Händler mit einem
bedauernden Achselzucken. Die Wochen, in denen der Paprika-Preis sich auf
Höhenflug schwingt, sind der einzige Zeitpunkt im Jahr, an dem ich immer
wieder darauf gestoßen werde, wie verwöhnt ich doch bin vom ganzjährig
gleichen Sortiment an Obst und Gemüse im Supermarkt. Und darüber nachdenke,
welche Flugstrecken es bereits hinter sich gebracht hat.
Genau in dieses Nachdenken hinein platzte eine Meldung aus England. Gordon
Ramsay, der wohl meist dekorierte Koch der Insel, forderte vor zwei Wochen,
per Gesetz festzulegen, dass er und seine Kollegen mit Zutaten der Saison
arbeiten sollten: Schluss mit Flugmango und Winterspargel. Und Ramsay
forderte noch mehr, nämlich Strafen, damit sich alle Köche an das Gesetz
halten. Das brach eine breite und bis heute lebendige Debatte vom Zaun. Was
anfangs wohl an dem Chefkoch selbst lag, der seit Jahren keine Gelegenheit
auslässt, seinem Ruf als Rebell unter den englischen Köchen gerecht zu
werden, vor allem dann, wenn er wie vor vierzehn Tagen Publizität für den
Start einer neuen TV-Show braucht.
Aber vielleicht waren es ja die auch in England hohen Paprika-Preise,
wodurch Ramsays Forderungen breiten Widerhall fanden. Eine ganze Insel,
weltweit verschrien wegen ihrer üblen Küche, überlegt inzwischen, noch mehr
von dem schlechten Essen zu sich zu nehmen, um die Erderwärmung zu stoppen.
Sie lachen? Da gibt es nichts zu lachen. Eigentlich sollte man sich
verbeugen vor so viel Klimabewusstsein und mal darüber nachdenken, ob die
englische Küche wirklich so elend ist wie ihr Ruf - vielleicht während man
ein Rhabarber-Crumble im Ofen hat, eins der besten Nachspeisen-Rezepte für
das Frühlingsgemüse, und noch dazu ein urenglisches.
Tatsächlich hat sich in Großbritannien viel getan. Auch wenn hier nach wie
vor die dicksten Menschen Europas leben, gelten beispielsweise die
Restaurants in London als die kreativsten und innovativsten in Europa.
Nicht nur das Koch-TV hat hier seinen Anfang genommen, es ist übrigens weit
intelligenter als die faden deutschen Raubkopien. Hier gibt es auch Köche,
die über den Rand ihres Restauranttellers hinausblicken und die Esskultur
landesweit entwickeln helfen, Gordon Ramsay ist da überhaupt kein
Einzelfall. Wann findet sich mal ein deutscher Chef de Cuisine, der so viel
Courage hat, mit dem deutschen Publikum wegen seiner Liebe zu Flugananas
und dem Jammern über die teure Paprika ins Gericht zu gehen? Zeit wär's
längst.
27 May 2008
## AUTOREN
Jörn Kabisch
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