# taz.de -- Montagsinterview: "Man wird anarchistischer in so einer Situation" | |
> Radio Multikulti, der Sender mit großem Integrationsfaktor, wird zum Ende | |
> des Jahres abgestellt. Das sei eine politische Entscheidung, sagt die | |
> Moderatorin Pia Castro. | |
Bild: "Radio Multikulti macht das Leben vieler Menschen in dieser Stadt einfach… | |
Offensichtlich läuft seit einer Woche alles schief. Ich habe immer sehr | |
viel Wert darauf gelegt, als Pia Castro und nicht als Frau von Cem Özdemir | |
wahrgenommen zu werden. Bis Anfang letzter Woche dachte ich, das sei mir | |
gelungen. Es gab Kollegen bei Radio Multikulti, die das nicht wussten. Das | |
hat mich stolz gemacht. | |
Eins kann man nicht trennen: Dass Cem 1994 als Abgeordneter der Grünen ins | |
Parlament gewählt wurde und dass Radio Multikulti im selben Jahr entstand, | |
hat den gleichen Grund. Beides waren Reaktionen auf die fremdenfeindlichen | |
Angriffe in Rostock, in Solingen, in Mölln. Was damals geschah, das hat die | |
Gesellschaft sehr bewegt. Bei allem anderen aber bin ich Pia Castro und er | |
ist Cem Özdemir. Wir sind eigene Personen mit eigenen Ansichten, eigener | |
Arbeit und einem gemeinsamen Kind. | |
Sie wissen, wie das ist: Man ist die Frau von jemandem und auf einmal wird | |
alles in einen Topf geworfen. Ich will aber nicht plötzlich für türkische | |
Themen zuständig sein, bloß weil mein Mann türkischstämmige Eltern hat. | |
Solche Reflexe kennt man doch. Ich habe ihn kennengelernt, als ich schon | |
Moderatorin war. Ich hab schon gemacht, was ich machen wollte. | |
Im Gegenteil. Wenn er sich jetzt einmischt, können Leute sagen: Guck mal, | |
er macht das, weil seine Frau bei Radio Multikulti arbeitet. Aber Cem ist | |
für den Erhalt von Radio Multikulti, weil er selbst multikulti ist. | |
Multikulti, das ist doch eine Haltung, eine Lebenseinstellung. Natürlich | |
wird das durch unsere Gemeinsamkeit noch potenziert: Ich Argentinierin mit | |
italienischen Vorfahren. Er anatolischer Schwabe. | |
Radio Multikulti macht das Leben vieler Menschen in dieser Stadt einfacher, | |
weil es sie dabei unterstützt, sich mit Deutschland zu identifizieren. | |
Radio Multikulti ist ein Bekenntnis zur Vielfalt, ohne dass in den | |
Programmen romantische oder kitschige Vorstellungen vom Fremden, vom | |
Anderen bedient werden. Und wir geben Menschen in Berlin, die sonst weniger | |
Chancen haben, weil sie nicht perfekt Deutsch sprechen, eine Plattform. Das | |
hat vielen Leuten viel Mut gemacht. Man fühlt sich doch verbunden mit | |
diesem Land, wenn man etwas schafft und es zeigen darf. Wer Radio | |
Multikulti hört, identifiziert sich mit diesen Facetten Berlins. Auch | |
unsere deutschen Zuhörer. Das ist Integration. Wir wissen ganz genau, | |
worüber wir berichten. | |
Ja, si, si - wir bringen die Kulturen zusammen. Radio Multikulti ist ein | |
Programm, das versucht, die ganze Welt in einen Sender zu holen. Mit sehr | |
viel Sinnlichkeit und Leidenschaft dazu. Wir versuchen die Unterschiede | |
zwischen den Menschen und Kulturen deutlich zu machen und trotzdem eine | |
universelle Sprache zu sprechen. Und das alles verbinden wir mit toller | |
Musik von überall. Normalerweise bleiben die Communitys unter sich. Radio | |
Multikulti schafft es, einen roten Faden zwischen den Kulturen zu ziehen. | |
Dass der türkische Mitbürger, der mich anruft, die deutschsprachige Sendung | |
hört und sich dabei mit der Latinomusik, die ich spiele, identifiziert, das | |
