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# taz.de -- Auftakt des Festivals "Theater der Welt": Die Welt flirtet mit Halle
> Das Festival "Theater der Welt" ist jedes Jahr in einer anderen Stadt.
> Unter dem Motto "Komm! Ins Offene" macht es bis zum 6. Juli ganz Halle
> zum Laboratorium.
Bild: Zwei Schauspielerinnen bei der Auftaktprozession des Festivals in der ver…
Man kommt ziemlich viel rum, im Kleinen wie im Großen, bei einem Besuch des
Festivals "[1][Theater der Welt]" in Halle. Denn erstens wird die Stadt,
ihre Menschen, ihre Geschichte und ihre Umgebung, zum Gegenstand vieler
dramatischer und postdramatischer Erzählungen, von Installationen und
Interventionen vor Ort. Zweitens aber erfährt die Stadt eine große Umarmung
seitens der vielen angereisten Ensembles. Puppenspieler aus Mailand,
Musiker aus Indien, Videokünstler aus New York und Kioto: Sie bemühen sich
liebevoll um diese Stadt.
In Halle gibt es eine Wunderkammer, auf die die Stadt sehr stolz ist. Zu
Beginn des 18. Jahrhunderts entstand dieses reich und bizarr ausgestattete
Kunst- und Naturalienkabinett in den Franckeschen Stiftungen, einer
pietistisch strengen Schule, sowohl als Modell- und Lehrmittelsammlung wie
auch als ästhetisch geordnetes Muster für eine Verehrung mehr denn als eine
Erklärung der Seltsamkeiten der ganzen Welt. Die Wunderkammer ist zu einem
der geistigen Paten des Festivals geworden. Nicht nur, weil der Kurator des
Festivals, Torsten Maß, zwei Künstler (Nicola Hümpel und Oliver Proske)
eingeladen hat, eine neue "Wunderkammer" aus den Dingen zu bauen, die ihnen
viele der nach Halle kommenden Künstler dafür zugeschickt haben, um sie
nach eigenen spielerischen, ästhetischen und sich anarchisch den
klassischen Deutungsmustern entziehenden Kategorien zu gruppieren. Sondern
mehr noch, weil das "Theater der Welt" selbst so ein Ding ist, das der
Haltung des Staunens ebenso bedarf wie der Lust am Fragenstellen und des
Verzichts auf eine alles erklärende Ratio.
Der Versuch, die Welt als Ganzes zu denken, ist eine offene Baustelle, über
Jahrhunderte schon. Es dennoch zu versuchen, wagten im 19. Jahrhundert die
Weltausstellungen, die uns rückblickend auch als Marktplatz der
Kolonialmächte erscheinen. Ihnen war ein historischer Prolog auf dem
"Theater der Welt" gewidmet, der vom Glauben an den Fortschritt, von
euphorischer Technikbegeisterung und der Hoffnung auf Völkerverständigung
in einer äußerst lustigen und zappeligen Form erzählte. "Excelsior" hieß
das 127 Jahre alte Puppentheaterstück der Mailänder Compagnia
Marionnettistica Carlo Colla & Figli, das den Kampf der Mächte der
Finsternis und des Lichts verfolgt und dabei Station bei den Erfindern der
ersten Dampfmaschinen und der Elektrizität Station macht. Dampfschiffe,
Eisenbahnen, beleuchtete Paläste, Luftschiffe, Automobile und vor allem 350
Marionetten, die in ihren Kostümen und mit vielen Fahnen die bekannten
Nationen und Völker der Welt repräsentieren, nebst jeder Menge
allegorischem Personal wimmeln auf dieser Miniaturbühne und historisieren
nicht nur den Versuch, von der Welt als Ganzheit zu reden, sondern
ironisieren ihn auch zugleich als populäres Revue-Spektakel.
Was diesen Prolog zu einem besonders reizvollen Schachzug machte, war der
Aufführungsort, das Goethe-Theater Bad Lauchstädt, 30 Kilometer von Halle
entfernt, ein schnuckliger, klassizistischer Bau, in dem Goethe selbst noch
inszeniert hat und der heute ein Theatermuseum ist. So wurde der Besuch
vieler Aufführungen auch zu einem Parcours durch die regionale Geschichte.
Nach den ersten drei Tagen von "Theater der Welt" hat man so eben auch die
Franckeschen Stiftungen, Bad Lauchstädt, den Flughafen Halle/Leipzig, ein
Stadion am Stadtrand nebst diversen prominenten Plätzen und verschwiegenen
Residenzen "bereist", ganz zu schweigen von Theatern und Opernhäusern. Und
damit passiert genau das, was sich die Betreiber aus der Politik, wie der
Kulturstaatsminister Bernd Neumann und die Oberbürgermeisterin Dagmar
Szabados, natürlich ebenso erhofft haben wie die von Maß eingeworbenen
Sponsoren: Man verliebt sich unverhofft in diese kleine Stadt.
Dabei sind längst nicht alle Geschichten historisch so verspielt und gar
aus dem Geist des Schwankes geboren wie die "Stadt(ver)führungen", die die
gesamten drei Wochen des Festivals über mit Schauspielern aus Halle laufen
und Stadtgeschichte auch Tourismus-konform verkaufen. Die Performer und
Künstler, die das Thalia Theater Halle etwa an den Flughafen (auch bis 6.
