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# taz.de -- Sissy-Kitsch und Walzerseligkeit: Mit Kultur gezähmte Hooligans
> Wien ist ein großes Freilichtmuseum. Die historischen Prunkstücke liegen
> alle auf der Fanmeile. Das soll die Fans beeindrucken
Bild: Tausende posierten für den US-Fotografen Spencer Tunick im Ernst-Happel-…
Kleine grüne Männchen ohne Gesicht bevölkern die öffentlichen Grünflächen.
Am Kopf oder am Fuß ist ihnen ein tellerförmiger Fortsatz angewachsen.
Nein, es handelt sich nicht um eine Invasion von Aliens. Österreichs
Bundeshauptstadt bewirbt mit den grünen Pappkameraden in Kickerposition die
bevorstehende Fußballeuropameisterschaft. Von Fußballfieber zu sprechen
wäre wohl zu hoch gegriffen. Aber die Euro 08 ist wenige Tage vor dem
Ankick nun auch in Wien angekommen.
Monatelang beschränkte sich die Diskussion um das sportliche Großereignis
auf die Fanmeile. Besser: ob es wirklich notwendig sei, die Ringstraße von
der Universität bis zur Hofburg den tobenden Fans zu überlassen. Ursula
Stenzel, Bezirksvorsteherin des 1. Bezirks, sorgte sich um historische
Gebäude und gepflegte Parks, die unter den Stiefeln und biergefüllten
Blasen der Fans erheblichen Schaden nehmen würden. Burgtheater, Rathaus,
Museen und Parlament - die Prunkstücke des Historismus - liegen auf der
Meile. Auf dem Rathausplatz ist fast immer etwas los: Christkindlmarkt,
Eislaufplatz, Wiener Festwochen, Lifeball … Aber im Burgtheater fühlt man
sich irritiert. Generaldirektor Klaus Bachler sperrt das Haus lieber zu und
vermietet es für exklusive Fußballübertragungen. Auch im Parlament werden
die Sommerferien um einen Monat verlängert. Das Kunsthistorische Museum
fährt eine weniger defensive Politik. Statt die Hooligans zu fürchten, will
man sie mit Kultur zähmen. So werden Sonderführungen mit dem
vielversprechenden Titel "Die schönsten Fankurven der Kunstgeschichte"
angeboten. Rubens und Caravaggio hätten sich nicht träumen lassen, dass die
üppigsten Körperteile ihrer Barockmusen der einst Fußballfans in den
Kulturtempel locken sollten. Auch in anderen Museen hat man sich etwas
einfallen lassen, um in Zeiten des Fußballs nicht unterzugehen. "Die
Eleganz des runden Leders" im Rathaus ruft die Zeit in Erinnerung, als
österreichische Siege über Deutschland noch nicht als Sensation gefeiert
wurden. Und im Wien Museum, nur wenige Gehminuten von der Fanmeile, wird
unter dem Titel "Wo die Wuchtel fliegt - Orte des Wiener Fußballs" die
Fußballgeschichte als Stadtgeschichte inszeniert.
Damit der Denkmalschutz gewahrt bleibt, wurde die Fanmeile eingehegt: die
Fans werden durch 2,20 Meter hohe Gitter von den historischen Gebäuden
ferngehalten. Drinnen gibt es das teuerste Bier Österreichs. Schon zwei
Wochen bevor die österreichische Mannschaft gegen Kroatien am 8. Juni auf
den Rasen läuft, wurde dieser Teil der Ringstraße für den Verkehr gesperrt.
Gleich das erste Spiel dürfte auch das heikelste werden, denn Wiens
kroatische Gemeinde hat schon in der Vergangenheit bei Fußballspielen über
die Stränge geschlagen. Für die Polizei gilt die Taktik der drei D: Dialog,
Deeskalation, und wenn die nichts fruchtet: Durchsetzung geeigneter
Maßnahmen.
