# taz.de -- Elektronik-Festival Sonar in Barcelona: Kontrolle und Ekstase | |
> In Barcelona fand zum 15. Mal das Sonar-Festival mit vielen | |
> internationalen Künstlern und DJs statt. Es ist die größte und wichtigste | |
> Veranstaltung im Feld der elektronischen Popmusik. | |
Bild: Besucher des Sonar-Festivals holen sich eine Prise alltagspragmatischen T… | |
Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Wenn man in der | |
Nacht von Samstag auf Sonntag auf dem riesigen Messegelände von Barcelona | |
anlässlich des Sonar-Festivals in der Haupthalle stand und sich den | |
Detroiter Technovisionär Jeff Mills anschaute, wie er Sound und Ästhetik | |
seines Projekts "X-102 discovers the Rings of Saturn" präsentierte, dann | |
konnte man schon etwas melancholisch werden. | |
Wunderschöne bunte Sternennebel wurden auf große Leinwände projiziert, | |
während Mills (zusammen mit Mike Banks, dem legendären Mastermind der | |
Technopioniere Underground Resistance) futuristisch anmutende Klangflächen | |
aus seinen Synthesizern perlen ließ. Das Projekt ist aus dem Jahr 1992 und | |
somit 16 Jahre alt. Aber es klingt immer noch wie das Versprechen auf mehr, | |
auf eine andere Zukunft, auf die unbegrenzten Möglichkeiten einer | |
Menschheit, der es gelungen ist, Maschinen zum Träumen zu bringen. | |
Mills Auftritt war der Höhepunkt des diesjährigen Sonar, des wichtigsten | |
europäischen Festivals für elektronische Musik. Als er am Tag zuvor bei | |
einer Podiumsveranstaltung vom Moderator zur Entstehung seiner Musik | |
befragt wurde, erklärte Mills, Europa und insbesondere Deutschland sei ihm | |
aus der Ferne immer vorgekommen wie das Land der Zukunft. Alles, was ihm | |
ältere Detroiter DJs damals erzählten, wenn sie von ihren ersten Auftritten | |
zurückkamen, hätte ihn darin bestärkt. Er habe versucht, eine Musik zu | |
machen, die vor dieser Vorstellung Bestand haben könne. Als er dann selbst | |
das erste Mal hier gewesen sei, habe er dann aber festgestellt, dass auch | |
in Europa nur mit Wasser gekocht werde, und habe seine | |
Sehnsuchtsscheinwerfer in Richtung Weltall ausgerichtet. | |
Eine Herangehensweise, die einem so vollkommen aus der Welt gefallen | |
vorkommen konnte, wenn man sie mit dem Soundentwurf verglich, der ansonsten | |
das Sonar dominierte: das Elektrogebratze, mit dem das Pariser Label Ed | |
Banger berühmt geworden ist. Ob es die zahlreichen Acts des Labels selbst | |
waren oder die Künstler, die eine ähnliche Ästhetik pflegen wie die Belgier | |
Soulwax oder die deutschen Boys Noize - dies ist eine Musik, die keine | |
Zukunft oder Vergangenheit kennt, sondern nur den nächsten Kick, sei es | |
Adrenalin oder die Bassdrum. Alle für alles und das sofort. Immer voll auf | |
die Glocke, alle Systeme sind fortwährend im dunkelroten Bereich. Dieser | |
Sound ist so sehr bis unters Dach vollgestellt mit seiner eigenen | |
Gegenwart, dass kein Platz mehr bleibt für utopische oder dystopische Reste | |
jedweder Art. | |
Nun gibt es unzählige Festivals. Man kann sich den ganzen Sommer über | |
irgendwo in Europa durch ein riesiges Line-up hören, Bier trinken und Bands | |
zuschauen. Was das Sonar zu etwas Besonderem macht, ist, dass es seine | |
Größe so gut zu verbergen weiß. | |
Für alle Brancheninsider, Labelmacher, Clubbetreiber, Fanzinemacher und | |
sonst wie in der elektronischen Musik Beschäftigten, die Jahr für Jahr für | |
ein verlängertes Wochenende nach Barcelona reisen, ist es das ideale | |
Branchentreffen. Tagsüber drückt man sich auf dem übersichtlichen | |
Festivalgelände in der Altstadt herum, nachts geht es zu einer der Partys | |
in den zahllosen Clubs der Stadt. Denn auch wenn längst nicht jedes Label | |
auf dem Sonar präsent ist - wer etwas auf sich hält, gibt sich zumindest in | |
einer Bar die Ehre. | |
Um seinen Ruf als Szene-Seismograf zu halten, hat das Sonar-Festival jedes | |
Jahr einen Schwerpunkt. "Female Factor" war er diesmal überschrieben. Was | |
gleichermaßen toll wie quatschig war. Ja, der Anteil der Künstlerinnen war | |
höher als in den vergangenen Jahren. Aber dafür gab es keinerlei | |
inhaltliche Klammern, die Roisin Murphy, DJ Chloe und Camille | |
zusammengehalten hätten, außer eben ihr biologisches Geschlecht. Wer daraus | |
einen Schwerpunkt oder gar ein Argument zimmert, verstrickt sich genau in | |
die Widersprüche, die er zu bekämpfen vorgibt - das, was die Künstlerinnen | |