ist der rote Faden. Und dass ich mir als Argentinierin das Recht nehme, | |
über Themen zu sprechen, die die Türken, Araber, Franzosen, Deutschen oder | |
sonst wen in Berlin betreffen. Und dass die Leute, die mich hören, | |
zufrieden sind, mit dem, was ich dazu sage. Das machen alle so bei Radio | |
Multikulti. Wir bringen den Deutschen die Welt ins Wohnzimmer. Und den | |
Migranten geben wir in Deutschland ein Stück Heimat. | |
Diese Frage kann ich nicht beantworten und diese Frage wurde uns auch nicht | |
beantwortet, als wir sie gestellt haben. Das macht uns ratlos und wütend. | |
Wir fragen uns, was ist die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in | |
Sachen Integration? Hat er keine mehr? | |
In Zukunft soll also die Integration in der Hauptstadt von Köln aus | |
vorgegeben werden? Berlin will Vorreiter sein in Sachen Integration und | |
lässt sich von Nordrhein-Westfalen aus vormachen, wie sie aussieht? Das ist | |
bitter. | |
Sieben Wellen hat der RBB. Die Verantwortlichen sagen, alle sieben seien | |
ihnen lieb und immer gäbe es Enttäuschte, wenn eine Welle zugemacht wird. | |
Ich bin anderer Meinung. Auf sechs der sieben Wellen gibt es deutsche | |
Leitkultur. Und die siebte, die nicht den Mainstream als Zielgruppe hat, | |
sondern Menschen aus aller Welt zusammenführt, die wird kaputtgemacht. Ich | |
bin der Meinung, dass das eine politische Entscheidung ist. Und da passt es | |
den Verantwortlichen, dass Migranten keine Lobby haben. Es ist schwer, | |
Migranten zu mobilisieren. | |
Deshalb ist es eine politische Entscheidung. Aber wo bleiben die Politiker? | |
Vor allem die Berliner Politiker. Tragen die Linken, die so auf Multikulti | |
stehen, nicht in Berlin Regierungsverantwortung? Warum hat Funkhaus Europa | |
in NRW, wo die CDU regiert, mehr Unterstützer, als in Berlin das anerkannte | |
Radio Multikulti? NRW hat einen Integrationsminister, Berlin nicht. | |
Ja, er schon. Die, die sich beruflich mit Migration beschäftigen, | |
protestieren. Aber Wowereit? Zu unserer Intendantin soll er gesagt haben, | |
Radio Multikulti sei ihm nicht wichtig. Das wollen wir nicht glauben. Wir | |
halten viel von ihm. | |
Natürlich kriegen wir unzählige E-Mails und Briefe von Hörern und | |
Hörerinnen. Wir wissen nicht, wie wir das alles kanalisieren sollen. Wir | |
wollen nicht diejenigen sein, die den Protest jetzt auch noch koordinieren | |
müssen. Denn für uns ist es wichtig, dass wir Radio Multikulti | |
weitermachen. Wir wollen zeigen, dass wir ein verdammt gutes Programm | |
machen. Uns ist bewusst, dass die Diskussion um das Aus für Radio | |
Multikulti - leider muss man sagen - die beste PR ist. Durch diese | |
Diskussion kommen wir aus der Nische raus. Wir sind sicher, dass wir viele | |
neue Fans gewonnen haben. | |
Wir sollen flott sein, tolerant sein, respektvoll sein. Wir müssen uns an | |
die Formate von heute anpassen. Am besten wäre noch, jeder von uns könnte | |
drei Sprachen perfekt und alle Anmoderationen von Musik so aussprechen, wie | |
sie im Herkunftsland - sei es Afrika, Polynesien, Norwegen oder auch die | |
USA - gesagt werden. Das erwartet man von so einem kleinen Sender und wir | |
haben unsere Hausaufgaben diesbezüglich auch gemacht. Wir waren als | |
Nischenprogramm angelegt, aber das wird uns jetzt vorgeworfen. | |
Wenn wir eine Konkurrenz wären, dann dürfte es kein Problem sein, als | |
Moderatorin mit Akzent und nicht ganz perfektem Deutsch morgen irgendwo | |
