# taz.de -- Treue Anhänger: Fans setzen sich ein Denkmal | |
> Der Fußballclub Union Berlin muss sein Stadion in Köpenick sanieren. Dass | |
> dafür kein Geld da ist, macht gar nichts: Die Fans reißen sich um die | |
> Ehre, in der Alten Försterei mit Hand anzulegen. | |
Bild: Die geben alles: Union-Fans im Stadion Alte Försterei | |
"Wahnsinnig", "unglaublich" oder "einmalig": Das sind die Wörter, die man | |
am häufigsten hört im Stadion An der Alten Försterei. Seit Anfang Juni | |
bauen hier die Fans von Union Berlin unter professioneller Anleitung die | |
ziemlich marode Arena um. Und die Anhänger berauschen sich dabei an ihrer | |
eigenen Hilfsbereitschaft. | |
Über 500 Fans haben sich bislang schriftlich als freiwillige Helfer | |
anerboten, erzählt Dajana Klee auf dem Weg von der Geschäftsstelle zur | |
Baustelle. "Täglich", so die Pressesprecherin des Drittligisten, "kommen | |
zwischen 20 und 30 Neuanmeldungen hinzu." | |
Wer sich aber die Alte Försterei in Köpenick als wuseligen Ameisenbau | |
vorstellt, täuscht sich gewaltig. Nur etwa 35 Arbeiter, davon 20 | |
Union-Anhänger, werkeln am Mittwochmorgen auf den Stehrängen. "Das Ganze | |
muss ja sinnvoll koordiniert werden. Wir brauchen nicht alle auf einmal", | |
sagt Klee. Man werde aber versuchen, jeden Einzelnen einmal einzusetzen. | |
Von außen betrachtet ist es eine Baustelle wie jede andere: Bagger fahren | |
Erde hin und her, Arbeiter schwitzen, schuften und schwatzen. Der besondere | |
Flair des Ortes ergibt sich aus den ungewöhnlichen Begebenheiten, von denen | |
man sich hier erzählt. Die Baustelle ist schon nach einer Woche zu einer | |
Anekdotenfundgrube geworden. | |
Buletten vom Nachbarn | |
Andreas Goslinowski kennt die zahlreichen Geschichten. Und der gelernte | |
Schmied, den alle nur "Gossi" nennen, kann sie am besten erzählen, findet | |
Unions-Sprecherin Klee. Der kahlköpfige Mann mit den mächtigen Oberarmen | |
hat gerade Pause. "Schon wieder ich?", fragt er. - Mittwoch und Freitag sei | |
nun einmal Pressetag, wird ihm erklärt. - "Und was war mit denen am | |
Montag?" - Die hätten Exklusivrechte gehabt. - Der Medienbohei rund um die | |
Baustelle ist groß. In den ersten Tagen hat sich ein Fotograf sogar vor | |
einen Bagger gelegt, um ihn von unten abzulichten. | |
Goslinowski glaubt, dass man erst mit großem zeitlichen Abstand die Größe | |
der jüngsten Ereignisse ermessen können wird: "In zwanzig Jahren werden wir | |
sagen: Mann, was ist denn da abgelaufen!" Was Goslinowski emotional so | |
bewegt, ist nicht die große Anzahl der freiwilligen Arbeiter. Tag für Tag | |
staunt er über die Hilfsbereitschaft derjenigen, die versuchen sich | |
anderweitig nützlich zu machen. | |
Morgens um 7 Uhr habe kürzlich ein alter Mann mit einer Schüssel Buletten | |
vor dem Bauzaun gestanden, erzählt Goslinowski gerührt. Immer wieder kämen | |
Fans mit Kuchen, Getränken oder einer Plastiktüte voller Eis vorbei. Andere | |
wiederum, die nicht selbst mit anpacken könnten, überreichten einfach | |
Geldscheine. Anfang der Woche sei etwa eine schwer behinderte Frau da | |
gewesen und hätte ihr gesamtes monatliches Taschengeld von 60 Euro für den | |
Stadionbau gespendet. | |
Für Goslinowski ist all dies eine Bestätigung dafür, dass die Anhänger von | |
Union etwas Besonderes sind. "Wir schreiben wieder einmal Geschichte." Die | |
ohnehin stark ausgeprägte Identifizierung der Fans mit ihrem Verein dürfte | |
sich durch die Baumaßnahmen in der Tat noch weiter verstärken. In einem Akt | |
der Selbstvergewisserung erinnert man sich in den Pausen gegenseitig an die | |
vielen Geschichten der letzten Tage, die allesamt vom Edelmut, Altruismus | |
und der Großzügigkeit der eigenen Anhängerschaft handeln. Union-Fans | |