In Wien werden sieben Spiele ausgetragen, darunter zwei Viertelfinale, ein
Semifinale und das Endspiel am 29. Juni. Man erwartet, dass jeweils dreimal
so viele Fans nach Wien strömen werden, wie ins Ernst-Happel-Stadion im
Prater passen. Das heißt, dass sich 150.000 Menschen in den Fanzonen und
anderen Public-Viewing-Bereichen tummeln werden. Wer das Glück hatte, eine
Eintrittskarte zu ergattern, hat freie Fahrt nicht nur auf städtischen
Verkehrsmitteln, sondern auch dem gesamten Streckennetz der Bundesbahn.
Wer mit dem Auto anreist, soll dieses möglichst an der Peripherie
abstellen. Denn wenn alle gleichzeitig nach Hause wollen, kann das schon
zum Verkehrschaos führen. Das zeigte sich drastisch beim Freundschaftsspiel
gegen Deutschland am 26. März, als manche Fans stundenlang auf eine
Straßenbahn warten mussten. Nun wurde auch die Verlängerung der U-Bahn bis
zum Stadion eröffnet. Die kann ja, anders als die Straßenbahn, nicht im
Stau stecken bleiben. In den Stoßzeiten werden die als Euro-Garnituren
gekennzeichneten Züge im Zweiminutentakt verkehren.
Obwohl das öffentliche Verkehrsnetz in Wien zu normalen Zeiten effizient
funktioniert, sind Verkehrsprobleme vorprogrammiert, wenn die für 75.000
Menschen zugelassene Fanmeile aus den Nähten platzt. Für diesen Fall wurde
eine Zusatzfanzone im Hanappi-Stadion eingerichtet, wo der Meisterklub
Rapid Wien zu Hause ist. Das liegt in Hütteldorf, im äußersten Westen
Wiens, und ist per U-Bahn zu erreichen. Doch wenn der Massenumzug knapp vor
einem Match über die Bühne gehen soll, droht der Kollaps. Über sieben
Millionen Euro kostet es die Stadt, diesen Ausweichplatz bereitzuhalten.
Die Alternative auf der nahe gelegenen Donauinsel wäre erheblich billiger
gekommen. Dort drängen sich beim dreitägigen Inselfest, das jedes Jahr am
ersten Sommerwochenende stattfindet, mehr als zwei Millionen Menschen. Die
Infrastruktur für Massenveranstaltungen ist also vorhanden.
Wien ist bekanntlich ein großes Freilichtmuseum, das von seiner imperialen
Vergangenheit ganz gut lebt. Sissy-Kitsch und inszenierte Walzerseligkeit
werden gepflegt, auch weil es die Touristen so erwarten. Als Kongressstadt
und beliebtes Ziel von Städtereisen ist Wien auch unter normalen Umständen
weitgehend ausgebucht. Deswegen wurden für Spätentschlossene mit schlankem
Reisebudget ein Fancamp auf dem Messegelände eingerichtet, wo 3.000
Schlafplätze in Etagenbetten zur Verfügung stehen. Die Veranstalter warnen
allerdings, dass die Nachtruhe ab 22 Uhr, die in Gastgärten gilt, im
Fancamp keine Gültigkeit haben wird.
Für Unterhaltung ist aber auch anderswo gesorgt: von Christina Stürmer über
die Veteranen des Austro-Pop Wolfgang Ambros und Rainhard Fendrich bis Sir
Elton John reicht die Liste der Stars, die das Publikum bei Laune halten
sollen. Wer es eher Klassisch liebt, kann am 27. Juni in den Schlosspark
Schönbrunn zum Open-Air-Konzert der Opernlieblinge Anna Netrebko, Plácido
Domingo und Rolando Villazón pilgern. Am folgenden Tag wird der chinesische
Starpianist Lang Lang mit den Wiener Philharmonikern aufspielen. Spiele
versäumt man dabei nicht, die Termine wurden zwischen Semifinale und Finale
anberaumt. Auch die unverwüstlichen Wiener Sängerknaben und
Operettendarbietungen sind eingeplant. Wer dann von Österreich-Klischees
noch nicht genug hat, kann sich in der Volksoper "The Sound of Music"
geben.
Das wäre aber eher ein Ersatzprogramm für Regenwetter. Nach derzeitigem
Stand wird das nicht vonnöten sein. Die Wetterpropheten haben für den
ganzen Monat Juni außergewöhnlich trockenes und warmes Wetter vorausgesagt.
28 May 2008
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Reiseland Österreich
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