anders zu arbeiten. Akzente gelten eben nur als charmant, solange es um | |
Integrationsthemen geht oder wenn man Weltmusik ansagt. Integrationsthemen | |
sind in einem Einwanderungsland allerdings sehr wichtig. Sollte man denken. | |
Und ich sage ihnen, ich bin sehr froh, dass Radio Multikulti seinen Namen | |
nicht geändert hat. Radio Multikulti ist transkulturell. Wir machen das. | |
Wir leben das. Sollen wir bestraft werden, weil wir den falschen Namen | |
haben? Transkulturalität ist bei unserem Programm immer vorhanden. Weil die | |
Realität transkulturell ist. | |
Ja, denen wird gerne vorgeworfen, dass sie nur ihre eigene Suppe kochen. | |
Was die wirklich machen, sieht niemand. Die jugoslawische Sendung Most etwa | |
mischt einfach das Serbische, Kroatische, Bosnische - das ist doch | |
großartig. Sie verbinden die Leute, die der Krieg in Exjugoslawien | |
auseinandergetrieben hat, auf diese Weise wieder. Oder die türkische | |
Sendung, die ständig Tabus bricht. Die haben keine Angst, über die Kurden- | |
oder die Armenienproblematik zu reden. Viele türkischsprachige Medien in | |
Deutschland haben ihre Antennen nach Ankara ausgestreckt und orientieren | |
sich an der dortigen Kultur anstatt an der hiesigen. Unsere türkische | |
Redaktion macht das nicht. Die polnische Redaktion wiederum hat wichtige | |
Aufklärungsarbeit gemacht, als die Zwillinge Polen in den Irrsinn treiben | |
wollten. Und die vietnamesische Sendung ist das meist gehörte Programm im | |
Internet. Sollen diese Communitys kein Sprachrohr haben? | |
Wenn es solche Kritik gibt, warum wurde diese Diskussion von der | |
Führungsetage nicht initiiert? Es wurde, bevor das Ende von Radio | |
Multikulti angekündigt wurde, auch kein Versuch unternommen, öffentlich zur | |
Diskussion zu stellen, ob Berlin Radio Multikulti braucht oder nicht. | |
Bis heute wissen wir nicht, warum man gerade bei uns spart. Wenn die | |
Einschaltquoten, die bei 0,8 Prozent der Hörer liegen sollen, nicht | |
ausschlaggebend sind, wie man immer sagt, warum hat man sich dann die Mühe | |
gemacht, sie überhaupt so unvollständig zu erfassen? Nur Leute mit | |
deutschem Pass werden gezählt. Das ist doch phänomenal, dass man | |
Nichtdeutsche bei der Hörerquote nicht zählt, obwohl sie Steuerzahler sind. | |
Auch Gebührenzahler. Stellen sie sich das vor: Wir sind ein | |
Einwanderungsland und die Migranten zählen nicht bei den Einschaltquoten | |
eines Programms, das genau diese als seine Zielgruppe ausgemacht hat. | |
Wenn wir richtig demotiviert sind, werden wir einen Tag einlegen, wo wir | |
genau solche Sachen machen. Jeder hat Tabus, auch Radio Multikulti hat | |
welche. Wir werden uns einen Tag lang nicht daran halten. | |
Wir werden alle duzen, weil Migranten angeblich zu allen Du sagen. Wir | |
werden Julio Iglesias und alle anderen Leute, deren Musik nur Klischees | |
produziert, hoch und runter spielen. Wir werden unseren Akzenten und | |
schlechtem Deutsch freien Lauf lassen. Man wird ja anarchistischer in so | |
einer Situation. Um unsere Moral zu stärken, haben wir uns neulich sogar | |
gefragt, was wir auf keinen Fall vermissen werden, wenn Radio Multikulti | |
dicht macht. | |
Ich werde Interviews mit innenpolitischen Sprechern aller möglichen | |
Parteien nicht vermissen. Es sind Leute, die gut reden können. Und nichts | |
sagen. | |
3 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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