erzählen Union-Fans über Union-Fans. Es ist ein ganz eigener und enger | |
Kosmos, in dem sich die Leute hier bewegen. | |
Goslinowski hat schon Ende der Siebzigerjahre unentgeltlich mitgeholfen, | |
eine Tribünenseite mit Sand aufzuschütten. Damals in der DDR-Zeit, erinnert | |
er sich, war die Union-Solidarität von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) | |
organisiert. Heute funktioniert es auch ohne von oben verordneten | |
Gemeinsinn. "Wenn Union ruft, sind wir da", sagt Goslinowski, um sich | |
gleich zu korrigieren: "Uns hat ja eigentlich keiner gerufen, wir haben uns | |
aufgedrängt." | |
Stehplätze sind besser | |
Seit dem Jahr 2001 diskutiert man in Köpenick rege über einen Stadionum- | |
oder -neubau. Ein Modell für 30.000 Zuschauer stand einmal zur Debatte, bei | |
dem überwiegend Sitzplätze vorgesehen waren. Die Einnahmemöglichkeiten des | |
Vereins hätte das wesentlich vergrößert. Doch viele Fans sind froh, dass es | |
nicht so weit gekommen ist. Sie wollen lieber stehen. "Die Stimmung ist | |
dadurch viel besser als in den auf Kommerz bedachten Sitzplatzarenen", sagt | |
Holger Keye, der sich als Vorsitzender der Stadion AG für die Beibehaltung | |
der Grundstrukturen an der Alten Försterei eingesetzt hat. | |
Das nun verfolgte Sanierungskonzept beschreibt er so: "Stehplätze | |
betonieren, Blechdach drauf und fertig." Das sei zwar die Billigvariante, | |
aber die passe viel besser zu Union. Goslinowski resümiert: "Wir erhalten | |
unser Wohnzimmer und schminken es nur um." | |
Keye, von Beruf Computerfachmann, hat sich für die Bauarbeiten extra eine | |
Woche Ferien genommen. "Mehr war leider nicht möglich", sagt er bedauernd. | |
"Es ist eine Art Ehre, hier mitzuhelfen." Einige Fans würden gar ihren | |
gesamten Jahresurlaub für die Baumaßnahme opfern, berichtet | |
Pressesprecherin Klee. | |
Dass man hier umsonst malocht, während die Profispieler stattliche Gehälter | |
vom Club überwiesen bekommen, hinterfragen die eifrigen Helfer nicht. Im | |
Gegenteil. Man betreibt zusätzlich Geldakquise. Auf Initiative der Fans | |
kann jeder Union-Anhänger, der nicht selbst mitarbeiten kann, nun | |
symbolisch Baustunden kaufen. Der Verein hat rasch dafür ein entsprechendes | |
Konto eingerichtet. | |
Projektleiterin Sylvia Weisheit ist von der Arbeitsmoral der Union-Fans | |
begeistert. Man komme wesentlich schneller voran als geplant. Alles laufe | |
sehr professionell ab. Etwa ein Drittel der Freiwilligen seien ja auch | |
ausgebildete Facharbeiter. Es würden sich aber genauso Architekten oder | |
Geschäftsführer von mittelständischen Betrieben den körperlichen Mühen | |
stellen. | |
Teilweise muss Weisheit den Eifer der Helfer auch bremsen. Die Nacht- und | |
Wochenendwachen haben sich schon beschwert, dass sie mehr tun wollten, als | |
nur ab und zu den Beton zu nässen. Und einige haben bereits nachgefragt, | |
wann sie denn endlich eingesetzt werden. | |
Für den Verein dokumentiert Dajana Klee die Geschehnisse. Sie schreibt | |
täglich für die Homepage von Union Berlin ein so genanntes | |
Baustellentagebuch. Klee schätzt, dass sie derzeit 16 Stunden für Union auf | |
den Beinen ist. Das Los einer Pressesprecherin eben, könnte man sagen. Das | |
ist jedoch nur ihr offizieller Titel. Eigentlich ist sie Praktikantin und | |
muss beim Arbeitsamt über ihre Bewerbungsinitiativen Rechenschaft ablegen. | |
Der Proficlub Union Berlin spart an allen Ecken und Enden. Und eigentlich | |
passt die Generation Praktikum ja auch ganz gut zu diesem Bauprojekt. | |
13 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
Johannes Kopp | |
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FC Union | |
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