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# taz.de -- Gehirnforschung: Ins Gehirn geschaut
> kriminalisten unter sich
Bild: Selbst den Weg bestimmen und nicht von äußeren Reizen treiben lassen.
Taugt die heutige Gehirnforschung zur Prävention von Gewaltkriminalität?
Dieser Frage wollte der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) am
Mittwochnachmittag nachgehen. Dazu hatte sich der Berliner Landesverband
mit dem Professor für Physiologische Psychologie, Hans J. Markowitsch,
Deutschlands profiliertesten Hirnforscher eingeladen. Markowitsch ist auch
Verfasser des Buches "Tatort Gehirn - Auf der Suche nach dem Ursprung des
Verbrechens".
Seine Eingangsthese ist eher unspektakulär. Dass äußere Umstände wie
soziale, kulturelle, ethische und andere Umwelterfahrungen ein späteres
kriminelles Verhalten von Menschen zumindest beeinflussen können, ist
weitgehend unbestritten. Zerrüttete Familien, finanzielle Armut oder
kulturelle Zerrissenheit sind durchaus geeignet, dies zu begünstigen. Der
Professor packt noch genetische Anlagen, vererbbare Stresszustände und
fehlende "Bindungshormone" dazu - und für alles hat er Beispiele. Mag auch
so sein.
"Nicht jeder hat die gleiche Chance, durchs Leben zu gehen", sagte
Markowitsch zu Recht und kam zum eigentlichen Thema. Dank der modernen
Kernspintomografie wurden die Bilder nun bunter. Pathologische Lügner
beispielsweise, so habe man bei Screenings festgestellt, haben "mehr weiße
Gehirnmasse", vergleichbares gilt für Pädophile. Die verderbte
Gehirnaktivität von Lügnern lässt sich noch leichter erkennen: Sagt jemand
die Wahrheit, verzeichnet das Computerbild rege Funktionen im Stirnhirn;
lügt er, leuchtets hinten. Was Wunder, dass in den USA, wo die meisten
solcher Studien betrieben werden, bereits über einen Lügendetektor auf der
Basis von Gehirn-Scans nachgedacht wird. Überhaupt seien Hirnverletzungen
oder -erkrankungen ein wichtiger Faktor. So habe man etwa bei einem
Fünffachmörder später einen schweren Hirntumor diagnostiziert. "Wäre er es
auch ohne Tumor geworden?", fragte Forscher Markowitsch und ließ die
Antwort deutungsvoll offen.
Anhand einer weiteren US-Studie will er belegen, dass von 18 Kandidaten für
die Todesstrafe immerhin 17 eine Hirnverletzung aufwiesen. Anders kann es
bei hirngeschädigten Frauen aussehen. So wurde eine Krankenschwester als
Zeugin des Mordes an dem von ihr betreuten Millionär nach entsprechenden
Untersuchungen für voll glaubwürdig erklärt. Und der Professor steuerte
auch einen eigenen Fall bei, bei dem er als gerichtlicher Gutachter die
Glaubwürdigkeit eines Betrügers erschütterte. Letztlich vor die Wahl
gestellt, bei einem Geständnis mit zwölf Monaten Bewährung davonzukommen;
kurz darauf hatte der Richter das Geständnis. Schuldig oder nicht - wer
würde da anders reagieren? Markowitsch sah es als Beweis für die moderne
Hirnforschung: "Da war ich stolz." Was hat das alles mit möglicher
Kriminalprävention zu tun, wenn man nicht in den Dunstkreis
nationalsozialistischer Eugenik geraten will?
Natürlich dürfen in der Forschung niemals Affen fehlen. Und da zeigen
Primaten, die in Großgruppen gehalten werden, eine deutlich intensivere
Gehirntätigkeit als ihre Kollegen im Einzelkäfig. Was kann diese simple
Erkenntnis für den humanen Strafvollzug bedeuten: gemischte Großzellen mit
Massenschlägereien und Rudelbumsen?
Zum Schluss kriegte Markowitsch die Kurve und meinte: "Jede Gesellschaft
muss selbst entscheiden, wie weit sie gehen will." Auch Rolf Kaßauer,
BDK-Landeschef, sagte hinterher: "Das wollen wir alles gar nicht, aber man
muss frühzeitig darüber reden." Damit hat er Recht - und zum Glück ist all
so was rechtlich gar nicht möglich. Zumindest derzeit.
29 May 2008
## AUTOREN
Otto Diederichs
## TAGS
Hirnforschung
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