machen, wird entwertet durch das, was sie sind. | |
Nein, der zweite Höhepunkt des Festivals fand sich auch in den Messehallen, | |
beim nächtlichen Großrave, der das restliche Festival subventioniert. Der | |
Auftritt von Richie Hawtin mit dem Showcase seines Minimal Techno-Labels | |
M_nus. Auch hier wurde eine Idee von Zukunft verhandelt, eine ganz andere | |
als bei Mills allerdings. Hawtin geht es um einen ganz alltagspragmatischen | |
Technikfuturismus. Vor einigen Jahren war er einer der ersten DJs, die auf | |
Platten verzichteten, um mit dem Laptop aufzulegen. Seit einigen Monaten | |
versucht er unter DJs (die ja zu der Berufsgruppe mit den meisten | |
Flugmeilen gehören) das Bewusstsein für den Klimawandel zu wecken. Sogar | |
seine kantige New-Wave-Frisur hat er herauswachsen lassen und trägt jetzt | |
nachhaltigen Bart. | |
Was aber alles egal wäre, wenn der Auftritt von Hawtin und seiner | |
Labelkünstler Troy Pierce, Magda, Marc Houlé und Heartthrob nicht so | |
brillant gewesen wäre. Das hatte nichts mehr von der Strenge, Kühle und | |
auch Langeweile, die die Platten dieses Labels an sich haben. In fliegendem | |
Wechsel spielten sie über Stunden einen reduzierten Minimal Techno, voller | |
Vocalsamples und überraschender Wendungen. Wie sie da hinter ihren weißen | |
Laptops wippten, alle in zurückhaltendes Schwarz gekleidet, wie | |
Wissenschaftler in einem modernen Labor, erinnerte das in seiner Mischung | |
aus Lockerheit und Konzentration, Kontrolle und Ekstase durchaus an | |
Kraftwerk. | |
Noch erstaunlicher: Zumindest in Europa ist Richie Hawtin und M_nus gerade | |
dabei, Stadionrockgröße zu erreichen. Ohne jeden ästhetischen Kompromiss | |
einzugehen, ohne jemals im Radio zu laufen, ohne Hits, ohne | |
Crossoverbemühungen. Ein ähnliches Phänomen gab es in den Neunzigern schon | |
einmal, aber ob es die Chemical Brothers waren oder Prodigy: Die ganz | |
großen Hallen wären unerreichbar gewesen, wenn sich die Gruppen nicht dem | |
Rockschema angenähert hätten. Hawtin belässt es dabei, sich für M_nus | |
alberne Motti auszudenken. "Contakt" ist es diesmal, und auf die | |
dazugehörige Anzeigenkampagne, die den Meister und seine Jünger dabei | |
zeigen, wie sie einen leuchtenden Würfel anstaunen, ist in der Technoszene | |
zu Recht Hohn und Spott gegossen worden. Aber: Es funktioniert. | |
Das Tagesprogramm des Sonar hatte dagegen durchaus seine ermüdenden Momente | |
- zu viel Experiment auf einmal kann auch eine desensibilisierende Wirkung | |
haben. Zwischen all den Klangschraubern und Gitarrenquälern, die man da | |
bewundern konnte, freute man sich dann über jemanden, der gar nicht so sehr | |
durch seine Musik in die Zukunft wies als durch die Art, wie er sie | |
spielte. Daedalus, ein Hiphop-Produzent aus Los Angeles, der gerade eine | |
Platte beim Londoner Label Ninja Tune veröffentlicht hat, spielte eine | |
lustige, aber eher unspektakuläre Bigbeat-Variante. Nichts Besonderes | |
eigentlich, hätte sein Auftritt rein von der Musik gehandelt. | |
Viel faszinierender war sein Instrument. Oder das, was man als Instrument | |
identifizierte, wenn man ihn auf der Bühne spielen sah: Ein Touchpad, | |
ungefähr so groß wie ein LP-Cover. Eigentlich spielte er natürlich mit | |
einem Laptop, das etwas versteckt neben seinem Pult stand. | |
Doch Touchpad statt Mouse: Es machte einen Unterschied ums Ganze. Das | |
riesige Plausibilitätsproblem der elektronischen Musik, das besonders | |
Liveauftritte oft zu einer schwierigen Angelegenheit macht, dass für den | |
Zuschauer nämlich nie wirklich nachvollziehbar ist, was da gerade passiert, | |
ob sich hier wirklich gerade jemand um Kopf und Kragen spielt oder ob der | |
Künstler hinter seinem Bildschirm nicht vielleicht einfach seine E-Mails | |
beantwortet - es war weggewischt. | |
Daedalus - der mit seinem taubengrauen Frack und den riesigen Koteletten | |
aussah wie der amerikanische Präsident Lincoln bei einem Inaugurationsball | |
- hatte das Touchpad leicht in Richtung Publikum gekippt, sauste mit seinen | |
Fingern über die weiße Fläche, und auf einmal sah man, was man hörte: | |
Finger oben links - Drumbreak. Zwei Finger unten rechts - aller Sound weg, | |
bis auf den Bass. | |
23 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Tobias Rapp | |
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Festival | |
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