Juli) geschickt hat, haben einen kritischeren Blick und in den Formen
hochaktuellen Zugriff auf die Verflechtungen von globaler und lokaler
Geschichte. Einen ganzen Tag kann man hier verbringen, mit Videowalks,
Installationen, Führungen durch das nahe Kursdorf, das unter dem Ausbau des
Flughafens leidet. Die Realität des Flughafens heute, der Markt des
Tourismus, die Reisebranche als Arbeitgeber spielen dabei ebenso eine Rolle
wie die Zeit der Völkerwanderung, der Salzstraßen des Mittelalters, der
Enteignungen in der DDR-Zeit. Das Reale und das Fantastische, die Gegenwart
und das Vergangene durchdringen sich dabei immer wieder. Ärgerlich nur,
dass eine Installation der Gruppe Doku-Team, die auch zum Inhalt hatte,
dass der Flughafen von amerikanischen Truppen auf dem Weg in den Irak
genutzt wird, von der Flughafenleitung ausgeschlossen wurde.
Auffällig war allerdings, dass am Flughafen viele Künstlergruppen arbeiten,
die große Erfahrung mit Recherchen vor Ort, dokumentarischen Arbeitsweisen
und ihrer Bearbeitung in sehr eigenen Erzählformen haben, wie die in London
und Berlin beheimatete Gruppe plan b oder das Wiener Duo Club Real. In
Halle selbst dagegen sah man einigen Arbeiten, wie von den New Yorker
Videoperformern Big Art Group oder dem japanischen Ensemble von Shiro
Takatani, die Mühe, Konzepte der Partizipation für die Hallenser zu
entwickeln, dann doch teils zu sehr an. Sie versuchten, in Interviewform
einen Diskurs zu Fragen von Gerechtigkeit, Schuld und Demokratie zu
erarbeiten, als Teil des Orestie-Projektes "The People" der Big Art Group,
oder die Zukunftsvorstellungen von älteren Damen aus Halle in den medialen
Bilderrausch Takatanis einzuspeisen. Allein den Statements live und per
Video haftete ein unglaublich großer Glaube an das Authentische an, als ob
Talking Heads der Gipfel der Wahrhaftigkeit wären und kein medial
überstrapaziertes Format.
Von diesem zu sehr Gewollten abgesehen aber entfaltete besonders die "Helle
Kammer" von Shiro Takatani sehr berührende Momente. Der Titel bezieht sich
auf ein Buch von Roland Barthes, in dem er über Fotografie und Erinnerung
nachdenkt und den Einfluss der bildlichen Fixierung auf den Raum der
Imagination. Shiro Takatanis Verhältnis zu den Bildern und ihrer Konkurrenz
zur Realität ist dabei sehr ambivalent, wie schon in seiner langjährigen
Arbeit mit dem Künstlerkollektiv Dumb Type zu sehen war. Auch in der
"Hellen Kammer" zeigt er sich ebenso angezogen vom Rausch der Bilder wie
besorgt um den Verlust dessen, an dessen Stelle sich die Bilder setzen.
Seine Inszenierung erzeugte immer wieder Momente und Atmosphären, als ob
gleich die Kommunikation zu einer anderen Welt, jenseits all dieser Bilder
und Daten, beginnen könnte. Neben den sechs Damen aus Halle arbeitet er mit
zwei Tänzerinnen, drei über den Köpfen der Zuschauer schwebenden Leinwänden
und einem ausgetüftelten High-Tech-Apparat.
Eine Suche nach Transzendenz trieb dieses Projekt an, und darin erkennt man
dann doch die Handschrift des Kurators Torsten Maß, der zurzeit sehr
beflügelt durch Halle schwebt, zwischen Auftragsarbeiten und deutschen
Erstaufführungen von vielen Künstlern. Auch "Die Manganiyar-Verführung" des
indischen Regisseurs Roysten Abel, der einen ganzen Klan von Musikern aus
der Wüstenregion Rajasthan in einem theatralen Konzert zusammengebracht
hat, hat etwas von einer himmelstürmenden, das Hier und Jetzt überwindenden
Macht. Ihr Konzert eröffnete das Festival in dem Opernhaus von Halle: In 33
von Glühlampen und rotem Samt gesäumten Kammern saßen die Musiker vier
Stockwerke hoch übereinander auf der Bühne, Jungen, Kinder und alte Männer
unter ihnen. Die Musik ist für sie seit Generationen nicht nur eine
Profession, sondern eine Berufung - schon diese Vorstellung, zum Künstler
geboren zu sein, Lieder und Rituale geerbt zu haben, fasziniert uns schon
durch ihren Widerspruch zum Status des Künstlers heute. Ihre Lieder und
Instrumente mögen zwar traditionell sein, wie die Knieharfe, die Flöte der
Schlangenbeschwörer oder ein den Kastagnetten verwandtes
Percussion-Instrument. Ihre Struktur aber erscheint durchaus modern,
minimalistischen und elektronischen Sprachen verwandt. So biegt "Die
Manganiyar-Verführung" Geschichte und Gegenwart gelungen zusammen, ohne das
eine oder das andere als Exotismus oder Deformation auszustellen.
Für die kleine Stadt in Sachsen-Anhalt ist das Festival ein Glücksfall,
eine Folge der Ansiedlung der Kulturstiftung des Bundes dort, in den
Franckeschen Stiftungen, 2002. Plötzlich merkt man, zum Beispiel als
Berlinerin, dass Halle mit dem Zug nur wenig über eine Stunde entfernt ist
und von großem kulturhistorischen Reiz. Das hätte man längst schon wissen
können, aber manchmal brauchen kleine Erkenntnisse großen Aufwand.
25 Jun 2008
## LINKS
[1] http://www.theaterderwelt.de/2008/
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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